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Blaubarts finstere Hallen

Blaubarts finstere Hallen
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

Als Ausweichstandort für die Zeit der Stuttgarter Opernsanierung ist das Paketpostamt am Rosenstein bereits abgeschrieben. Nun hat dort am Freitag "Herzog Blaubarts Burg" von Bela Bartók Premiere. Wären die Hallen nicht doch als Interimsspielstätte geeignet?

Als "ironischen Zirkelschluss der Geschichte" bezeichnet es Marc-Oliver Hendriks, der geschäftsführende Intendant der Stuttgarter Staatstheater, dass die Aufführung von "Herzog Blaubarts Burg" nun im alten Bahnpostamt stattfindet. Seit zwei Jahren ist die Aufführung der einzigen Oper von Bela Bartók geplant, 100 Jahre nach ihrer Uraufführung in Budapest. Ursprünglich war dafür die Wagenhalle vorgesehen. Doch vor einem Jahr stand noch nicht fest, dass die Sanierung im vorgesehenen Termin- und Kostenrahmen zu Ende gebracht werden würde.

Also entschied sich die Oper für einen anderen Standort: das frühere Paketpostamt der Bahn, das bald darauf auch mit großer Gemeinderatsmehrheit zum Interimsstandort während der Sanierung des Opernhauses auserkoren wurde. Nachdem allerdings ein halbes Jahr später ein Gutachten Kosten von 116 Millionen Euro prognostiziert hatte, verkündete der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn das Ende der Bahnpostoper. Nun soll der Platz neben der Wagenhalle zum Interimsstandort werden. Aber der Blaubart wird im Paketpostamt gegeben.

Scheinbar unzugänglich wie die Burg Herzog Blaubarts thront die riesige Halle hoch über dem dunklen Schlossgarten zwischen Paketzubringern und Bahnanlagen. Doch keine Sorge: der Weg ist ausgeleuchtet. Statisten warten an der Stadtbahnhaltestelle Mineralbäder und helfen den Besuchern bei der Orientierung. Für ältere und gehbehinderte Menschen stehen drei Fahrradrikschas bereit.

Die Statisten übernehmen dann auch gleich eine wichtige Funktion: In kleinen Gruppen bereiten sie die Besucher vor. "Ich bin Ihr Platzanweiser, Ihr Zeremonienmeister", sagen sie und bitten die Operngäste, sich wasserdichte Überschuhe anzuziehen. Dunkel, fast schwarz ruht die große Halle. Die Besucher müssen durch einen Teich waten. Still mögen sie sein, das ist Hans Op de Beeck wichtig. Der flämische Künstler hat das Bühnenbild entworfen: Ein Steg, an dem Fahrräder lehnen, dunkelgraue Inseln, Benzinfässer, ein Boot mit Körben, in denen sich Miesmuscheln, Rotkohl und dunkel gebrannte Maroni befinden. Op de Beeck führt auch Regie. Und er hat den Text geschrieben, den die Statisten ihren Besuchergruppen zur Einführung vortragen.

Der Blaubart ist die dritte Premiere des neuen Opernintendanten Viktor Schoner, nach dem Lohengrin und dem Gastspiel eines interkulturellen Mozart-"Requiem pour L." am heutigen Mittwoch. Es entbehrt nicht der Ironie, dass sein Vorgänger Jossi Wieler sich kaum vorstellen konnte, für die Zeit der Renovierung auch nur drei Kilometer weit aus dem Stadtzentrum zu ziehen, während Schoner mit Op de Beeck, der auf keinen Fall im Opernhaus inszenieren wollte, mit als erstes nach einer anderen Location suchte. Aber man muss sich nur Schoners Werdegang ansehen: Mit Titus Engel, dem Dirigenten des Blaubart, gründete er 1998 die Akademie Musiktheater heute und gestaltete dann mit dem Intendanten Gérard Mortier die erste Ruhrtriennale.

Inwieweit sich die Industriehalle des alten Paketpostamts für eine Opernaufführung eignet, zeigt der Blaubart aufs Schönste. Das sonore Geräusch der Heizungs- und Lüftungsanlagen mischt sich mit den Tönen der Posaunisten und Harfenisten, die sich schon einmal warm spielen. Später müssen die Anlagen abgestellt werden. Still soll es sein, damit die Musik zur Geltung kommt. Aber draußen ist es kalt geworden. Für die Zuschauer liegen Decken parat, für das Orchester stehen zusätzliche Heizkörper bereit.

Herzog Blaubart hat sich auf seine Burg zurückgezogen. Dorthin folgt ihm Judith, die ihn aus seiner Isolation holen, hinter seine Geheimnisse kommen will. Nach und nach öffnet er ihr seine sieben Schreckenskammern, die eine dunkle Vergangenheit offenbaren, bis es auch für Judith kein Zurück mehr gibt. Man kann dies als typisches Setting einer schwarzen Romantik betrachten und dementsprechen inszenieren: einsame Burg, Hufgeklapper, düstere Verliese, Blut. Daran lag Hans Op de Beeck nichts. Er will vielmehr zeigen, dass in jedem von uns eine Judith oder ein Blaubart steckt.

Op de Beeck kommt von der Bildhauerei, arbeitet aber auch in anderen Medien. Graue Figuren und Gegenstände kennzeichnen viele seiner Werke. Darin kommt eine besondere Realitätsnähe, aber auch ein Abstand vom Alltag zum Ausdruck: wie in einer angehaltenen Handlung, die zur Reflexion einlädt und eine melancholische Stimmung verströmt. So auch im Blaubart. Op de Beeck hat nach eigenem Bekunden der Versuchung widerstanden, in sein Bühnenbild die Türen zu Blaubarts Schreckenskammern einzubauen. Er stellt sich die Dialoge von Blaubart und Judith eher wie ein gewöhnliches Gespräch am Frühstückstisch vor, in dem Judith von ihrem Mann wissen will, was er alles auf dem Kerbholz hat.

Bartóks Oper hat eine wechselvolle Geschichte: Konzipiert schon ab 1911, kam sie kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs in Budapest zur Uraufführung – und wurde alsbald wieder abgesetzt. Dann folgten lange Zeit nur noch einzelne Inszenierungen in großen Abständen, bis der Blaubart nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als der Komponist 1945 verarmt in New York gestorben war, plötzlich überall auf der Welt aufgeführt wurde. Die Schreckenskammern, die dunklen Geheimnisse des Machtmenschen, das viele Blut: darin erkannten die Menschen offenbar auch ihre eigene Umgebung wieder.

Bei Op de Beeck gibt es keine blutroten Flüssigkeiten. Die Weite der Halle und das Gegenüber des 90-köpfigen Orchesters bedingen, dass sich Claudia Mahnke und Falk Struckmann als Judith und Blaubart mächtig ins Zeug legen müssen, um sich Gehör zu verschaffen. Was als Manko erscheinen mag, die großen Distanzen, kann aber umgekehrt auch bedeuten, dass Sängerin und Sänger dem Publikum ziemlich nahe kommen. Sie singen in ungarischer Sprache. Eingeblendete Übersetzungen helfen beim Verständnis. Doch mehr noch als die Sprache vermittelt das dramatische Wogen und Beben des Orchesters das Gefühlsleben der beiden Protagonisten.

Beweist nun der Blaubart nicht, dass das Bahnpostamt eigentlich doch recht gut für ein Opern-Interim geeignet wäre? Aber sicher! Die Frage ist nur, auf welche Risiken man sich einlässt und wie viel Abstriche man in Kauf nimmt. Hendriks verweist darauf, dass der Blaubart nur für rund 450 Zuschauer bestuhlt ist, während im Opernhaus 1404 Platz finden. Dies ist nun zugegeben ein großer Unterschied. Aber am meisten Platz in der Bartók-Oper braucht das riesige Wasserbassin. So wie der Raum durch Vorhänge abgegrenzt ist, fänden bei einer kleineren Bühne viel mehr Zuschauer Platz.

Damit ist im Bahnpostamt die Grenze des Möglichen immer noch nicht erreicht. Allerdings lässt sich der Raum auch nicht beliebig ausweiten, schon aus akustischen Gründen. Andererseits wird sich die Akustik des Interims aber ohnehin nie mit der Elbphilharmonie vergleichen lassen. Dass es auch mit weniger geht, zeigt das Theaterhaus, wo der Veranstalter Musik der Jahrhunderte beim jährlichen Eclat-Festival schon zahlreiche erstklassige zeitgenössische Musiktheaterwerke zur Aufführung gebracht hat, wenn auch nicht immer vor einem großen Auditorium. Immerhin fasst der große Saal dort auch über 1000 Plätze.

Die Befürchtung der Intendanzen ist also, dass diejenigen Zuschauer, die vielleicht ohnehin nicht zu einem Bartók kommen, aber für einen Verdi oder Donizetti bis zu 109 Euro hinlegen, der Oper während der Sanierung des Großen Hauses verloren gehen. Nur so erklärt sich, dass für das Interim ein Aufwand veranschlagt wird, der sich im Fall des Paketpostamts auf 116 Millionen belaufen soll, in der nun von OB Kuhns Task Force vorgeschlagenen neuen Variante an der Wagenhalle immer noch auf 89 Millionen, während die Genfer Oper für ihr Interim nicht mehr als 11,5 Millionen Schweizer Franken gebraucht hat: kaum mehr als zehn Millionen Euro.

Man kann nun die hohen Ansprüche an Bühnenbild und neueste technische Standards mit Zähnen und Klauen verteidigen, um ein tendenziell älter werdendes, gut situiertes Publikum wie gehabt mit Opernklassikern wie vor 100 Jahren zu verwöhnen. Oder man kann versuchen, neue Wege zu gehen: neuere Stücke, ungewohnte Formate, ungewöhnliche Orte. Viktor Schoner hat dafür eine Vorliebe, wie der Blaubart zeigt. Und er hat auf diesem Gebiet seit der Ruhrtriennale 2002 einige Erfahrungen gesammelt. Ein neues, jüngeres Publikum wird sich ohnehin nur auf diese Weise erreichen lassen.

Warum also nicht den Engpass der Sanierung des Opernhauses nutzen, um eine Erneuerung in Gang zu setzen, statt auf Teufel komm raus an Pomp und aufwendiger Bühnentechnik festzuhalten? Das Kapital der Oper ist nicht der technische Bühnenzauber, das Kapital sind die Musikstücke, die Sängerinnen und Sänger, die Musiker und alle, die an einer Opernproduktion beteiligt sind. Die können auch aus einem unwirtlichen Ort wie dem alten Paketpostamt etwas machen, was in mancher Hinsicht sogar der Routine der gut geölten Abläufe im klassischen Spielbetrieb überlegen ist. Wie der Blaubart beweist.


Von "Herzog Blaubarts Burg" wird es nur vier Aufführungen geben. Die Premiere am Freitag ist bereits ausverkauft. Für die anderen drei Aufführungen, vor allem am Sonntag den 4. und Sonntag den 11. November <link https: www.oper-stuttgart.de spielplan kalender herzog-blaubarts-burg external-link-new-window>sind noch Karten zu haben


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2 Kommentare verfügbar

  • Uly Bear
    am 31.10.2018
    Antworten
    ein sehr vernüftiger Beitrag zu einem dilletantischen Planungsdesaster. Man braucht im Interim keinen 30 Mil teueren Bühnenturm. Stuttgart hat eine avantgardistische Tradition der Oper für aussergewöhnliche Inszenierungen. Das Paketpostamt und andere Orte sind die richtigen Orte für neue Sichten…
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