KONTEXT:Wochenzeitung
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Feel the Schpirit

Feel the Schpirit
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Tunnelbohrer Martin Herrenknecht stiftet einen Preis, den er nach seinem früheren Aufsichtsratsvorsitzenden Lothar Späth benennt. Der war ja auch mal Ministerpräsident des Landes, weswegen sich bei der ersten Preisverleihung viel Polit-, Wirtschafts- und sonstige Prominenz drängte. Darunter auch ein Ex-Kanzler.

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Garstig ist es draußen auf dem Schlossplatz, Windböen wehen den späten Samstagseinkäufern Regenfetzen ins Gesicht, doch drinnen im Westflügel des Neuen Schlosses regieren Geselligkeit und Feierlaune. Rund 250 Gäste, viele hohe und ehemals hohe Tiere aus Wirtschaft, Politik und Kultur des Landes, trudeln nach und nach im sterilen Foyer unter dem prunkvollen Weißen Saal ein, greifen sich Häpp- und Sektchen, schütteln Hände, klopfen Schultern.

Rezzo Schlauch unterhält sich angeregt mit dem ehemaligen Boxer Luan Krasniqi aus Rottweil, der den Grünen-Koloss tatsächlich noch überragt, Chorleiter Gotthilf Fischers schlohweißer Schopf scheint gelegentlich aus der Menge, der ehemalige LBBW-Chef und jetzige Herrenknecht-Aufsichtsratsvorsitzende Hans-Jörg Vetter trägt eine lustige Goldfisch-Krawatte spazieren, und plötzlich bahnt sich eine gewaltige Nase den Weg durchs Gedränge – Ex-Ministerpräsident und EU-Kommissar Günther Oettinger, unzählige Hände schüttelnd. Doch da, fast unauffällig schiebt sich ein eher kleiner Herr mit deutlich größerer und jüngerer Gattin herein, ist es nicht?, doch!, es ist Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seiner mittlerweile fünften Gattin Soyeon Schröder-Kim, sie ganz in Rot, der letzte Superstar der Roten in Dunkelgrau und blauer Krawatte, älter geworden, doch die Körperspannung und das raumgreifende Lächeln wie einst im rot-grünen Mai.

Schröders Leibspeise Currywurst gibt's nicht. Dafür Gurkenschiffchen, Kanapees und Spieße mit Maultaschenscheiben und Rotweinzwiebeln, doch Schröders Laune tut das keinen Abbruch. Schlauch, den Koalitionsweggefährten von einst, hat er schnell entdeckt, Knuffen und Lachen, Oettinger kommt grinsend dazu, Ex-Bahnchef Rüdiger Grube steht auf einmal dabei, grinst auch breit. Tunnelbauer Martin Herrenknecht, dessen Maschinen die Stuttgart-21-Tunnel fräsen und auch schon für Olympia im russischen Sotschi gebohrt haben, plaudert angeregt mit Schröder.

Herrenknecht, der im badischen Schwanau die größten Tunnelbohrmaschinen der Welt herstellt, ist der Spiritus Rector des heutigen Abends. Und der ist dem wohl größten Schwaben der Welt gewidmet: Lothar Späth, dem ehemaligen Herrenknecht-Aufsichtsratsvorsitzenden (1998 bis 2012), Jenoptik-Chef (1991 bis 2003) und baden-württembergischen Ministerpräsidenten (1978 bis 1991). Der 2016 Verstorbene sei ein "Voranschreiter" gewesen, ein "großartiger Mensch, Politiker und Wirtschaftskapitän", deshalb hat Herrenknecht ihm zu Ehren einen Preis ins Leben gerufen, der "herausragende Innovationen in Wissenschaft und Wirtschaft" auszeichnen soll.

Preisgeld in Höhe einer mittleren Parteispende

Den Lothar-Späth-Förderpreis gibt's schon (Förderung von Künstlern mit geistiger Behinderung), deshalb trägt Herrenknechts Preis den voranschreitend klingenden Namen "Lothar Späth Award" – exklusiv nur für Firmen aus Baden-Württemberg und Thüringen, wo Späth politisch und wirtschaftlich wirkte. Preisgeld gibt's auch, 40 000 Euro werden verteilt – ein eher mickriger Betrag, der für Herrenknecht früher eine mittlere Parteispende dargestellt hätte. (2009 spendete das CDU-Mitglied seiner Partei 70 000 Euro, 30 000 gingen auch an die SPD, was damals <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik geld-macht-partei-1812.html _blank internal-link>oft mit S 21 in Verbindung gebracht wurde).

Schröder und Oettinger sitzen in der zehnköpfigen Preis-Jury – unter anderem neben Späths Tochter Daniela Späth-Zöllner. Im Gegensatz zu Schröders besserer Hälfte ist Oettingers Lebensgefährtin Friederike Beyer an diesem Abend nur selten an der Seite ihres Herzblatts zu sehen. Stattdessen läuft sie hochkonzentriert und mit Ablaufplan durch die Gegend, denn ihre Firma Beyer PR Event organisiert die Veranstaltung. Kurze Wege helfen beim Voranschreiten.

Preisverleihung ist im Weißen Saal, oben. Doch ehe die Gewinner bekannt gegeben werden, müssen die Nominierten noch vier Reden über sich ergehen lassen. Den Huldigungsreigen für Späth eröffnet Landeswissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) – die einzige Regierungsvertreterin an diesem Abend –, die Späth als einen "Macher" rühmt, der erkannt habe, "dass Innovationen der Schlüssel für die Zukunft eines Landes sind", und dass diese nur gelingen, "wenn sich Wirtschaft und Wissenschaft als Partner auf Augenhöhe sehen." Martin Herrenknecht legt mit noch mehr Sätzen fürs Poesiealbum der Unternehmens-PR nach: "Man kann, was man will", das sei immer Lothar Späths Credo gewesen, bringe seinen Wesenskern auf den Punkt. Mit dem Preis wolle man nun ein leuchtendes Beispiel setzen für seinen "Schpirit".

Herrenknecht, professionell eher dem Bohren in die Tiefe verpflichtet, erklimmt mit seiner Eloge solche Höhen des schwärmerischen Pathos', das sich sein Nachredner Schröder zur Bemerkung verpflichtet sieht: "Wir müssen aufpassen, dass wir bei dieser schönen Veranstaltung nicht in Würde erstarren." Der Altkanzler, das muss man ihm lassen, ist nach wie vor eine lässige Rampensau, die weiß, wie man die Zuhörer vorm Wegnicken bewahrt. Angesichts der von Bauer beschworenen Partnerschaft von Wissenschaft und Wirtschaft fragt er: "Was habt ihr Baden-Württemberger eigentlich mit den Grünen gemacht?", ehe er ein paar wohltemperierte Anekdoten über seine persönlichen Erfahrungen mit Späth Anfang der Neunziger folgen lässt, die sich grob mit "schlitzohrig, aber fair und stets offen" zusammenfassen lassen. Ganz am Schluss drängt sich dann doch noch die Gegenwart, genauer: der aktuelle CDU-Parteitag hinein. "Wenn Sie mir diese kleine Bosheit gestatten", sagt Schröder: "Was würde mein Freund Lothar Späth über die Entscheidung des CDU-Parteitags sagen?" Abgang, kräftiger Applaus, Lacher im Saal.

Im Nationenverspotten ist Oettinger ein alter Fuchs

Oettinger, im Anschluss dran, nimmt Schröders Ball gerne auf: "Was Lothar Späth zur Wahl gesagt hätte, wissen wir nicht. Genauso wenig, wie wir wissen, was Helmut Schmidt zur heutigen SPD gesagt hätte." Lautes Lachen und Zwischenapplaus, vermutlich hat Herrenknecht besonders laut geklatscht – denn er hat gleich nach der Wahl Annegret Kramp-Karrenbauers zur CDU-Vorsitzenden angekündigt, seine CDU-Mitgliedschaft ruhen zu lassen. Dass Oettinger Friedrich Merz zugeneigt war, ist kein Geheimnis, einige seiner folgenden Äußerungen bleiben dagegen rätselhaft. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass die mittelmäßige Akustik des Weißen Saals mit dem berüchtigten Maschinengewehr-Stakkato des EU-Kommissars bisweilen eine unheilige Allianz eingeht.

Es geht ja um Innovationen, da ist man schnell in den USA, die das Silicon Valley haben, aber auch "einen dominanten Präsidenten, der nicht alles falsch macht". Ähm, zum Beispiel? Keine Zeit, weitergehaspelt. Stolz könne man in Baden-Württemberg über die Wertschöpfung aus der Wissenschaft sein, 4,3 Prozent, im Gegensatz zu drei Prozent deutschlandweit und, "das sage ich besonders gerne: Italien, ein Prozent". Die ersten Schenkel werden geklopft. In der Disziplin Nationenverspotten ist Oettinger bekanntlich ein alter Fuchs. Dann geht's um Späth.

Handkuss und Blumen. Ganz alte Schule

Seinen Vorvorgänger im MP-Sessel habe er eigentlich erst nach dessen Ausscheiden aus der Politik kennengelernt, erzählt der Ditzinger. Er habe sich mit Späth Jena angeschaut und abends noch das ein oder andere Viertele geschlotzt. "Erst Trollinger, dann Trollinger-Lemberger, dann Lemberger-Trollinger." Später habe Späth Bordeaux bevorzugt, "das sei ihm verziehen." Trink-Witze, sichere Bank. Fahrig pflügt Oettinger durch weitere Anekdoten und die Gästeliste des Abends, ehe der Mann, der sich selbst immer eine Silbe voraus ist, Späth zum Abschluss attestiert: "Er war immer einen Schritt voraus." Oder hat er "zwei Schritte" gesagt? Egal, schon spielt das Stuttgarter Kammerorchester Edward Elgars "Salut d'amour op. 12", und am Schluss kommt Oettinger noch einmal zurück, verteilt Blumen und Handküsse (an die Musikerinnen) und ein Weinpräsent (an den Musiker). Ganz alte Schule.

Nach einer Dreiviertelstunde sind endlich die Preisträger dran. Den ersten Preis bekommt die Ineratec GmbH aus Karlsruhe, die chemische Kompaktanalagen in Schiffscontainer-Größe herstellt, den zweiten die Nanopta GmbH aus Lonsee im Alb-Donau-Kreis, die neuartige Antireflexionsbeschichtungen erfunden hat, den dritten die Active Fiber Systems GmbH aus Jena, die besonders leistungsfähige Ultrakurzpulslaser herstellt. Sieger Ineratec hat bereits 25 Mitarbeiter und einen Umsatz von drei Millionen Euro im Jahr, ob ihm die 25 000 Euro Preisgeld viel mehr bedeuten als einen Aufmerksamkeitsschub, sei dahingestellt. Aber vielleicht geht es ja auch gar nicht darum.

Am Ende ist im Foyer "Get together und Walking Dinner". Das warme Büffet ist gediegen-regional, Currywurst und Bier gibt's immer noch nicht, aber Schröder scheint sich auch mit einem Weißwein pudelwohl zu fühlen, die Mundwinkel sinken selten unter die Horizontale. Wo man überall so hinkommt als Ex-Kanzler, schon 'ne dolle Sache. Herrenknecht wirkt aufgekratzter und beseelter, unterhält sich lange mit dem früheren Bahnchef Rüdiger Grube, der seit einigen Monaten für ihn als Berater arbeitet und heute besonders viele Hände schüttelt.

Ein wenig verloren wirkt in dieser gelösten Klassentreffen-Atmosphäre der Kabarettist Matthias Richling. Ob die Veranstaltung denn Satirepotenzial für ihn habe? Richling bittet in gespielter Entrüstung, den schönen Abend doch nicht kaputt zu machen, und antwortet salomonisch: "Es ist doch auffällig zu sehen, wer wen kennt, und wer sich wichtig nimmt."


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5 Kommentare verfügbar

  • Waldemar Grytz
    am 17.12.2018
    Antworten
    Danke für diese "erhellende" Milieu-Studie aus dem "Bürgerschloss".
    "Remember, remember, 5th of November" mag man da denken (wenn´s nicht verboten wäre), eine Stinkbomber hätte es auch getan.
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