KONTEXT:Wochenzeitung
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Heimtückisch hingerichtet

Heimtückisch hingerichtet
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

Sie war Deutschlands bekannteste Feinstaub- und Stickoxid-Messstation. Jetzt ist das Gerät am Neckartor tot. Ermordet von Vandalen. Oder war es Dieter Z.? Unsere Schaubühne als Reminiszenz an ein prominentes Mitglied des örtlichen Klimaschutzes: die schönste Messstelle Stuttgarts.

"117 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft." Das waren ihre letzten Worte. Um kurz nach 20 Uhr am Samstag der vorvergangenen Woche verstummte Deutschlands prominenteste Feinstaub-Messstation am Stuttgarter Neckartor.

Unbekannte haben ein Loch in den Container gemacht und in dessen Innerem Feuer gelegt. Die Eingeweide der Station: "komplett verkokelt", sagte eine Sprecherin der Karlsruher Landesanstalt für Umwelt (LUBW) nach dem perfiden Anschlag. Der Schaden: etwa 200 000 Euro. Wie konnte das passieren?, fragen wir uns. Sofort war die Polizei vor Ort, übergab an Spurensicherung und Kripo. Doch bisher: keine Spur von den Tätern. "Bekennerschreiben" gibt es auch keines, berichteten die "Stuttgarter Nachrichten". Wer tut einem wehrlosen Wesen bloß so etwas an?

Seit 2001 hat die hübsche Messstation unermüdlich Schadstoffe gesammelt. Ohne Murren all den Schmutz eingeatmet, den ihr die Diesel an Deutschlands dreckigster Straßenecke in den Hals gehustet haben. Im vergangenen Jahr im Schnitt 71 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft, dabei sind nur 40 erlaubt. Viele Wochen hat sie mutig diversen Diesel-Demos getrotzt, die um sie herum stattfanden. Demonstrativ quasi, denn die Messwerte am Neckartor waren ausschlaggebend für die Diesel-Fahrverbote, die seit Anfang des Jahres in der Stadt gelten.

Sie war kurz vor Ende ihres kurzen, aber erfüllten Lebens immer wieder in die Schlagzeilen geraten – sogar in der "Tagesschau" hatte die kleine Stuttgarter Messstelle ihren Auftritt. Ihre Werte: hoch umstritten. Weil sie an einer Hausfassade stand und die Schadstoffe da nicht zirkulieren konnten, behaupteten Anti-Fahrverbotsaktivisten. Weil sie an einer Ampel stand und sich dort ja total viele Schadstoffe sammeln, wenn die Ampel rot wird und die Autos mit laufendem Motor zum Stehen kommen.

Es wurde sogar eine Petition zur Versetzung der Messstelle gestartet. Leute haben in klugen Kommentaren darunter beschrieben, warum sie die Petition gezeichnet haben: "Damit die Speichellecker endlich mal sehen, daß wir Bürger nicht gerade von den Bäumen kommen." Oder: "Den spezifisch deutschen Selbstzerstörungsirrsinn der Grünen und Linksdebilen beenden!"

Pizza for free – ohne grünes Zeugs drauf

Posthum fällt der Messstelle zur Freude aller Stickstoffdioxid-Liebhaber nun auch die grün geführte Landesregierung in den Rücken: Der Standort sei nicht repräsentativ, die gemessenen Werte zu hoch, hieß es kurz nach dem heimtückischen Messstellen-Mord – den oder die Täter dürfte dieses Einknicken bekräftigen, im Zweifelsfall noch ein paar Artgenossen der Gemeuchelten anzuzünden. Stuttgarts OB Kuhn, auch ein Grüner, "hadert" nun ebenfalls mit der Messstelle am Neckartor. Man könne sie ja in eine Nebenstraße versetzten, weiter weg von der Fahrbahn. "Uns stellt sich die Frage, ob die Landesregierung, wie die Automobilindustrie, nun beim Messen trickst", fragt sich SPD-Fraktionschef Martin Körner im Gemeinderat. Aber sei's drum.

Ihren Erfolg, wie traurig ist das denn, kann die Arme nun nicht mehr auskosten. Stattdessen wird sie mit Hohn überschüttet: "Bravo", schreibt einer auf Facebook. Oder: "Es gibt noch Helden." Andere posten begeistert Flammenwerfer oder Sesamstraße-Figuren im Großbrand-Inferno. Ein anderer fordert ein "Spendenkonto" für den Brandstifter, der Avanti-Avanti Pizzaservice bietet ihm sogar eine Pizza for free an, aber ohne "grünes Zeug drauf". Auch die 200 000 Euro Sachschaden werden mit bekannten Parolen verhöhnt: "Traurig, dass man so erfahren muss, wohin die Steuergelder verballert wurden! Und für Rentner und Kinder ist kein Geld da!"

Deutschlandweit erwiesen ihr Medien durch Berichterstattung die letzte Ehre, vom "Weser-Kurier" bis zur "Zeit". Sogar international wird über das tragische Schicksal der A-Prominenz unter den staatlichen Messstationen berichtet: "Seit Samstagabend weiss niemand mehr, wie belastet die Luft an Deutschlands dreckigster Strasse, dem Stuttgarter Neckartor, wirklich ist", schreibt die Schweizer NZZ und fragt: "War es Sachbeschädigung aus Trunkenheit – oder mit Hintergedanken?" Auch die Bild vermutet: "Brandstiftung?" Die "Stuttgarter Nachrichten" enthüllen auf Facebook, die Messstelle an diesem Standort "soll kein zufälliges Ziel gewesen sein". Die "Stuttgarter Zeitung" hofft beim Thema "Feinstaub-Tatort Neckartor" auf forensische Analysen: "Verrät DNA die Brandstifter?"

"Heise Auto" zitiert die LUBW: "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, zeitnah Ersatz zu schaffen, um der Berichtspflicht des Landes Baden-Württemberg an die EU nachkommen zu können." Investigativ ist "Spiegel Online" unterwegs und berichtet, dass die Messungen der Stickstoffdioxid-Belastung "offenbar trotz der Zerstörung fortgesetzt werden" könne: "Und zwar von einem sogenannten Passivsammler auf dem Dach der Station, wie eine Sprecherin der Landesanstalt für Umwelt gegenüber dem 'Spiegel' erklärte. Dieser Sammler sei beim Brand nämlich unbeschädigt geblieben."

Waren's die Russen? Oder gar die Freimaurer?

Die Polizei tappt auch eineinhalb Wochen nach der Tat noch im Stockdunkeln. Naheliegend wäre natürlich, die Diesel-Demonstranten zu verdächtigen, die in Gelben Westen jeden Samstag in unmittelbarer Nähe der Messstation auflaufen. Aber die Polizei lässt sich nicht vom Offensichtlichen ablenken – ermittelt wird in alle Richtungen, sagt eine Sprecherin. Nur ein Freitod wird anscheinend ausgeschlossen, obwohl das sensible Gerät permanent härtesten Belastungen ausgesetzt war. Ob es die Russen waren? War der Mossad involviert? Angela Merkel? Oder gar – Freimaurer? "Ganz offensichtlich liegt hier ein politisches Motiv vor", sagte Polizeisprecher Martin Schautz nach der Tat, deshalb ermittelt jetzt auch der Staatsschutz. Nach rechts und links, klar.

Und verständlich: Hatte doch das Satiremagazin "Titanic" <link http: www.taz.de external-link-new-window>erst vor wenigen Wochen investigativ die Manipulation von Messwerten durch vermummte Autonome recherchiert. Auf Nachfragen in der dortigen Redaktion dann der Durchbruch: "Bei Titanic wissen wir aus Autonomenkreisen, dass der Täter keinen linksextremen Hintergrund hat", schreibt Chefredakteur Moritz Hürtgen auf Anfrage von Kontext. "Mehrere Zeugen wollen aber einen Mann mit weißem Schnauzbart und Halbglatze gesehen haben, der angeblichen auf den Namen Dieter Z. hört und bei einer Firma namens 'Taimler' oder so ähnlich arbeitet."

Derweil macht sich die grün-geführte Landesregierung mit Hochdruck daran, die Luft in Stuttgart sauberer zu machen. Die CDU hat erst vor Kurzem durchgesetzt, dass zu den vorhandenen 14 Messstellen 38 weitere kommen werden (Für Rentner und Kinder ist wiedermal kein Geld da!). Denn wenn man, wie das Vorbild München, auch in weniger belasteten Zonen Werte misst, sinkt die Belastung im Durchschnitt und schon ist die Stadt ist ein Stückchen sauberer. Öko-Stalinisten hassen diesen Trick.

Filiz Koçali. Foto: Joachim E. Röttgers

Geteert und partikelt: Straßenbelag am Neckartor

Leider keinen Feenstaub, sondern Nitrat liefert der neue, bis zum 18. April am Stuttgarter Neckartor aufgebrachte Superbelag. Auf Geheiß des Landes muss er, so drängend ist diese Maßnahme des Luftreinhalteplans, noch vor Ostern fertig sein. Dann hat die sechsspurige Straße auf 300 Metern Länge eine Spezialschicht aus Titandioxid. 700 000 Euro kostet das, davon 400 000 Euro für die Spezialschicht, bei der Stadt und Land halbe halbe machen. Was das bringt? Stickoxid aus der Luft soll sich per Fotokatalyse, also mithilfe von Sonnenlicht, in das wasserlösliche Nitrat verwandeln, das dann vom Regen hinfortgespült wird. Die Maßnahme ist ein Pilotprojekt: Die mittlere Abbaurate von Stickstoffdioxid soll sich so von 14 auf bis zu 26 Prozent erhöhen. Wie viele Schadstoffe der Belag tatsächlich aus der Luft holen kann, das aber muss auch unsere Lieblingsmessstelle erst noch messen. (red)

Zudem haben Stuttgarts 17 Feinstaub-Filtersäulen ein Upgrade verpasst bekommen – "Kombifilterelemente", die jetzt auch Stickstoffdioxid aus der Luft saugen sollen. Landeseigene Gebäude und Lärmschutzwände werden nun mit fotokatalytischer Fassadenfarbe gestrichen, auch der Straßenbelag wird Fotokatalyse-fähig. Titandioxid-Nano-Partikel sollen die gasförmigen Stickoxide in Feenstaub, äh, Nitrat umwandeln. Das wiederum vom Regen in die Kanalisation gespült wird, offenbar in unbedenklichen Mengen einer Substanz, deren Wirkung auf den menschlichen Organismus kaum erforscht ist. Ob's was bringt? Man weiß es nicht. Ob Nanopartikel im Grundwasser schaden? Keine Ahnung. Bleibt zu hoffen, dass das nicht ebenso ein Rohrkrepierer wird, wie die Idee, Stuttgarts Luftverschmutzung mit Mooswänden zu bekämpfen.

Wir jedenfalls sagen: Tschüss Messstation Neckartor. Schön war's mit dir. Wir werden dich vermissen.


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2 Kommentare verfügbar

  • Peter Meisel
    am 22.04.2019
    Antworten
    Leider sparen wir auch in BW zu sehr an der Bildung!
    Zur Bundes - Republik (lat. res publica d.h. öffentliche Sache) gehört Öffentlichkeit
    Demokratie (griech. demos Volk kratein herrschen)
    „Denn in den Demokratien, wo es nach dem Gesetze zugeht,
    ist kein Aufkommen für die Demagogen,
    weil daselbst…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 13 Stunden
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