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Bartbildner mit Zwirbelkompetenz

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 Fotos: Jens Volle 

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Die boomende Beliebtheit des Bartes verhilft einem ganzen Berufszweig zu neuer Blüte und bundesweit sprießen Barbiere aus dem Boden. Für Shpëtim Osmani, der das Handwerk nach alter Schule erlernt hat, ist die Rasur ein Ritual.

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Ein grobschlächtiger Lederjackenträger kommt zur Tür hereingestrotzt, angespannte Haltung, grimmiger Blick und ein riesiger Rauschebart, wie ihn so viel Manneskraft beinahe zwingend voraussetzt. Er manövriert sich unbeholfen durch den kleinen Barbiershop, lässt sich ungelenk auf einen olivgrünen Ledersessel plumpsen, die Jacke hat er immer noch an, und erst als er sich unbeobachtet wähnt, traut er sich, ein bisschen locker zu lassen. Doch später schnurrt er beharrlich, während ihm Ladeninhaber Shpëtim Osmani die Kopfhaut massiert, und als ihm dann, kurz darauf, ein mit Babypuder bestrichener Pferdehaarpinseln über die Wangen wedelt, entweicht ihm doch glatt ein kleines Stöhnen.

"Ein paar haben erstmal schon Probleme, sich fallen zu lassen," erzählt Osmani, der schon sein Leben lang Timi gerufen wird. Seinen gleichnamigen Laden am Hölderlinplatz im Stuttgarter Westen, eröffnet vor fünf Jahren, hat er im Vintagestil eingerichtet, das kabellose Telefon ist hinter einem analogen mit Drehscheibe versteckt. Direkt nebendran steht eine alte Torpedo-Schreibmaschine, auf der sich die 2-, die 3- und die K-Taste ins Dunkle verfärben. Dazu laufen Jazz, Soul und 50er-Jahre Swing. Gemütlich soll's sein, betont der Barbier.

Ist das nicht widersprüchlich? Wellness für harte Kerle? Osmani lacht. "Manchmal sagen welche: Die Kopfmassage sollte besser eine Frau machen. Aber in Wahrheit genießen sie es trotzdem." Sie arbeiten hier zu dritt, zwei jüngere Kollegen hat er angestellt, Marko Liebs und Maximilian Wasmer, beide überzeugte Bartträger. Einmal ein markanter, dichter Schnauzer, einmal ein Hybrid aus Schnur-, Ziegen- und Backenbart.

Im Hintergrund setzt ein Saxophonsolo ein, während Wasmer, auf einem Bein wippend, einem Vorzeigehipster Ende 20 die Nasenhaare im Takt trimmt. Ein anderer Kunde, dessen Kopfhaar sich schon in jungen Jahren lichtet, ist nun umso besorgter um seinen einige Zentimeter langen Bart: "Ich möchte heute nur die Spitzen schneiden", teilt er Liebs mit und fügt sorgenvoll hinzu: "Es soll halt am Ende noch Bart übrig sein." Liebs mustert den Bart, als betrachte er gerade einen Monet im Louvre. Er kann den Patienten schnell beruhigen.

Es sei schwierig, gutes Personal zu finden, erzählt Osmani. Um in Deutschland einen Barbiershop eröffnen zu können, braucht es eine Ausbildung zum Friseurmeister. Eine Spezialisierung auf Gesichtshaar ist in aller Regel kein Teil der Lehre, was laut Osmani zum Beispiel dazu führe, dass in Deutschland kaum jemand schmerzfrei Nasenhaare entfernen könne. Der 37-Jährige findet es schade, dass es keine eigene Barbierausbildung gibt, denn "eigentlich ist das ein sehr traditionsreiches Handwerk". Ein Handwerk, das er selbst im Kosovo erlernt hat, wo er schon im Alter von 14 Jahren für die Familie mit dazuverdienen musste.

Vom Revoluzzerbart zum haargewordenen Untertanenbewusstsein

Bis ins 19. Jahrhundert beschränkten sich Barbiere nicht allein darauf, Gesichtsbehaarung zu trimmen, sie zogen zudem Zähne oder legten bei Bedarf auch mal einen Aderlass. Mit Fortschritten in der Medizin suchten Patienten jedoch zunehmend professionelle Ärzte auf. Als schließlich Rasierhobel auf den Markt drängten, war die Barbierbranche vollends in der Krise, zumindest in Europa. Nun allerdings verhilft der Hipsterhype einem ganzen Berufszweig zu neuer Blüte: Bundesweit sprießen Barbiershops aus dem Boden wie Barthaare aus den Backen testosterongeplagter Teenager.

Trotz dieses seit Jahren anhaltenden Booms ist der europäische Bart im Vergleich zu früheren Jahrhunderten einem massiven Bedeutungsverlust ausgesetzt. So war es im Mittelalter nicht unüblich, bei seinem Barte zu schwören. Doch mit einem zunehmend "aufgeklärten Weltbild wird der exponierte Bart als medialer Träger der Macht gesellschaftlich nicht mehr als metaphorischer Ausdruck göttlicher Omnipotenz wahrgenommen", schreibt die Philosophin Christina Wietig in ihrer Doktorarbeit über die "Kulturgeschichte des Bartes von der Antike bis zur Gegenwart". Die bewusste Formgebung eines Bartes, führt sie darin aus, sei demnach "Ausdruck einer kulturellen Überhöhung und somit Bestandteil des zeitgemäßen mentalen Körperbildes der jeweilig konventionellen anthropologischen Körperbildästhetik."

Je nach Kontext ist die Bartphänomenologie damit nicht nur ein modisches Statement, die Gesichtsbehaarung kann auch zum Träger für politische Botschaften werden. So begnügte sich die vermaledeite Bourgeoise während der Industrialisierung nicht damit, das Proletariat um Produktionsmittel zu prellen. Sie nahm der Arbeiterschaft obendrein ein Stück ihrer Identität, indem Konservative zusehends begannen, den ikonischen Revoluzzerbart zu adaptieren, zu schniegeln und damit zu verunstalten. Spätestens seitdem patriotische Preußen anfingen, den imposanten Backenbart ihres Kaisers Wilhelm I. zu imitieren, mutierte das einstige Symbol der Auflehnung gegen die herrschende Klasse vollends zum haargewordenen Untertanenbewusstsein (siehe Wietig: "Die Nachahmung der monarchischen Bartform als politisches Symbol der Kaisertreue und der Konformität").

Der Bart ist ein Bluff

Dass es ideologisch denkbar unterschiedlich ausgerichteten Gruppen gelungen ist, einen bestimmten Barttyp als identitätsstiftendes Symbol für sich zu vereinnahmen, verdeutlicht die universelle Beliebigkeit der Bedeutungen, mit denen die Gesichtsbehaarung versehen werden kann. Dabei handelt es sich um einen Mythos, dass ein üppiger Bartwuchs ein Zeichen für Männlichkeit und Dominanz darstellen muss. Eine Korrelation zur Körperkraft liegt nicht vor. Vielmehr ist der Bart ein Bluff: So kann er jene Gesichtspartien verdecken, <link https: www.spektrum.de wissen was-wir-ueber-baerte-wissen-und-was-nicht _blank external-link-new-window>die direkte Rückschlüsse auf die Muskulatur ihres Trägers zuließen. Vielleicht dient eine kraftvoll-krause Bartbastion auch dazu, verkappte Unsicherheiten hinter ihr zu verstecken

Sicher ist jedenfalls: Wie ein adonisähnlicher Astralkörper meist nicht ohne Training zu erlangen und instandzuhalten ist, setzt auch beim Prachtbart Schönheit Schmerz voraus. So berichten langjährige Vollbartträger von einem fiesen Piksen beim Wachsenlassen, das könne bisweilen ganz schön jucken. Und anschließend muss das Gesichtshaar gepflegt werden, um schön geschmeidig zu bleiben. Timi Osmani rät dazu, den Bart täglich einzuölen und zu bürsten, "damit das auch ordentlich aussieht".

Aus dem gleichen Grund schneidet er seinen eigenen Bart nicht selber: "Das ist unmöglich, das bei sich selbst so präzise hinzubekommen", sagt er mit sichtlichem Stolz. Also schneiden sich die Drei bei Timi ihre Bärte gegenseitig. Der Ablauf ist dabei der gleiche wie bei den Kunden, Osmani nennt dieses Prozedere gar "ein Ritual, das Ruhe bringt". Eine ganze Stunde nehmen sie sich im Schnitt Zeit für das Gesamtpaket, das neben der Rasur auCH einen Haarschnitt umfasst und stolze 70 Euro kostet. Dafür gibt es neben warmen Kompressen und einer Kopfhautmassage, wenn gewollt, zum Abschluss einen frischen Duft aufgesprüht. Der Lederjackenträger, der gar nicht mehr so grimmig guckt, wünscht sich Lavendel.


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