KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Mimimi und Blablabla

Mimimi und Blablabla
|

Datum:

Die platten Phrasen lauern überall, und kaum ein Schritt durch den öffentlichen Raum ist noch möglich, ohne auf nichtssagende Wahlplakate zu stoßen. Die anonyme Straßenkünstlerin Barbara. aus Heidelberg glaubt, dass all die inhaltsleeren Floskeln potenzielle Wähler eher vergraulen als zu gewinnen helfen. Also hilft sie etwas nach und klebt Kommentare dazu. Besonders gerne bei der AfD.

Zurück Weiter

Hallo Barbara. Deine Schilder wünschen sich ganz oft mehr Liebe. Wo ist sie denn geblieben?

Liebe ist überall, sie muss nur an die Oberfläche geholt werden. Oftmals ist sie aber mit Tonnen von negativen Gefühlen, Hass, Angst und Misstrauen zugeschüttet.

Auf einem deiner Schilder steht "Die Gesellschaft braucht nen Ruck, weg von diesem Leistungsdruck". Könnte durchaus gereimter Wahlkampf sein. Bist du schonmal angefragt worden, ob du Wahlplakate oder Werbung designen würdest?

Ja, schon oft. Kommt für mich aber nicht in Frage.

Was macht Wahlkampf aus dem öffentlichen Raum?

Ich persönlich glaube, dass die meisten Wahlplakate mit ihren inhaltslosen Floskeln eher zu einer Steigerung der Politikverdrossenheit beitragen als Wähler für sich zu überzeugen. Andererseits freue ich mich auch über Wahlplakate, weil sie für mich eine Steilvorlage für neue Klebereien darstellen.

Warum hast du das AfD-Plakat mit "MIMIMI" übermalt?

Mimimi steht für ein grundloses Jammern und Hetzen. Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Darüber sagt die AfD kein Wort, sondern sie gibt den Menschen das Gefühl, dass Flüchtlinge ihnen was wegnehmen wollen und sowieso alles potenzielle Verbrecher sind. Die vielen sozialen Probleme in diesem Land, die es unbestritten gibt, werden von der AfD komplett verdreht und immer wieder "die Ausländer" und "die Flüchtlinge" dafür verantwortlich gemacht. Kein Wort darüber, dass der Kuchen groß genug ist, aber völlig ungerecht verteilt wird. Die Reichen sind viel zu reich und könnten soziale Spannungen mit einer entsprechenden Vermögensabgabe locker beenden, aber davon hört man von der AfD kein Wort, sie spielt lieber die Armen gegen die Armen aus. Ein solch widerliches Verhalten verdient keinen Respekt und bewegt sich außerhalb eines demokratischen und menschlichen Spektrums. Ich bin für Meinungsfreiheit und auch für das Vertreten von extremen Meinungen, aber Rassismus hat in der Gesellschaft nichts verloren, und ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn AfD-Plakate abgerissen und entsorgt werden, weil man diese ekelhaften Parolen nicht vor seiner Haustür hängen haben will.

"Die Botschaften im öffentlichen Raum sind ein Spiegelbild unserer Gesellschaft", sagtest du in einem Interview. Was hat sich im Lauf deiner Arbeit im Straßenbild verändert?

Die Gesellschaft zeigt sich zunehmend gespalten, das drückt sich auch im Straßenbild aus. Ich würde mich freuen, wenn meine Arbeit irgendwann überflüssig wird, aber das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Auch hier spielt die AfD eine aus meiner Sicht katastrophale Rolle, die an Volksverhetzung grenzt. Muslime werden pauschalisierend auf die Burka reduziert, als hätten wir keine anderen Probleme in diesem Land. Und laut den Wahlplakaten der AfD sollen "Neue Deutsche" von den Deutschen gemacht werden, was ein Schlag ins Gesicht der vielen Migrantenfamilien ist, die hier heimisch sind, sich als Deutsche fühlen und es auch sind.

Wie ist es, so anonym zu sein? Wissen die meisten ja nicht mehr heute, überall Kameras, seit Neuestem mit Gesichtserkennung, NSA, etc. ...

Als Privatperson geht es mir genauso wie allen anderen. Die Anonymität wirkt sich nur auf meine künstlerische Tätigkeit aus, sie bietet mir die Möglichkeit, meine Privatsphäre zu schützen und garantiert mir, dass die Menschen meine Arbeit unabhängig von meiner Person betrachten. Das fühlt sich sehr gut an.

Erinnerst du dich an ein oder zwei Schilder in deiner Karriere, die dir in irgendeiner Weise besonders im Gedächtnis geblieben sind? Vielleicht weil sie dir so gut gefallen haben, die Reaktionen besonders waren, es dir besonders wichtig war?

Besonders am Herzen liegen mir alle meine Aktionen, die sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit richten. Jenseits von unterschiedlichen Meinungen zu allen möglichen Themen ist Rassismus einfach objektiv von Grund auf falsch, weil es sich gegen Menschen richtet, nur aufgrund der Tatsache, dass sie eine andere Hautfarbe haben oder in einem anderen Land geboren wurden. Das ist niederträchtig, bösartig und schlichtweg dumm. Leider scheint es so, als würden rassistische Vorurteile niemals aussterben, und spätestens mit der AfD haben diese Vorurteile wieder eine bürgerlich angepinselte Plattform bekommen, die es Rassisten einfach macht, ihre hohlen Phrasen auszusprechen. Dagegen kämpfe ich leidenschaftlich und aus voller Überzeugung an.

"Mir ist schon klar, dass ich die Welt nicht retten kann, aber ich möchte es wenigstens versuchen." Ja, das sollten mehr Menschen so sehen. Was denkst du, hält die Menschen davon ab, es zu versuchen?

Die Welt ist unfassbar komplex. Das gibt den einzelnen Menschen ein Gefühl der Ohnmacht.

Wie rettet man eigentlich die Welt?

Man kann die Welt nicht retten, sollte es aber trotzdem versuchen. Man sollte mit sich selbst anfangen und dann im persönlichen Umfeld weitermachen. Ungerechtigkeiten feststellen und bestmöglich ausräumen. Das ist anstrengend und gibt heftigen Gegenwind, bestes Beispiel hierfür ist ein veganer Lebensstil. Veganer retten nicht die Welt, aber sie gehen einen guten Schritt in die richtige Richtung. Und was bekommen die meisten Veganer dafür von der Gesellschaft zurück? Man macht sich über sie lustig, teilweise ernten sie puren Hass. Deswegen müssen sich die Menschen vernetzen, um ihre Ziele besser durchsetzen zu können. Das ist alles andere als leicht, aber der Weg kann auch ein Ziel sein.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


5 Kommentare verfügbar

  • Florian S.
    am 19.09.2017
    Antworten
    Sehr schöne Aktion. Ich finde nur die Sache mit dem Veganismus etwas einseitig und undifferenziert in den Raum geworfen, denn aus meiner Perspektive stellt es sich so dar: Ich persönlich habe nichts dagegen, wenn sich Leute vegan ernähren und respektiere dies uneingeschränkt. Nur: Wenn Veganer dann…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!