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Ich trinke Jägermeister

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Plakate von Ernst Volland gehören seit den 1970er-Jahren zum kulturellen Gedächtnis. Neuerdings dreht er die Blickrichtung um: Er befragt Bilder, die sich ins Gedächtnis eingebrannt haben, wie eine Ausstellung bei Zero Arts im Stuttgarter Osten zeigt. Auch der Stuttgart-21-Protest verdankt ihm eine Anregung.

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"Ich trinke Jägermeister, weil mein Dealer zur Zeit im Knast sitzt." Hans-Dietrich Genscher im Bikini zwischen Franz-Josef Strauß und Helmut Schmidt: "Ich find' beide süß." Ein im Ölschlamm zuckender Vogel vor der Shell-Muschel, mit den Emblemen von Aral, BP und Esso: "Wir machen mehr als Öl." Einige seiner Plakate wird jeder kennen, der alt genug ist, auch wenn der Name Ernst Volland nicht ganz so bekannt sein mag wie der von Klaus Staeck. 1968 fing Volland an, in Berlin, nach kaum begonnenem Kunststudium, und in Berlin ist er geblieben. Immer wieder hat er vor Gericht Prozesse durchgefochten, unter anderem mit dem Unternehmen Mast-Jägermeister. Als er 1982 an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche erstmals seine Plakate ausstellte, rückte die Polizei mit einem Eimer weiße Farbe an.

"Den kriegst du nie, der ist viel zu bekannt", meinten einige Mitglieder des Vereins Zero Arts, als Jim Zimmermann nach der Ausstellung "Das neue Braun" vor zwei Jahren die Idee hatte, Volland einzuladen. Doch Volland hatte überhaupt keine Einwände, außer dass er für die Transportkosten nicht selbst aufkommen wollte. Da sich die Konrad-Kohlhammer-Stiftung bereitfand, den Posten zu übernehmen, kam es nun zur Ausstellung in der Ostendstraße. Eine seltene Gelegenheit in Stuttgart, wenn auch nicht das erste Mal, denn bereits 2009 waren seine "eingebrannten Bilder" im Haus der katholischen Kirche zu sehen.

"Eingebrannte Bilder", das meint nicht etwa eine Technik, in der die Bilder hergestellt sind. Als Plakatkünstler darauf spezialisiert, Bilder zu produzieren, die Aufmerksamkeit erregen und sich einprägen, dreht Volland in dieser Serie den Spieß um: Er zeigt Bilder, die sich längst in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Aber er vergrößert sie und macht sie so unscharf, dass man im ersten Moment überhaupt nichts erkennt, nur verschwommene Flecken.

Verstörende Bilder hinter den Bildern

Tatsächlich sind die Motive und der Grad der Unschärfe so kalkuliert, dass es eine Weile braucht, bis sich im Hinterkopf ein Abgleich mit Bildern vollzieht, die sich ins Gedächtnis eingebrannt haben – genau berechnet auch für den kleinen Raum der Galerie Zero Arts. Dann wird auf einmal klar, dass hinter den schwarzen Flecken das Bild der Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos steht, die bei der Siegerehrung der Olympiade 1968 in Mexiko die Hand mit schwarzem Handschuh zum Black-Power-Gruß erhoben. Ein verblüffender Effekt, den man selbst erlebt haben muss, und daher verbietet es sich an dieser Stelle, zu weiteren Bildern der Ausstellung die Auflösung zu verraten.

Eine andere Serie, die Volland "Buntstiftbilder" nennt, begrüßt die Besucher im ersten Raum der Galerie. Auch hier sind Fotos, Medienbilder die Grundlage, die Volland jedoch mit Buntstiften übermalt, sodass ein zwiespältiger Eindruck entsteht. Ein rotes Bild etwa, mit einem grünen Straßenraster und einem dunkelblauen Kanal oder Hafenbecken im Vordergrund ist auf Anhieb als Luftbild einer Stadtlandschaft zu erkennen. Erst der Titel, "Rote Erde. 6. August 1945", lässt die grauenhafte Dimension hervortreten: Es handelt sich um Hiroshima nach dem Atombombenabwurf. Man fängt an, das Bild noch einmal ganz anders zu sehen.

Ein weiteres Bild dieser Serie aus dem Jahr 2009 zeigt, wie der Titel "Exit I Ceuta" verrät, den Ansturm der Flüchtlinge auf den Grenzzaun in der spanischen Enklave in Marokko. Auf einem dritten Bild sind deutlich, wenn auch mit rotem Stift kreuz und quer übermalt, die Silhouetten laufender, vielleicht fliehender afrikanischer Männer und Frauen zu erkennen. Volland sagt nicht, was hier passiert.

Die laufenden Figuren mögen den einen oder anderen an das Refugees-Welcome-Logo erinnern, das sich, von einem amerikanischen Autobahn-Warnschild ausgehend, von Berlin aus seit 2003 über die Welt verbreitet hat. Bei Volland findet sich ein ganz ähnliches Motiv bereits 1978. "NO!" steht in schwarzer Farbe groß auf rotem Grund. Darüber regnet es Bomben. Unten, wie in einem Scheinwerferkegel, suchen zwei Figuren rennend das Weite.

Protest, plakativ und farbstark

Im selben Jahr hat der Künstler, ebenfalls als Plakat und Postkarte, ein Motiv entworfen, das später die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 aufgegriffen hat: Die gelben, rot durchgestrichenen Ortsausgangsschilder waren erst 1976 eingeführt worden. Volland reagierte mit seinem Schild seinerzeit auf das geplante Atommüllendlager in Gorleben. "Horrorleben" steht darauf, darunter: "Landkreis Psychow-Dannenberg".

Volland hat zwar auch für die Grünen in ihrer Gründungsphase Plakate entworfen. Aber in der Regel arbeitete er in eigenem Auftrag. Er plakatierte und verkaufte Postkarten bei Demonstrationen, in Brokdorf und Berlin. Manche seiner Motive sind historisch geworden, andere bleiben unverändert aktuell oder können wie das durchgestrichene Ortsschild neuen Protestbewegungen als Anregung dienen. Aber bei den Plakaten ist es nicht geblieben. Volland ist außerordentlich vielseitig.

Zur Ausstellung gehört ein Büchertisch mit ungefähr zehn Werken sehr unterschiedlichen Formats, darunter Kinderbücher, ein Buch, das er gemeinsam mit Klaus Staeck und ein anderes, das er über John Heartfield geschrieben hat. Eine Mappe mit signierten fotografischen Reproduktionen seiner Zeichnungen liegt aus, zu erwerben zum Stückpreis von 50 Euro. Für den kleinen Geldbeutel gibt es eine vergnügliche Auswahl an Postkarten.


Info:

Die Ausstellung im Projektraum Zero Arts in der Ostendstraße 16, Stuttgart, ist noch am 13. März ab 18 Uhr und zum Showdown am 27. März ab 20 Uhr zu sehen. Zum Einstimmen ein Video:


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1 Kommentar verfügbar

  • Claudia Kiel
    am 20.07.2021
    Antworten
    Was für ein außergewöhnlicher genialer Mensch!! Einer der wenigen wirklich Unabhängigen...
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