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Hinter der Vitrine liegt der Strand

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Wo bitte geht's zur Revolte? Wir haben einen kleinen Reiseführer zu Ausstellungen über 1968 im Südwesten zusammengestellt. Protesttouristen können im Badischen Landesmuseum sogar checken, ob sie überhaupt revolutionsgeeignet sind.

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"Sous les pavés, la plage!" – "Unter dem Pflaster liegt der Strand" wurde Ende der Sechziger Jahre zu einem der bekanntesten Sponti-Sprüche. Geprägt wurde er während der Pariser Maikämpfe, die am 3. Mai 1968 mit der Besetzung der Universität Sorbonne begannen und in den darauf folgenden Wochen zu den heftigsten Auseinandersetzungen im Rahmen der 68er-Bewegung innerhalb Westeuropas wurden. Der junge Fotograf Philippe Gras dokumentierte die Kämpfe mit der Kamera und schuf dabei einige der ikonischen Bilder des Pariser Mai. Gras fotografierte nicht nur die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Polizei, sondern auch die ruhigen Momente dazwischen, und noch heute fasziniert die künstlerische Qualität der Aufnahmen. Seine Fotografien sind ab 24. April in der Ausstellung "Au coeur de mai 68" ("Im Herzen des Mai 68") im <link http: ccf-fr.de events vernissage-au-coeur-de-mai-1968 external-link-new-window>Centre Culturel Français Freiburg (CCFF) zu sehen.

Was für Paris die Maikämpfe, das waren für Freiburg die Fahrpreiskämpfe. In der ersten Februarwoche 1968 demonstrierten Schüler und Studenten gegen die vom Gemeinderat beschlossenen Fahrpreiserhöhungen, und das ziemlich heftig: Im Laufe der Proteste kam es in der Bertoldstraße erstmals in Baden-Württemberg zum Einsatz von Wasserwerfern durch die Polizei, außerdem zu massivem Schlagstockeinsatz. "Es lag was in der Luft. Es war das lang erwartete Signal, dass wir, die Jungen, uns das nicht mehr gefallen lassen", erinnert sich der Schriftsteller Wolfgang Schorlau, der Teilnehmer des damals so genannten "Aufruhrs" am Bertoldsbrunnen war, den er auch in seinem <link https: www.kontextwochenzeitung.de debatte einer-wie-paul-393.html external-link-new-window>autobiografisch inspirierten Roman "Rebellen" verarbeitet hat. "Aufruhr am Bertoldsbrunnen" heißt nun auch <link https: www.koki-freiburg.de filme external-link-new-window>eine Ausstellung im Freiburger Kommunalen Kino (Koki), die mit Fotografien von Werner Pragher und Dokumenten aus dem Archiv für soziale Bewegungen die Fahrpreiskämpfe und deren kulturelles Umfeld nachzeichnet.

Wer noch mehr über die Breisgau-Metropole wissen will: Im "Uniseum", <link https: www.studiumgenerale.uni-freiburg.de studium-generale vortragsreihen external-link-new-window>dem Museum der Freiburger Uni, wurde bereits im vergangenen Jahr die Dauerausstellung um eine Darstellung der Protestjahre von 1951 bis 1968/68 erweitert. Zum Themenbereich "Wilde, milde Jahre – 1968 und die Freiburger Universität" finden regelmäßig Sonderführungen statt. 

Stuttgart: Von Bildern und Mode der Revolte

Wechselseitige deutsch-französische Betrachtungen <link https: stuttgart.institutfrancais.de kalender veranstaltung external-link-new-window>erlaubt auch das Institut Francais in Stuttgart: In "Bilder der Revolte" werden Plakate der 68er-Bewegung aus Deutschland und Frankreich gegenüber gestellt. Dabei zeigen sich nicht nur thematische Gemeinsamkeiten, von Kritik an Autoritäten und am Kapitalismus bis hin zum Kampf um die sexuelle Befreiung, sondern auch grafische: Ein prägnant reduzierter, comic- oder karikaturenhaft wirkender Stil findet sich in den Plakaten aus beiden Ländern. Als Kontrast dazu zeigen die Werke des aus Grenoble stammenden Künstlers Johann Rivat ganz andere Bilder der Revolte: Oft fast fotorealistisch wirken seine großformatig gemalten oder gezeichneten Szenen, die sich aus aktuellen Protestbewegungen bedienen – und irgendwo zwischen dokumentarischem Stil und heroischer Inszenierung schwanken. Das Klischee, dass die Franzosen protestfreudiger als ihre östlichen Nachbarn sind, scheint dabei auch die <link https: stuttgart.institutfrancais.de kultur kunst-architektur der-sinn-der-revolte-mai-68-heute external-link-new-window>umfangreiche Veranstaltungsreihe "Der Sinn der Revolte – Mai 68 heute" des Institut Francais zu bestätigen. Dabei geht es am 12. April auch um "Jean-Luc Godard und die Ästhetik von Mai 68" und am 19. April wird über Popkultur in den 1960er Jahren in Deutschland und Frankreich" diskutiert

Nicht nur um die Studentenproteste, aber auch um sie dreht sich ebenfalls in Stuttgart die Schau "... denn die Zeiten ändern sich. Die 60er-Jahre in Baden-Württemberg" <link https: www.hdgbw.de ausstellungen ausstellung external-link-new-window>im Haus der Geschichte. Die Ausstellung ist in die Bereiche "Musik", "Geschlechterverhältnisse", "Mode", "Protest", Eskalation" und "Freiräume" gegliedert, entsprechend sind neben vielen Fotos auch Miniröcke und Schlaghosen, eine Packung Antibabypillen, ein Stuhl, auf dem Jimi Hendrix in einem Stuttgarter Musikgeschäft saß und Rudi Dutschkes Aktentasche zu finden.

Protesttouristen sollten sich auch noch auf die andere Seite des Neckars nach Bad Cannstatt wagen, denn dort zeigt das Stuttgarter Stadtarchiv noch bis zum 4 Mai die bereits in <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne proteststadt-stuttgart-4785.html internal-link-new-window>Kontext besprochene Ausstellung "Kessel unter Druck". Sie nimmt die Protestinitiativen in der Stadt von 1945 bis 1989 in den Blick – und dokumentiert dabei natürlich auch die 1968 hier stattgefundenen Demonstrationen, Sit-ins und Kundgebungen.

Proteste und Revolten auf regionaler Ebene gegenüberstellen, vergleichen – das tut auch das Stadtmuseum Tübingen in seiner <link https: www.kontextwochenzeitung.de zeitgeschehen tuebinger-revoluzzer-5008.html internal-link-new-window>aktuellen Ausstellung "Tübinger Revolten – 1848 und 1968". Interessante, über Tübingen hinausreichende Erkenntnisse gibt es dabei etwa zur Rolle der Frauen.

Karlsruhe: Bewegungen in der Stadt und weltweit

Ausgerechnet in Heidelberg, neben Freiburg Ort der heftigsten Studentenproteste in Baden-Württemberg, ist keine Ausstellung zu 1968 geplant, wohl aber im rund 50 Kilometer südlich gelegenen Karlsruhe. Im dortigen Stadtmuseum <link https: www.karlsruhe.de b1 stadtgeschichte stadtmuseum karlsruhe1968.de external-link-new-window>heißt es ab dem 27. April "Bewegt euch!". In der Schau soll es nicht nur darum gehen, was im Protestjahr in Karlsruhe los war, sondern vor allem, welche Auswirkungen dies hatte. Die Haltungen der Neuen Sozialen Bewegungen, seien von 1968 geprägt worden, sagt Kuratorin Alexandra Kaiser: "Eine Demokratisierung der Gesellschaft voranzutreiben, gegen falsche Zielsetzungen 'von oben' und gegen Unrecht aufzustehen, Aufklärung zu leisten und zu versuchen, die Welt wenigstens ein Stück besser zu machen". Diese Bewegungen, von Umwelt- über Anti-AKW- und Friedens- bis hin zur Hausbesetzerbewegung, bilden den Schwerpunkt der Ausstellung. Dabei sollen auch ZeitzeugInnen in 23 Interviewfilmen zu Wort kommen und viel neues – oder verschüttetes – Material präsentiert werden.

Und nicht zuletzt geht es um die Frage: Was bleibt eigentlich heute von 1968? Gemessen an einem Ziel vieler der damaligen Studenten – Weltrevolution! – ist die Antwort einfach: Die Bundesrepublik und andere westliche Staaten hatten sich als nicht ausreichend revolutionsbereit erwiesen. Aber was macht überhaupt eine richtige Revolution aus? Anlässlich der vielen Jubiläen im Jahr 2018 – neben 1968 auch die Revolution von 1848/49 oder die Novemberrevolution 1918 – will sich <link http: www.landesmuseum.de website deutsch sonderausstellungen vorschau revolution_.htm external-link-new-window>das Badische Landesmuseum in Karlsruhe in der Ausstellung "Revolution! Für Anfänger" ab dem 21. April ganz grundsätzlich mit dem Thema befassen.

Der Titel ist dabei doppeldeutig: Zum einen sollen beginnend mit der Französischen Revolution 1789 zeit- und länderübergreifend Revolutions-, Aufstands- und Protestbewegungen betrachtet, ihre Ursachen, Abläufe und Zusammenhänge vergleichend unter die Lupe genommen werden. Zum anderen werden in einem Teil der Ausstellung die BesucherInnen selbst mit einbezogen. In einem interaktiven Spiel können sie, wie es in der Ankündigung heißt, ihr eigenes revolutionäres Potential ausloten. Dafür müssen sie sich an mehreren Stationen immer wieder entscheiden: Wie würde ich in dieser Situation handeln? Wo liegt meine Schmerzgrenze, um gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen? Ob die Auswertung am Ende den einen oder anderen Salonrevolutionär zum Grübeln bringt, bleibt abzuwarten.


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2 Kommentare verfügbar

  • Kornelia E.
    am 13.04.2018
    Antworten
    Mißtrauisch wie ich geworden bin frage ich mich natürlich:
    wem nützen all diese musealen Denkmäler?
    Kann es sein, dass diese "damals waren wir Helden" Schauen davon abhalten sollen, massiv zu Selbst-Kritikern des Heute und insbesondere des Morgen zu werden und damit zu Impulsgebern und Anregern?
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