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Aus Karl Marx Kapital schlagen

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Die Warengesellschaft schlägt zurück. Zu seinem 200. Geburtstag wird Karl Marx als Marke gemolken. Puppen, Büsten, T-Shirts – selbst Unterhosen schmückt das bärtige Konterfei des kommunistischen Philosophen. Sein kapitalismuskritisches Hauptwerk wird indessen als Wertpapier gehandelt.

Neben dem Gartenzwerg gibt es auf Erden vermutlich nichts spießbürgerlicheres als die Sparbüchse. Schon Kleinkinder sind durch die Dosen angehalten, sorgsam mit ihrem Geld umzugehen, Kapital zu akkumulieren und es vor gierigen Langfingern zu bewahren, die mutmaßlich sogar in der eigenen Familie lauern könnten. Für beides, die Sparbüchse wie den Gartenwerg, muss anlässlich seines bevorstehenden Geburtstages der vielleicht größte Kopf des Kommunismus ungefragt Modell stehen. "Sichere dein Kapital, wie es Karl Marx selbst auch getan hätte", appelliert der Hersteller Kikkerland auf Amazon, der damit eine Büchse in Büstenform vermarkten möchte, und fragt launig: "Would Marx have enjoyed the joke?"

Nun ist es müßig, darüber zu spekulieren. Zumindest aber <link http: www.zeno.org kulturgeschichte m anhang external-link-new-window>schrieb Karl Marx in einem Brief an den Sozialdemokraten Wilhelm Blos von einem "Widerwillen gegen allen Personenkultus", er gebe "keinen Pfifferling auf Popularität", heißt es an gleicher Stelle. Womöglich hätte der Philosoph also wenig Freude daran gefunden hätte, wie er anlässlich seines 200. Geburtstages als Marke gemolken wird. Doch die Marx-Industrie hat auch ihre positiven Seiten: Pseudolinke Trendkasper auf der Suche nach dem passenden Lifestyle-Accessoire werden hier womöglich fündig – und befördern damit aktiv die Ausbeutung von FabrikarbeiterInnen, die massenweise Ramschware zu Billigpreisen produzieren.

Passend zum Jubel-Jubiläum gibt es nun also einschlägige T-Shirts und Tragetaschen, mit denen man sich selbst zur wandelnden Werbefläche macht, etwa bei redbubble.com. Ali Express hat im Onlineshop ein Schlafkissen parat, auf dem Marx zusammen mit Lenin, Stalin, Mao und Castro Party macht. Und wer es braucht, kann sich das Konterfei des Kommunisten zum Beispiel bei spreadshirt.de sogar auf den Schlüpfer drucken lassen.

Selbst in die Welt der Videospiele ist Marx vorgedrungen: Der Denker hat einen Gastauftritt in "Assassin's Creed Syndicate", dem achten Teil eines Multimillionen-Dollar-Franchises, dessen Markenzeichen der glorifizierte Auftragsmord darstellt: Als einer von zwei Assassinen-Brüdern streift der Spieler durch die Straßen Londons, begegnet dort verschiedenen historischen Figuren wie Charles Darwin oder Königin Victoria, und tötet Zielpersonen, damit die Handlung voranschreitet. Schließlich begegnet man auch Karl Marx, beschützt ihn vor der Polizei und anderen Attentätern, und sammelt für den Kommunisten Beweise, dass ein Fabrikbesitzer seine Arbeiterschaft ausbeutet.

Ob sich die Geschichte nun als Tragödie abspielt oder als Farce wiederholt, in jedem Fall geizt sie nicht mit Ironie: So beherbergt das Trierer Wohnhaus der Familie Marx heute einen Ein-Euro-Laden. Und eine "Das Kapital"-Erstausgabe mit Widmung von Karl Marx hat im Juni 2016 für knapp 250 000 Euro den Privateigentümer gewechselt. Sehr zum Missfallen von Wissenschaft und BuchhändlerInnen, die gerne die handschriftlichen Anmerkungen studieren würden, aber bei diesen Preisen nicht mithalten können. Die Rendite ist jedenfalls deftig: Kaum ein Jahr später taucht, <link https: www.neues-deutschland.de artikel external-link-new-window>wie die Tageszeitung "Neues Deutschland" berichtet, dasselbe Exemplar bei einem österreichischen Händler auf, der nun den stolzen Preis von 1,5 Millionen Euro verlangt. Aus der kapitalismuskritischen Schrift ist ein Wertpapier geworden.

Als "Das Kapital" 1867 auf den Markt kam, war die Nachfrage überschaubar. Vier Jahre sollte es dauern, bis die Erstauflage von 1000 Exemplaren vergriffen war, bei einem Stückpreis von etwas mehr als drei Talern. Das war damals zwar genug, um sich und seine Familie ein paar Tage lang zu ernähren. Heute allerdings entspricht der Wert derselben Ware einem schicken Ferienhaus am Strand – oder etwa der Hälfte dessen, was sich die BMW-Großaktionäre Susanne Klatten und Stefan Quandt an einem Tag durch ihren Aktienbesitz dazuverdienen (im vergangenen Jahr betrug ihre Dividende <link http: www.manager-magazin.de finanzen artikel bmw-eine-milliarde-euro-fuer-stefan-quandt-und-susanne-klatten-a-1139896.html external-link-new-window>laut "Manager Magazin" 1,074 Milliarden Euro, also knapp drei Millionen Euro pro Tag).

Dass der quasi-religiöse Glauben an ein bisschen Papier, dessen Kraft allein auf Projektion beruht, zu einem Einkommen verhelfen kann, welches durch Lohnarbeit in Jahrhunderten nicht zu verdienen ist, während andernorts das Monatsgehalt trotz 40-Stunden-Woche nicht zum auskömmlichen Lebensunterhalt genügt, ist ein Konzept, das getrost als bürgerlich-absurd abgetan werden kann.

In diesem Zusammenhang sind Marx' Ausführungen zu Waren-, Kapital- und Geldfetischismus erhellend. Und wenn nun dem ganzen Geburtstagstrubel etwas Gutes abzugewinnen ist, dann vermutlich, dass auch den Inhalten vermehrt Plattformen geboten werden. <link https: marx200.org blog die-sache-mit-dem-fetisch external-link-new-window>Nur beklagen Fachleute bisweilen, dass die Trennschärfe einiger Argumentationsketten, wie sie in den Ausgangstexten zu finden sind, unter manchen der zahlreichen Aufbereitungsversuche leide. Weil Philosophen jedoch in aller Regel Überlegungen anstellen, wie sie die ihren Thesen zugrundeliegenden Gedanken am geschicktesten darstellen, lässt sich eine gelungene Hinführung für alle wahrhaft Interessierten glücklicherweise auf den Ratschlag reduzieren, das Marxsche Werk im Original zu studieren.


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1 Kommentar verfügbar

  • Peter Meisel
    am 05.04.2018
    Antworten
    Wer 150 Jahre zu spät kommt und hat seine Werke bis heute weder gelesen oder verstanden, der sollte sich die warmen Unterhosen kaufen, aber gefüttert, denn die Geschichte wiederholt sich gerade!
    Im Kapital wird der Kapitalismus als Wirtschaftssystem verstanden zu dem auch die Krisen gehören. Diese…
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