KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Zwei-Klassen-Reiterei

Zwei-Klassen-Reiterei
|

 Fotos: Jens Volle 

|

Datum:

Vierbeiner mit Zöpfchen, weiße Turnier-Reithosen am Bobbes, Porsche Cayenne vor dem Pferdeanhänger – so sieht der klassische deutsche Reitsports aus. In Horb am Neckar zeigen Reiter und Reiterinnen einmal im Jahr, wie man mit dem Pferd richtig schafft. Eine soziologische Betrachtung.

Fragt man hierzulande einen Teenager nach seiner ersten Reitstunde, erhält man oft Antworten wie diese: "Die Pferde sind riesengroß, laufen in einer Halle hintereinander her, in der Mitte steht ein Reitlehrer." Auf der anderen Seite vermitteln Bilder amerikanischer Cowboys, spanischer Gauchos oder südfranzösischer Gardians, die bei Sonnenuntergang zu Pferd ihre Rinder hüten, jenen Hauch von Freiheit und Abenteuer, den gerade Stadtbewohner oft vermissen. Da treffen zwei Welten aufeinander. Die unbekanntere dieser beiden wird einmal im Jahr in Nordstetten bei Horb einem Wettbewerbs- und Showtag gezeigt.

Beim "Tag des Pferdes" geht es um die Tradition derer, die einst "die Arbeit machten", zu Pferd Rinder hüteten und meist schlecht bezahlt wurden. "Working Equitation" oder "Arbeitsreitweise" wird diese zur Disziplin avancierte Arbeit mit dem Pferd inzwischen genannt. Hier grenzt man sich jedenfalls scharf ab vom Habitus mancher Wohlhabender, die in den zahllosen Reitställen die neueste Mode spazieren tragen und deren Pferde für viel Geld die meiste Zeit in Boxen eingesperrt sind.

Stattdessen kommen aus dem Odenwald, der Eifel oder aus Königswinter Leute, die arbeiten wollen und zwar mit ihren Pferden. "Hier gibt es keine weißen Höschen, die haben wir sowieso die ganze Woche über im Büro", kommentiert ein Besucher kokett. Der Anteil an Männern ist, verglichen mit dem durchschnittlichen deutschen Reitstallpublikum, hoch. Fast könnte man auf die Idee kommen, es gäbe so etwas wie eine Zwei-Klassen-Reiterei.

Die Klassische Reiterei kommt aus dem Militär

Tatsächlich haben wir es mit verschiedenen Reiterkulturen zu tun. Die klassische deutsche Reiterei hat ihren Ursprung im Militär. Das prägte und begrenzte im deutschsprachigen Raum lange Zeit die Vorstellungen vom idealen Reiten. Doch schon zahlenmäßig sind die aus Westernfilmen bekannten amerikanischen "Cowboy-Pferde", die Quarter Horses mit etwa 5,5 Millionen registrierten Pferden weltweit allen anderen überlegen. Von ihren Züchtern waren sie nicht für Militärdienste vorgesehen, sondern zur Arbeit. Mit den verschiedenen Anforderungen an Pferd und Reiter entwickelte sich auch eine andere materielle Kultur.

In Nordstetten auf dem Hof spricht man "Arbeitsreiten" meist französisch aus: Équitation de travail. Denn hier hat sich Jean Pierre Godest mit seinen inzwischen zur Herde angewachsenen weißen Camargue-Pferden niedergelassen, die viele aus dem Sommerurlaub in Südfrankreich kennen.

Das Eigensinnige und Widerspenstige jener Arbeitsreiter verkörpert Godest auch biografisch. Nachdem er sich mit einem Vorgesetzten angelegt hatte, kam er in den 70er Jahren nach Deutschland. Schließlich landete er im Schwarzwald und organisierte bald das erste Camargue-Turnier nach französischem Reglement außerhalb Frankreichs. Godest ist bekannt in der europäischen Reiterszene, räumt immer noch gern Preise ab und leiht seinen Hengst häufig nach Südfrankreich zum Decken aus.

Illustre Mischung exotischer Pferderassen

Es ist der 19. "Tag des Pferdes", der hier am Rand von Horb veranstaltet wird. In der Scheune haben auch schon ein paar Musiker der Gipsy Kings gespielt. Eine illustre Mischung exotisch klingender Pferderassen trifft dort aufeinander: Lusitanos, Criollos, Quarter Horses oder brasilianische Mangalaga, die zahlenmäßig drittgrößte Pferderasse weltweit. Etwa dreißig Reiter treten an.

Die Stimmung ist entspannt, denn die Veranstaltung dient vor allem dazu, sich auszuprobieren oder mit Jungpferden zu üben. Verbissenes Kräftemessen findet man nicht und genau das schätzen die Teilnehmer, die ihre Pferde für zwei Tage bis zu fünf Stunden lang im Hänger hier her transportiert haben.

Einige nutzen schon am Freitagabend die Gelegenheit zur Rinderarbeit. Vor allem zum Pferdetraining hat Jean-Pierre Godest zehn Angus-Rinder angeschafft. Konzentriert üben die Reiter, einzelne Tiere aus der Herde zu trennen und von ihr wegzutreiben. Das erfordert eine genaue und rasche Zusammenarbeit von Reiter und Pferd.

"Die Arbeitsreitweise richtet sich an den Alltagserfahrungen aus. Sie ist immer konkret", erklärt Hedi Sackenreuter, Besitzerin des Hofes. "Letztlich dient ja jede Reiterei auf einem umzäunten Reitplatz, nur der Vorbereitung um eine andere Tätigkeit mit dem Pferd ausführen zu können: Die Dressur ist ursprünglich eine Art Gymnastik, das Springen diente dem Überwinden von Hindernissen im Gelände."

Ab durch die Hecke

Bei den Wettbewerben am Samstag und Sonntag zählen vor allem Geschicklichkeit und Schnelligkeit. Während des Parcours-Reitens müssen möglichst viele Hindernisse über- oder unterquert, Richtungen gewechselt und Gangarten angepasst werden. Beim anschließenden Trail-Reiten legt jeder möglichst schnell eine etwa vier Kilometer lange Strecke zurück. Es geht durch Hecken, einen Wassergraben und den Hügel hinauf und hinunter. Dabei müssen viele Stopps angeritten werden, bevor die Pferde schließlich zur Galoppstrecke gelangen, wo Zeit gut gemacht werden kann. Dabei ist höchste Konzentration gefordert.

Die "Working Equitation" bietet vielleicht die Möglichkeit, jene "Geschichte einer Trennung" von Mensch und Pferd, wie sie der Kulturwissenschaftler Ulrich Raulff beschrieben hat, ein wenig hinauszuzögern. So erzählt der 35-jährige Andreas Huber aus Geisingen am Bodensee, dass die Pferde seines Großvaters in den 60er Jahren abgeschafft wurden, weil man sie nicht mehr zur Feldarbeit brauchte. "Aber dann wurden gleich wieder Hobby-Pferde angeschafft, der Stall blieb warm."

Huber blieb dabei und zog in die Welt. Zuerst nach Kanada und dann nach Spanien, wo er die spanischen Pferde kennen und lieben lernte. Seither schlüpft er gern in die Kluft der Spanischen Reiter und zeigt die Eleganz und Geschicklichkeit der Vaqueros. Freilich ohne Stier, aber mit einem typischen Werkzeug, der Garrocha, einer dreieinhalb Meter langen Stange, die den spanischen Reitern dazu dient, ihre Rinder auf Distanz zu halten. Hubers Auftritte in Deutschland werden von den spanischen Kollegen per Video kritisch geprüft, jede Unstimmigkeit mit der Kleidung sofort bemerkt.

Während des Abendprogramms in Horb zeigen Angela Eggert und Uli Höfert mit ihren Camargue-Pferden einen "Pas de deux", den sie vor gut zwei Wochen erst auf der CHIO in Aachen vorgeführt haben, eine der größten Pferdeveranstaltungen der Welt.

Auch in dieser Übung dreht sich vieles um ein typisches Werkzeug: den Tridant, den "Dreizack". Er dient den Gardians dazu, ihre Rinder, mitunter angriffslustige Bullen, in Schach zu halten. "Mit den Camargue-Pferden kann man alles machen", erklärt Höfert, "Wanderreiten, Trails und wenn man Lust hat, nimmt man eine Kandare und reitet Dressurlektionen". Er erinnert sich noch daran, als 1968 die ersten Camargue-Pferde nach Königswinter kamen. Die Working Equitation sei eben die einzige Disziplin gewesen, in der man sich mit anderen Reitern messen konnte.

Während die Bedeutung des Pferdes als Arbeitstier beständig abnimmt, hat sich mit der "Working Equitation" eine Disziplin entwickelt, die daran erinnert, dass das Pferd lange Zeit Teil unserer produktiven Tätigkeiten, dem Arbeiten war. Handlungen, die dem Überleben dienten, wurden mit dem Pferd vollzogen. Im Jahr 2004 fand der erste europäische Wettkampf der Arbeitsreiter in Italien statt. Dass die materielle Kultur rund ums Pferd auch von dem Dualismus zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern geprägt war, nämlich zwischen meist reichen Besitzern der Rinderherden einerseits und den Kuhjungen, die oft nur mit einer warmen Mahlzeit entlohnt wurden andererseits, wird oft vergessen.

Ebenso übrigens dass die Gardians in Südfrankreich noch in den 90er Jahren während ihrer Dorffeste ganz selbstverständlich die Internationale anstimmten.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


2 Kommentare verfügbar

  • Camille Pinot
    am 14.08.2017
    Antworten
    Ich kann mich dem Vorschreiber nur anschließen. Ein wirklich sehr gelungener, wunderbar recherchierter Artikel mit interessanter Hintergrundinfo, der auch "vorgebildeten" Reitern aus der Working Equitation Spaß macht.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!