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Die Zukunft ist leider undicht

Die Zukunft ist leider undicht
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Wichtige Männer mit dicken Autos treffen sich im Stuttgarter Schloss. Zu einem Autogipfel, der aber so nicht heißen soll. Die grüngeführte Regierung spricht von einem strategischen Dialog, an dem auch Brigitte Dahlbender vom BUND teilnehmen darf. Ganz hinten in einem dunklen Eck.

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Jetzt aber vorsichtig, obacht, obacht, langsam von der Rampe runter, hinten dreht einer eine Kurbel mit Stahlseil, zwei halten vorne gegen während Reuters, Regio TV und SWR das ganze Spektakel auf HD bannen. Denn das, was da am vergangenen Freitagvormittag wie ein rohes Ei aus dem Laster gerollt wird, ist der wirklich neueste und heißeste Scheiß aus dem Hause Daimler: ein Komplett-Elektro-SUV in "alubeamsilber", angepeilte 500 Kilometer Reichweite, die Nase eine Art Display-Front mit von innen blau ausgeleuchtetem Stern und erstes Gefährt der neuesten Daimler-Produktfamilie "Generation EQ", Generation Electric Intelligence.

An diesem Tag ist es allerdings noch ein Ge-schieb. Denn fahren tut er noch nicht, der Voll-Öko-Riesen-Daimler im Ideen-Stadium, deshalb muss er auch per Manneskraft zwischen den weißen Audi und den weißen Porsche vor dem Springbrunnen im Schlosshof geparkt werden – noch'n Stück, noch, noch, gut!

Damit "keine Missverständnisse aufkommen", wegen der Fahruntauglichkeit, sagt eine Daimler-Sprecherin: Das sei ein Konzeptauto, marktreif 2019. "Damit demonstriert Mercedes-Benz, dass attraktive und leistungsfähige Elektro-Autos schon bald das Straßenbild prägen werden", schreibt der Daimler Konzern, Weltspitze der Autobauer aus dem Land der Tüftler und Denker, auf seiner Homepage zum Showcar. Keine Sekunde zu früh, die Konkurrenz schläft ja nicht, aber Tesla (nur als Beispiel) gibt es ja auch erst seit 15 Jahren. Die Idee, auch im Hause Daimler umzudenken, ist ebenfalls noch zarte neun Jahre jung. 2008, quasi gestern, sagte Daimler Chef Dieter Zetsche an einem Septembertag vorausschauend: "Die Zukunft der Mobilität ist grün, und die deutsche Industrie hat alle Voraussetzungen, um auf den Weg dorthin eine Führungsrolle zu übernehmen." Und zack, schon ein Jahrzehnt später setzt sich Daimler an die Spitze der allerumweltfreundlichsten SUV-Bauer.

Auch die erste grüne Landesregierung der bundesdeutschen Geschichte hat sich bereits nach sechs läppischen Jährchen im Amt dazu hinreißen lassen, aufgrund der "disruptiven Entwicklung" im Antriebswesen eine Diskussion über die "Transformation im Mobilsektor" mit der Autolobby aus dem Land zu führen.

Das Kapital ist ein scheues Reh

An diesem Tag also steigt der fulminante Auftakt zu Gesprächen in denen es vor allem darum gehen soll, wie die Autoindustrie gedenkt, aus der Diesel-Schraubzwinge raus und in die neue Öko-Auto-Welt reinzukommen. Und wie man bestenfalls das ganze Land mitnimmt, das unweigerlich am Tropf hängt. Jeder fünfte Beschäftigte schafft hier mittel- oder unmittelbar für Daimler. Zu Gast sind vor allem mächtige Männer von Porsche, Audi, Bosch, Mahle, Südwestmetall und Gewerkschaften und ein paar wenige Frauen, darunter Brigitte Dahlbender vom BUND, der immerhin ein Platz ganz hinten am Tisch in einem dunklen Eck zugedacht wurde.

Erste Anbahnungen zum doch heiklen Thema Auto wagte der Ministerpräsident schon zu Beginn seiner Amtszeit, als er sagte, weniger Autos seien besser als mehr. Was die Zetsches dieser Welt hat im Viereck springen lassen. Seitdem hat Kretschmann gelernt: Das Kapital ist ein scheues Reh, also langsam mit den hohen Herren aus der PS-Industrie.

Und PS parken an diesem Tag hundert, ach was, tausendfach vor dem Schloss – fast immer in das glänzende Tiefschwarze der Macht gekleidet: Zetsche wird in Jeans, Turnschuhen und schwarzem Maybach vorgefahren, Kretschmann in der S-Klasse, ebenfalls im schwarzen Daimler kommt Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut, sogar mit programmatischem Kennzeichen: S-PQ steht drauf, mit SPQR (Senatus Populusque Romanus) auf den Standarten eroberten früher die römischen Legionen fast ganz Gallien. Farbliche Abwechslung bietet da nur der 911er von Porsche-Finanzvorstand Lutz Meschke, vor dem sich eine aufgeregte Asiatin fürs Urlaubsfoto in Pose wirft.

Automobilmäßig richtig fortschrittlich fahren nur die Post, gelber E-Kastenwagen, und Verkehrsminister Winfried Herrmann, im weißen B-Klasse-Stromer vor. Der Minister sieht irgendwie lustlos aus, wie er da so zwischen den Reportern steht, die alle wissen wollen, warum denn, wenn schon Gipfeltreffen, nicht gleich die dringlichste Probleme – Schmutz-Diesel, Feinstaub – besprochen würden. Weil man ja sonst über nichts anderes mehr sprechen würde, sagt der Grüne, und es ginge ja um die Zukunft und so. Hmhm. Wäre trotzdem ganz spannend gewesen, wo der Konzern seit gestern, Dienstag, wegen des Verdachts auf Abgasmanipulation die Staatsanwaltschaft im Haus hat.

Bloß keine Wasserflecken!

Dann regnet's. Bisschen nur, aber immerhin so stark, dass dem EQ-Daimler in aller Geschwindigkeit gleich ein zweilagiger Regenschutz verpasst wird – zur Schonung, erklärt denn auch die PR-Frau, und damit keine Tropfen auf dem Lack sind, wenn die Fotografen dran sind. Später hört man, das Teil sei als Prototyp halt noch nicht ganz dicht.

Nach dem Schauer jedenfalls wienern mehrere Hände mit – sind es Mikrofasertücher? – die Tropfen weg zum Showdown. Fotografen und Kameraleute haben ihre Stative hinter dem roten Absperrband platziert. Ein leichter Wind weht über den riesigen Vorplatz des Schlosses. Und dann treten sie gemeinsam heraus aus dem Schlosstor: König Winfried und Kaiser Dieter, beide mit den selben Knitterfalten im Jackett, die sich nur Männer erlauben, die wirklich große Aufgaben haben. Sacht lächelnd, in perfekt inszenierter lockerer, nicht zu intensiver, wohlgesonnener und doch kritischer Unterhaltung, schreiten sie dem optischen Höhepunkt dieses Ereignisses entgegen. Dem einvernehmlichen Bild mit Zweiradpartei und Vierrad-Bauer vor der polierten Kulisse geballten Innovationskraft.

"Seit über 130 Jahren ist Baden-Württemberg der Motor der Automobilindustrie", sagte der MP zur Feier des Tages. "Wir stehen für erstklassige Automobilhersteller und Zulieferer, hervorragende Fachkräfte und eine exzellente Wissenschafts- und Forschungslandschaft. Das Auto ist unser Erbe." Vor ein paar Tagen verriet Kretschmann <link http: www.taz.de _blank external-link>in einem taz-Interview, er habe sich für den Privatgebrauch einen Diesel gekauft. Denn wenn er für die Enkel mit dem Anhänger Sand holen gehe, brauche er halt "einfach ein gescheit’s Auto".


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3 Kommentare verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 25.05.2017
    Antworten
    Da gab es kürzlich eine Sendung von Die Anstalt im zdf zum Thema Däumler, dem bekannten Autohersteller mit Stern. Was bringt die Autoindustrie in die Staatskasse? Was bringt sie den Arbeitern von denen es schon drei Klassen gibt: Festangestellte, Zeitarbeiter und C-Klasse: Selbstständige. Warum…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 5 Stunden
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