"Wir meiden die strenge Beleuchtung/ und suchen verhuschte Bedeutung", rappte Schorsch Kamerun sein Resümee ins Mikrofon, zu einem Loop aus dem Tablet. Vier Tage widerständige Theorie und Praxisübungen, teils auf anspruchsvollstem akademischem Niveau, teils in mittelmäßigem Englisch, mit geladenen Gästen aus aller Welt und einer interessierten Zuhörerschaft aus Stuttgart: So präsentierte sich das Kunstgebäude am Schlossplatz zu seiner Wiedereröffnung. Denn die letzten vier Jahre war dort der baden-württembergische Landtag wegen Renovierung untergebracht. Jetzt stellten sechs Stuttgarter Kulturinstitutionen die Tage des Wiedereinzugs unter das Thema "New Narratives – Ökonomien anders denken".
Performances machen Theorien greif- und begreifbar
Freilich räumte der Sänger der "Goldenen Zitronen" vorab freimütig ein, dass die selbstgestellte Aufgabe, das "Gipfeltreffen" auf diese Weise zusammenzufassen, schlichtweg nicht zu bewältigen sei. Um zum Thema Ökonomie gleich ein paar eigene Erfahrungen und Videos aus Hamburg beizusteuern: zur Gentrifizierung in St. Pauli, dem Investoren abgetrotzten Freiraum "Park Fiction" am Elbufer und der Erfolgsgeschichte der Esso-Häuser, wo nun letzten Endes genau so gebaut wird, wie die Teilnehmer eines Beteiligungsverfahrens es wollten.
Gerade Schorsch Kameruns popkultureller Zugang half jedoch, die zum Teil sehr weit gespannten Ausführungen wieder auf den Boden der eigenen Erfahrungswelt herunterzuholen und nach anstrengenden Vorträgen und Debatten ein wenig Abstand zu gewinnen. So wie auch das zweite "Protokoll": die Graffiti des rumänischen Künstlers Dan Perjovschi, der seine Eindrücke direkt auf die Wände zeichnete. Ein hoher Stapel leerer Sprechblasen türmt sich da auf, und daneben steht: "I can't draw Hilary." Gemeint ist nicht etwa die unterlegene amerikanische Präsidentschaftskandidatin, sondern der Londoner Multimedia-Künstler Hilary Koob-Sassen, der am ersten Abend, nach Nächten ohne Schlaf vor lauter Aufregung, in einem ausufernden Vortrag mit höchst komplexen, verworrenen Diagrammen zu erklären versucht hatte, "wie man den infrastrukturellen Raum erobert und die skalare Nische kolonisiert."
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Dietrich Heißenbüttel
am 06.04.2017