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Sie wollen Leuchttürme schaffen

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Nachmittags knattert Mahmoud, 18, mit dem Tuktuk durch sein Dorf Al Odaisat Sud, 20 Kilometer südwestlich von Luxor. Er muss Geld für die Familie verdienen, weil sein Vater nach einer Herzoperation nicht mehr arbeiten kann. Aber vormittags bohrt, schraubt und lernt Mahmoud an der beruflichen Schule in Toth. Er will Elektriker werden. Die Chance dazu hat ihm die Esslinger IG Metall gegeben.

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Seit dem sogenannten arabischen Frühling 2011 engagierte sich Sieghard Bender, ehemaliger IG-Metall-Chef in Esslingen und großer Fan von Ägypten und seiner 6000 Jahre alten Geschichte, für ein Ausbildungsprojekt im oberägyptischen Luxor. Sieghard Bender starb 2013 unerwartet, aber sein Traum ist Wirklichkeit geworden. Mit ungeheurer Geduld und Zähigkeit haben Benders MitstreiterInnen eine Ausbildungswerkstatt für Elektriker an der Secondary Industrial School Odaisat in Toth aufgebaut. Seit 2014 beginnen dort jedes Jahr 20 Jugendliche ihre Elektriker-Ausbildung im "deutschen Projekt", wie es dort heißt. Im vorigen Jahr wurden die ersten jungen Frauen in das Ausbildungsprojekt aufgenommen. Die künftigen Elektrikerinnen dürften in Ägypten eine Minderheit sein. Zwar können Mädchen problemlos Elektrotechnik studieren, doch wenn es um Berufsausbildung geht, werden sie zumindest in Oberägypten in die Näh- oder Malerwerkstätten gedrängt.

In diesem Oktober wurde endlich auch die Werkstatt für die Sanitärausbildung eingeweiht. Mehr als zwei Jahre hatten die Deutschen auf die notwendigen Unterschriften aus dem ägyptischen Bildungsministerium gewartet. Im vorigen Jahr war es so weit, die Werkstatt konnte endlich eingerichtet werden. Wie schon im Elektroprojekt hatten die Deutschen die Ausstattung in enger Absprache mit den ägyptischen Ausbildern und Ministeriumsverantwortlichen besprochen. Den Einkauf und die Montage organisierten die Lehrer vor Ort dann selbst. "Das ist wichtig", sagt Gesa von Leesen, Vereinsvorsitzende von GRUSSI, dem Trägerverein. "Wir wollen nicht aus Deutschland Material einführen und wir stellen uns nicht hin und erzählen den Kollegen in Ägypten, was sie brauchen. Das bringt nichts. Sie müssen sagen, was sinnvoll ist."

Seit 2013 fahren jedes Jahr vier bis sechs freiwillige Helfer aus Esslingen und Umgebung im Herbst für eine Woche nach Luxor, um die ägyptischen Lehrer mit ihrem Fachwissen zu unterstützen. Der ägyptische Ausbildungsleiter Taie Mohamed und zwei Kollegen waren vor fünf Jahren für ein längeres Praktikum in Esslingen. Taie Mohamed lernt seitdem deutsch – so können die deutschen Helfer und er sich mittlerweile einigermaßen verständigen, denn englisch sprechen die wenigsten Ägypter. Schon den Aufenthalt und die Weiterbildung der ägyptischen Ausbilder finanzierte der gewerkschaftliche Verein GRUSSI, der von den Firmen Metabo, Index, Heller und Belden unterstützt wird.

Projekt mit Strahlkraft bis nach Kairo ins Ministerium

Anfang Oktober dieses Jahres waren die Deutschen wieder vor Ort. Die sechs Fachleute machten zwei Tage lang Aufnahmetests mit den jugendlichen Bewerbern für die Elektro- und Sanitär-Ausbildung für das nächste Schuljahr. Jeweils 20 Ausbildungsplätze stehen im deutschen Projekt zur Verfügung. Mehr als 30 Jungs bewarben sich pro Ausbildungsgang und mussten im Test beispielsweise einen Stecker anschließen und nach Vorlage einen Draht mit einer Zange biegen. So zeigt sich, wie geschickt oder ungeschickt die Jungs mit Werkzeug umgehen. Diejenigen, die nach dem ausgeklügelten Bewertungsbogen keinen Platz ergattern, machen die "normale" dreijährige ägyptische Elektro-Ausbildung an der Berufsschule; das heißt, sie haben weniger Praxisstunden als die Azubis im deutschen Projekt.

Am dritten Tag haben die Deutschen mit den 20 angehenden Elektrikern des zweiten Ausbildungsjahrs eine Zwischenprüfung organisiert. So soll getestet werden, auf welchem Ausbildungsniveau die jungen Männer sind. Einer der leitenden deutschen Fachleute ist Fritz Bronni. Der 64-jährige Ausbildungsmeister für Mechatroniker und Elektriker ist von Anfang an bei dem Projekt dabei und nunmehr schon zum zehnten Mal dafür nach Luxor gereist. Sein Arbeitgeber, die Belden Electronics GmbH, ehemals Hirschmann, hat Teile der Einrichtung für die Ausbildungswerkstatt gespendet. Fritz freut sich jedes Mal über die Fortschritte, die die jungen Menschen machen. "Außerdem sehen wir, dass die Qualität der Ausbildung steigt. Das heißt, auch die Ausbilder werden besser."

So gut wie alle Jugendlichen, die bisher in diesem Projekt gelernt haben, fanden Jobs als Elektriker oder nutzten den Ausbildungsabschluss, um Elektrotechnik zu studieren. Saif Elgin aus Luxor, 20 Jahre alt und engagierter Schülersprecher, hält sein Abschlusszeugnis in Händen. Seit zwei Monaten hat er einen festen Job. "Ich will jetzt drei Monate lang arbeiten und Geld sparen, damit ich dann an die Hochschule kann", erzählt er.

Bernd Vöhringer ist Elektronikingenieur mit eigener Firma für Hochgeschwindigkeitskameras in Eningen und in diesem Jahr zum ersten Mal in Luxor dabei. Warum? "Ich interessiere mich grundsätzlich für Ausbildung." Er half bei den Auswahltests und der Zwischenprüfung und hatte Freude dabei: "Es war schön, wie die Schüler sich gefreut haben, wenn am Ende der Prüfung die Lampe leuchtete." Dass er durch sein Engagement zudem Ägypten und seine Menschen auf eine andere Art kennenlernen konnte, als nur als Tourist von Tempel zu Tempel zu reisen, freute ihn ebenfalls.

Der jüngste der deutschen Gruppe, Samuel Kleinschmidt, 24, ist Mechatroniker und wurde sogar von seinem Arbeitgeber, der Firma Heller, für die Reise freigestellt. "Ich finde es großartig, dass die Jugendlichen durch das Projekt die Chance haben, etwas zu erreichen, und eine Perspektive für ihr Leben bekommen", sagt er nach seinem nunmehr zweiten Ägypteneinsatz.

Auch Daniel Wiese, 36, war schon mehrmals mit. Der Elektroniker und Informatiker aus Albershausen hat ein Faible für das arabische Afrika. Im Projekt engagiert er sich für den praktischen Bereich und die Website. Es sei einfach toll, sagt er, dass die Jugendlichen mit der deutschen Ausbildung ordentliche Jobs bekommen könnten und dass das Projekt mittlerweile einen guten Ruf hat. Er hofft, dass diese Art der handwerklichen Ausbildung mit viel Praxis auch in anderen ägyptischen Berufsschulen Einzug hält.

Max Czipf ist der Jugendsekretär bei der Esslinger IG Metall. Der 31-Jährige organisiert seit 2013 die deutsch-ägyptischen Beziehungen, sorgt für Spenden und Materialnachschub und sucht und motiviert die deutschen Freiwilligen. Jetzt war er zum achten Mal in Ägypten: "Es hat wieder ganz toll geklappt. Bei aller Routine lernen wir jedes Mal dazu. Man kennt jetzt die Gesichter zu den Positionen und Beziehungen und wird schon vom Bürgermeister begrüßt."

Gesa von Leesen begleitet das Projekt von Anfang an. Sie war 2011 mit ihrem Mann Sieghard Bender bei dem damaligen Gouverneur Dr. Ezzat Saad, der damals die Chance erkannte, die die engagierten Deutschen boten. "Das war ein toller Gouverneur, der uns sehr geholfen hat", schwärmt von Leesen noch heute. Nach Benders unerwartetem Tod hat Gesa von Leesen gemeinsam mit Max Czipf die Verantwortung für das Projekt übernommen. "Wir wollen Leuchttürme schaffen! Dem Staat zeigen, dass es gar nicht so teuer ist, die Berufsausbildung vor allem im praktischen Teil zu verbessern. Gute Handwerker werden hier immer benötigt, denn gebaut wird ständig." Mit gutem Grund: Von den mittlerweile 100 Millionen Ägyptern – mit wachsender Tendenz – ist ein Drittel unter 15 Jahre alt. Die Menschen brauchen Wohnungen und Arbeit.

Die Verträge mit dem Gouvernat und dem Bildungsministerium laufen über fünf Jahre. Von Leesen lacht. "Beziehungsweise solange das Geld reicht." Der private Aufwand sei enorm, wenn man jedes Jahr nach Luxor reist, sagt Gesa von Leesen. "Aber wir wollen die Leute auch nicht hängenlassen. Außerdem geht es ja voran: Mittlerweile ist unser kleines Projekt im Ministerium in Kairo bekannt, Delegationen von anderen Schulen kommen und holen sich Anregungen. Wir hoffen, dass der ägyptische Staat sich inspirieren lässt und selbst für eine praxisorientierte Ausbildung in seinen beruflichen Schulen sorgt." Und außerdem habe man mittlerweile Freundschaften geschlossen. Von Leesen: "Mit Taie Mohamed haben wir einen großartigen Verantwortlichen vor Ort gefunden. Er setzt sich unglaublich intensiv für die bessere Ausbildung ein, organisiert alles Mögliche und Unmögliche und hat gute Kontakte in die sehr umfangreiche ägyptische Bildungsverwaltung. Ohne einen solchen Partner vor Ort würde so ein Projekt nicht funktionieren." Taie Mohamed liegt es besonders am Herzen, Jugendlichen aus armen Familien eine gute Ausbildung zu ermöglichen. So wie Mahmoud, der nachmittags Tuktuk fahren muss, damit seine Eltern und seine vier Geschwister über die Runden kommen. Der aber auch weiß, dass er in zwei Jahren eine gute Ausbildung in der Tasche hat und dann hoffentlich eine ordentlich bezahlte Arbeit findet.


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