All dies hat es in Marokko zu verschiedenen Zeiten gegeben: den Hochmut der Ethnologen, die den Anderen als Objekt der Feldforschung, nicht als eigenständig handelndes Subjekt verstanden; den Versuch, im Zuge der Dekolonisierung die Formen und Farben des Landes für eine nationalistische Agenda zu verwerten; und natürlich die bunten Bilder der Ferienparadiese. Leila Alaoui, 1982 geboren, ging es um etwas ganz anderes. Nach ihrem Studium in New York hat sie einen eigenen Blick auf ihr Land entwickelt.
Wer näher hinsieht erkennt: Die schwarzen Hintergründe sind nicht nur ein einfaches, leicht transportierbares Hilfsmittel ihrer mobilen Studiofotografie. Sie sind dazu da, alles, was von den im Bild festgehaltenen Menschen ablenken könnte, was ihrer eigenen Existenz, ihrem So-Sein, etwas hinzufügt, wegzunehmen, auszuschließen, zu verneinen. Keine Gebirgslandschaften oder dörflichen Szenerien: nur die Menschen selbst, auf die es ihr ankommt. Die schwarze Folie eignet sich nicht für Tourismuswerbung.
Die bunte Vielfalt der Kleidung steht für die Vielfalt der Traditionen in den abgelegenen Regionen des Landes. Diese Vielfalt ist bedroht. Die verschiedenen Wirtschaftsweisen und Lebenszusammenhänge, die sich über die Jahrtausende herausgebildet haben, geraten durch den immer weiter fortschreitenden Zugriff der alle Unterschiede nivellierenden industriellen Produktionsweise und die damit verbundenen enormen ökonomischen Ungleichheiten immer mehr in Randlage. Mag sein, die Älteren halten noch an ihren Bräuchen fest. Die Jüngeren verschwinden: Warum sollte das in Marokko anders sein als in Kalabrien.
Und wohin gehen sie, wo suchen sie ihr Glück? In einer anderen Serie, "No Pasara", hat Alaoui die Küste aufgesucht, an der Straße von Gibraltar. "France" steht auf dem T-Shirt eines Jungen, der nach Europa hinüber blickt. Sie hat mit den jungen Leuten, überwiegend Männer, aber nicht nur, gesprochen, die dort auf ein Schiff warten, das sie hinüber bringt. Sie hat sich mit ihnen angefreundet. In einer dritten Serie zeigt sie Gesichter und Narben dunkelhäutiger Menschen, die beim Versuch, die Grenzen zu überwinden, verletzt wurden.
In einer Ausstellung über die Biennale von Marrakech hat die ifa-Galerie vor fünf Jahren schon einmal eine Videoinstallation von Alaoui gezeigt, über die Migration durch Wüste und Meer. Die damalige Kuratorin Alya Sebti leitet seither die Berliner Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen. Doch die jetzige Ausstellung kommt nicht aus Berlin. Sie ist so etwas wie ein Vermächtnis. Anfang 2016, nicht lange nach der Marrakech-Ausstellung, war Alaoui für Amnesty International in Burkina Faso unterwegs. Sie wurde Opfer eines Anschlags. Mit ihrem Auftrag, einer Reportage über Frauenrechte, hatte das nichts zu tun. Sie war einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.
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