50 Tage jeden Tag neu, wieder in eine unbekannte Welt loslaufen, manchmal bis an die physischen Grenzen. "Die Fortbewegungsart Laufen ist allen überall sympathisch, das finden alle toll. Du machst nix kaputt, bist leise, du störst nicht."
Gleichzeitig habe ich auch erlebt: Niemand in diesem Land läuft, sobald man aus den Städten rauskommst. Nur mit dem Hund Gassi gehen. Oder Eltern mit Kinderwagen. Mal ein Pilzsammler. Sonst Fahrrad vielleicht oder Moped, Traktor und – Auto, Auto, Auto.
Die Menschen seien ungeheuer patriotisch, überall. "Aber nicht national, sondern nach Regionen", sagt Andreas. Die Leute interessiere nicht Nordrhein-Westfalen oder Hessen, sondern Bergisches Land, Sauerland, Waldecker Land. "Irre Zugehörigkeitsgefühle gibt es da. Wenn du gesagt hast, hier im Bergischen Land, kam die Antwort: Nein, hier ist längst das Oberbergische. Da hinten ist doch die Grenze."
Und Politik, Wahlkampf? "Fast null Interesse ringsum. Wir mögen die gebildeten Städter sein, aufgeklärt und wissend; dass wir was anderes erwarten. Das ist unsere Arroganz." Es gehe den meisten um den eigenen Ort, die Region. "Trump zum Beispiel, das wird am Rande wahrgenommen, auch die Wahl. "Hier ist wichtig: wird der Bach wirklich gesperrt, tritt der dann über die Ufer und meine Heuernte ist hin?" Es sei politisch viel weniger los "als die komprimierten Bilder in den Medien zeigen". Und Wahlplakate? "Am meisten durchgehend überall diese FDP."
Grenzüberschreitung
Wir waren einig, dass sich mit dem Überschreiten der alten Grenze nach Thüringen sofort etwas geändert hatte: Die Leute auffallend freundlich, hilfsbereit und zugewandt. Ja, und alle grüßen einen ständig, selbst megacoole Teenager.
Kaum dass man von Hessen nach Thüringen kam, änderte sich noch etwas sofort: unzählige Wahlplakate von NPD und AfD an den Laternenpfählen. Das war erschreckend. Ein Plakat zeigte das Antlitz des armen Martin Luther. "Ich würde NPD wählen", stand da frech, mit dem Hinweis, "ich könnte nicht anders." Pegida ein paar Wochen später in Dresden war zum Gruseln: verbiesterte Gesichter, grunzdumme Plakate, beängstigende Hetzreden.
Wir lernten Edgar Vardanyan kennen. Er stammt aus Armenien; 1999 ist er mit seinen Eltern geflüchtet wegen Perspektivlosigkeit in einem hochkorrupten Land. Jetzt führen er und seine Lands-Frau die Pizzeria Paradies im nordthüringischen Städtchen Uder an der Leine. Edgar hat gefragt, was Andreas nach Uder verschlagen habe. "Ich wandere durch das Land." Wie, ganz allein? Ja. "Haben Sie da keine Angst?" Nein, wovor? "Na, vor – Flüchtlingen?", sagt Edgar. Welche Flüchtlinge?, fragt Andreas. Naja, sagt Edgar, hm, vielleicht sei das auch Quatsch. Man lernt viel über Deutschland und seine Einwohner. Auch über ehemalige Asylbewerber mit spontaner Angst vor Asylbewerbern.
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