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Was die Steine sagen

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Im Lapidarium am Fuß der Karlshöhe erzählen Mosaike, Brunnen und Skulpturen Stuttgarter Stadtgeschichte. Auch von den Zerstörungen der Nachkriegszeit. Ohne Ehrenamtliche wäre der schöne Garten längst nicht mehr zugänglich.

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Ein eigentümlicher Zauber liegt über dem Anwesen. Zur Mörikestraße hin hinter einer Mauer verborgen, erinnert der Garten mit seinem Säulenumgang an Villen der italienischen Renaissance. Hier überkreuzen sich die Wege der Geschichte. Wer etwas über Stuttgart erfahren will, wird im Städtischen Lapidarium fündig.

1887 ließ Gustav Siegle, steinreicher Miteigner der BASF, den Garten für seine älteste Tochter Margarete zu ihrer Hochzeit mit dem BASF-Aufsichtsrat Karl von Ostertag anlegen. Sie wohnten im Nachbarhaus, Mörikestraße 24. In die Rückwand der Wandelhalle sind wie in italienische Renaissance-Bauten rund 200 antike Steindenkmäler eingelassen, die Karl von Ostertag-Siegle auf mehreren Rom-Reisen erworben hatte.

Die Karlshöhe war Gustav Siegles Reich. Seine eigene Villa, zur Reinsburgstraße hin, stellte alle anderen Privathäuser der Stadt in den Schatten. Im heutigen Biergarten oben auf dem Hügel steckt noch ein Rest des 1961 abgerissenen Gartenhauses seiner Frau Julie. Die Villa Gemmingen, ein Barockschloss aus dem Jahr 1911, war der Wohnsitz seiner jüngsten Tochter Dora.

Die Idee, das Anwesen als Lapidarium zu nutzen, geht auf Gustav Wais zurück. Der frühere Redakteur der "Stuttgarter Morgenpost" und des "Neuen Tagblatts" hatte sich wegen Schreibverbots 1936 ganz der alten Stadtgeschichte zugewandt. Wie kein Zweiter bemühte er sich in der Nachkriegszeit um den Wiederaufbau zerstörter Gebäude und suchte in den Trümmern nach stadthistorisch bedeutsamen Resten. 1950 erwarb die Stadt das Grundstück an der Karlshöhe und eröffnete noch im selben Jahr das Lapidarium.

Nicht nur Überreste kriegszerstörter Gebäude wanderten hierher, sondern auch Grabsteine, Bruchstücke schon zu früheren Zeiten abgerissener Bauwerke, sowie Skulpturen aus dem Park der Villa Berg, die 1951 an den Süddeutschen Rundfunk gegangen war. So kommt es, dass sich im Lapidarium auch Bauteile des Neuen Lusthauses befinden, des schönsten Gebäudes der Stadt aus dem 16. Jahrhundert. Als dieses 1845 demoliert und zum Hoftheater umgebaut wurde, hatte Kronprinz Karl einige Fragmente an die Villa Berg geholt, die er gerade zu bauen begann.

Historische Tür- und Fensterbögen landeten im Lapidarium

Während Wais noch versucht hatte, zu erhalten, was zu erhalten war, verfuhr die Stadt bald ganz anders: Altbauten, die heute noch stehen könnten, fielen der Abrissbirne zum Opfer. So war die Hohe Karlsschule, an der einst Friedrich Schiller studiert hatte, zwar ausgebrannt, aber die Mauern standen noch. Das Kronprinzenpalais am Schlossplatz musste einer Stadtautobahn weichen, die so nie kam, das älteste Haus der Stadt zwischen Schulstraße und Stiftskirche wiederum einem Parkplatz. Ausgesuchte Reste dieser Bauten, mal ein Tür-, mal ein Fensterbogen, wurden zur Erinnerung ins Lapidarium gestellt. 1954 fertigte Gustav Wais das erste Inventar an, 217 Posten umfasste es. Seither kamen zwar nochmal 174 dazu, doch zwei Drittel sind inzwischen schon wieder aus dem Lapidarium verschwunden.

Waren die Trümmer einmal abgestellt, kümmerte die Stadt sich nicht weiter darum. Unter Manfred Rommel fiel Anfang der neunziger Jahre sogar der einzige Angestellte weg. Damals hätte das Lapidarium geschlossen werden müssen, hätte sich nicht eine Gruppe engagierter Ehrenamtlicher dafür eingesetzt. Bis heute sind sie es, die dieses Museum der Stadtgeschichte in den Sommermonaten an fünf Nachmittagen in der Woche geöffnet halten und kleinere Aufräum-, Säuberungs- und Gartenarbeiten übernehmen.

Seit 1999 steht das Lapidarium unter Denkmalschutz. Zwar <link https: journals.ub.uni-heidelberg.de index.php nbdpfbw article viewfile external-link-new-window>mahnten die Denkmalpflegerinnen: "Die Unterbringung einzelner Bauteile oder Zierelemente abgebrochener Gebäude in einem Lapidarium kann heute aus denkmalpflegerischer Sicht keine Alternative zur Erhaltung des gesamten Gebäudes darstellen." Doch die herausragende Bedeutung der Exponate sowie des Gartens selbst rechtfertigen ohne weiteres den Eintrag in die Denkmalliste. Archäologen aus Tübingen haben zwei Jahre lang die Antikenwand untersucht. Ein Führer ist vor kurzem in zweiter Auflage erschienen.

Doch weiterhin hapert's beim Geld. Schon für den bloßen Erhalt der Steindenkmäler ist es immer knapp, räumt Manfred Schmid ein. Er ist im städtischen Kulturamt für das Lapidarium zuständig. Die Bauunterhaltung sei eigentlich die Aufgabe des Liegenschaftsamts, sagt er. Vor allem beim Garten- und Friedhofsamt hat die Stadt in den vergangenen Jahren auf skandalöse Weise gespart. Die Pflege des kleinteiligen Gartens erfordert viel Handarbeit. Nun will Oberbürgermeister Fritz Kuhn sich um die Personalsituation kümmern und die Pflege der städtischen Grünanlagen verbessern. Bleibt zu hoffen, dass dies auch dem Lapidarium zugutekommt.

In nicht allzu ferner Zeit wird die Stadt aber auch für den Betrieb wieder etwas Geld in die Hand nehmen müssen. Die sechs Ehrenamtlichen sind heute zwischen 61 und 84 Jahren alt. Bald wird das <link http: www.stadtmuseum-stuttgart.de lapidarium.html external-link-new-window>Lapidarium Außenstelle des neuen Stadtmuseums sein. Spätestens dann sollte die Stadt sich ihrer Verantwortung stellen und die freiwilligen Helfer ein wenig entlasten.


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1 Kommentar verfügbar

  • Nina Picasso
    am 26.08.2017
    Antworten
    Vielen Dank für den Artikel. Das Lapidarium ist in der Tat ein Kleinod mit wertvoller Geschichte. Um eine Hausnummer der (finanziellen) Unterstützung der Stadt Stuttgart zu geben. Das Rasenmähnen wurde von 4x/Jahr auf 3x runtergekürzt. Der wichtigere Beitrag für einen Steinmetz/Restaurator wurde …
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