Jeden Tag passiert etwas. Einer will Weinstöcke holen, für einen Torbogen. Bienzle sagt, er soll sich die Rechnung geben lassen, ein bisschen Geld sei da. Am einen Ende gibt es ein Feuchtbiotop, am anderen 13 Bienenstöcke. Es gibt aber auch Wildbienen. Kürzlich war ein Biologe da, erzählt Gerdes, der im Auftrag der Stadt eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführt. Er war überrascht: So viele Wildbienen habe er in Stuttgart noch nirgendwo gesehen.
Die Umweltverträglichkeitsprüfung wird durchgeführt, weil die Absicht besteht, das Operninterim an die Stelle des Stadtackers zu setzen. Zwar hat der Stadtacker schon viele Preise erhalten: den Umweltpreis der Stadt, zwei vom Verschönerungsverein, einen vom Land und zuletzt als offizielles Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt. Und das Wagenhallenquartier soll ein Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2027 werden, einschließlich des Stadtackers, auch nach Auskunft der Stadt. Aber ein Opern-Interim braucht Platz. Viel Platz. Die Stuttgarter Oper hat nach eigener Auskunft 1364 Mitarbeiter und 1404 Zuschauerplätze. Bisher haben die Staatstheater nicht erkennen lassen, dass sie bereit wären, für das Interim auf irgendetwas zu verzichten.
Man muss sich das vorstellen: Ungefähr 100 Künstler sind an der Wagenhalle aktiv, 100 Hobbygärtner im Stadtgarten. Abend für Abend würden weit über tausend Opernbesucher das Containerdorf durchqueren, wenn sie von der nächstgelegenen Straßenbahnhaltestelle Pragfriedhof kommen. Vor der Sanierung der Wagenhalle gab es kontroverse Diskussionen, ob die Parkplätze für den Kulturbetrieb ausreichen. Nun sollen mehr als doppelt so viele Besucher auf das Gelände strömen, aber Parkplätze sind kein Thema.
Eine vergiftete Gesellschaft braucht urbanes Gärtnern
Wenn der Stadtacker von seinem jetzigen Standort weichen muss, sagt Elisa Bienzle, müsste er noch einmal ganz von vorn anfangen. Alles was hier, wortwörtlich wie im übertragenen Sinne, gewachsen ist, müsste weg: die Himbeeren, die Wildbienen, die Kräuterspirale, das Feuchtbiotop. Alles ist in den letzten sieben Jahren entstanden, außer einer riesigen Weide, unter deren herabhängenden Zweigen, von der Außenwelt abgeschirmt, die Versammlungen stattfinden. Ein einzigartiger Ort.
Auf dem Areal stand einmal ein Eisenbahn-Ausbesserungswerk. 2012 wurde es dekontaminiert, also mehrere Meter tief abgegraben. Mit dem Architekturfestival "72 Hours Urban Action" begann das Urban Gardening. Der Stadtacker arbeitet nicht mit Kunstdünger. Alles ist biologisch. Es kommt auf die Fruchtfolge an, aber auch auf die Nachbarschaften. Zwischen den Pflanzen, aber auch zwischen den Menschen. Ein Geben und Nehmen.
Eben deshalb sind Urban-Gardening-Projekte ein Modell für die ganze Gesellschaft, ein Modell der Ökologie, aber auch der Demokratie. Genau das, was eine in vielfacher Hinsicht vergiftete Gesellschaft am meisten benötigt. Wenn es allerdings nach Bauvorschriften und Grundstückswerten geht, nach fest zementierten Gemeinderatsbeschlüssen oder mächtigen Flächenkonkurrenten, stehen sie auf verlorenem Posten. Deshalb benötigt Urban Gardening einen besonderen Schutz. Die Stadt Stuttgart muss sich entscheiden.
Und das scheint ein äußerst schwieriges Unterfangen zu sein. Nach neun Tagen und mehrfachem Nachfragen lässt Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) antworten. Die beiden Projekte Inselgrün und Stadtacker sollen "weiter bestehen bleiben und nicht verschwinden", teilt die Pressestelle mit. Ob sie ihre Standorte verlassen müssen und wo sie dann hinsollen, sagt sie nicht. Zum Inselgrün heißt es lediglich, es gebe Überlegungen, "wie man in der Sanierungs- und Umbauphase die Flächen nutzen kann". Beim Stadtacker sei "man noch in Gesprächen".
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!