KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Das ist ja wie früher

Das ist ja wie früher
|

Datum:

Am 26. September 1978 erschien die Nullnummer der Berliner "Tageszeitung", nun wird die taz 40. Unser Autor war ab 1983 dabei, erst als Koch, später als Chefredakteur, und stellt beruhigt fest: Die taz ist immer noch der gleiche Chaotenhaufen. Eine Schaubühne zum Geburtstag.

Zurück Weiter

Ich sitze auf dem Balkon und lese das neue Buch von Robert Seethaler. Das Telefon klingelt.

Micha ist dran, du, wie geht es dir, ist deine Mailadresse noch aktuell, hör mal, wir machen eine "Veteranen-taz" zum vierzigsten Jahrestag der ersten Nullnummer, ja, Thoha und Vera sind auch dabei, wir hatten gestern eine Redaktionssitzung, am Tag des Erscheinens ist Erdoğan hier, das machen wir groß, der Jürgen schreibt, aber es ist auch der Tag, an dem die Europameisterschaft vergeben wird, Fußball, Deutschland oder die Türkei, das ist die Frage, sag mal, fällt dir dazu was ein, eher was Lustiges, wir dachten, du könntest...

Wir reden noch eine Weile über die Zipperlein älterer Männer, Arthrose, Knie, Bandscheibe, was, du kickst immer noch in der taz-Betriebssportgruppe? Ich sage, ich würde mir zum Fußball etwas ausdenken. Er sagt, er rufe auch noch Matti an, ob dem etwas dazu einfalle, dann ist ein lautes Geräusch zu hören und Micha ruft: "Mein Krypto klingelt, da muss ich ran!" Hat der 'ne Meise? Wir reden unverschlüsselt über Arthrosen, und er hat ein abhörsicheres Krypto-Handy? Bestimmt hat er inzwischen eisgraue Haare, aber seine Stimme klang frisch wie früher.

Ich sitze wieder am Seethaler, als das Telefon klingelt. Andreas ist dran. Die Stimme – charmant wie früher. Er sagt, du, wir planen gerade eine "Veteranen-taz", und das ist der Tag, an dem Erdoğan... Ich unterbreche ihn und frage, ob er mir nun dasselbe erklären wolle wie Micha vorhin? – Ach, Micha hat schon angerufen, na ja, wir hatten nur besprochen, wen wir anrufen, aber nicht ausgemacht, wer wen anrufen soll. – Ich muss meckernd lachen und sage noch, ihr seid ja genauso wie früher, ein Chaotenhaufen.

Vielleicht wäre ein Quiz das Richtige, überlege ich, um das Duell Deutschland - Türkei zu karikieren. Bei jeder Frage müsste die Türkei ganz klar gewinnen. 0:30 für die Türkei! Das Ergebnis dürfte Erdoğan gefallen. Eine kleine Recherche zeigt, das ginge locker. Die Türkei ist korrupter als Deutschland. Die Türkei hat ein Dutzend Berge, die höher sind als die Zugspitze. Die Türkei hat mehr Einwohner. Die Türkei verstößt häufiger gegen Menschenrechte. In der Türkei werden mehr Sesamkringel gegessen. Die Türkei nahm mehr deutsche Fußballtrainer in Lohn und Brot als umgekehrt (Christoph Daum, Werner Lorant, Joachim Löw, Hans-Peter Briegel, Horst Hrubesch, Holger Osieck, Jörg Berger, Friedel Rausch, Falko Götz uswusf.).

Ich nehme den Seethaler zur Hand, die "Veteranen-taz" kann noch warten. Am nächsten Morgen poppt eine Mail von Micha auf: "Lieber Thömmes, Matti hat eine kleine, aber feine Glosse zur Vergabe der EM geliefert. Die Anfrage von gestern ist daher gegenstandslos." Ich kichere wie hirnlos. Das ist ja wie früher. Matti hat meist an einem vorbei gearbeitet, nie mit einem zusammen. Rufe eine alte taz-Kollegin an und erzähle alles. Sie prustet, gluckst, schnaubt, giggelt. Dazwischen stößt sie einzelne Worte hervor. Das – ist – ja – wie – früher.

Zum Geburtstag ein Buch. Ab morgen will die taz fast sieben Monate lang ihren 40sten feiern – am 27.9.1978 erschien die erste von mehreren Nullnummern, am 17.4.1979 die erste tägliche Ausgabe. "Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie", so lautete das Credo der frühen taz-Macher, und prompt gelang es: die erste Etablierung einer überregionalen Tageszeitung seit den 1950er Jahren und der Aufbau des größten selbstverwalteten Unternehmens in Deutschland. Zum Geburtstag erscheint nun "40 Jahre taz – Das Buch" und präsentiert vier Jahrzehnte taz- und Weltgeschichte, im Großformat auf 400 Seiten für 40 Euro. Mehr zum Buch hier und auf Youtube. (sw)

Es ist schon eigenartig: Die Welt verändert sich, nur taz-Mitarbeiter und ihre Stimmen ändern sich niemals. Ich greife wieder nach dem wunderbaren neuen Seethaler, er heißt "Das Feld". Ein interessantes Konstrukt, in diesem Buch erzählen nur die Toten. Ganz so weit ist die taz noch nicht.


Norbert Thomma, geboren 1951 in Heilbronn, war ab 1983 bei der taz, erst parallel als Kantinenkoch und Redakteur der Sportseite "Leibesübungen", die er auch mitbegründete, Mitte der 90er Jahre dann als Chefredakteur. 1996 verließ er die taz, war zuletzt bis 2017 leitender Redakteur des "Tagesspiegel". Heute lebt und arbeitet er als freier Publizist in Berlin und absolviert gelegentlich Praktika in Sternerestaurants.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


2 Kommentare verfügbar

  • Uwe Voigt
    am 01.10.2018
    Antworten
    Euer schlechtester artikel seit jahren
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!