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Pforzheim – Stadt der Extreme

Pforzheim – Stadt der Extreme
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Hässlich, rechts und ein beknackter Name: Wer weiß schon mehr als das über Pforzheim? Dabei ist die Stadt exemplarisch, ein Musterbeispiel für Fluch und Segen von Reichtum, Zuwanderung und Globalisierung. Und sie ist voller Superlative – nach oben und nach unten.

Es gibt eine Menge herrlicher Namen, mit denen einer international Karriere machen kann. Aber Scheufele? Deshalb kaufte sich Karl Scheufele, Sohn einer Schmuck- und Uhrmacherfamilie, in den Sechzigerjahren eine kleine Uhrenmanufaktur in Genf und machte aus Scheufele Pforzheim – Chopard Genève. Chopard ist heute Weltklasse. Der Jahresumsatz 2015 lag – von Finanzexperten geschätzt – zwischen 800 und 900 Millionen Schweizer Franken. Julianne Moore trug zu den Oscars 2016 Chopard am Ohr, Cindy Crawford zu den Filmfestspielen in Cannes.

Das ist die goldene und glamouröse Seite der Stadt Pforzheim. Wellendorf kommt dort her, oder die Juweliere Leicht, mit Filialen in hochnoblen Adressen vom Berliner Adlon bis zur MS Deutschland. "In Pforzheim ist alles entstanden, darüber sind wir auch sehr glücklich", sagte Karl Scheufele kürzlich der "Welt". "Wir wollen nur nicht als Pforzheimer Firma erscheinen."

Pforzheim, das klinge im Englischen wie "Fart-Heim", sagt Marcus Mohr, Geschäftsführer der Pforzheimer Firma Victor Mayer, bis vor wenigen Jahre in Besitz der Lizenz zur Herstellung der legendären, russischen Fabergé-Eier. Pforzheim. Das klingt überhaupt einfach nicht mit diesem ordinären "Pf" am Anfang, dem dunklen "o", dem harten "tz". Dabei hat der Furz mit dem "Pforz" überhaupt nichts zu tun. Es kommt vielmehr von lateinisch "Portus" für Hafen, die Römer hatten hier eine Zollstelle eingerichtet.

Die Stadt sei hässlich, sagt man, die hässlichste der Republik sogar. Darüber können sich die Pforzheimer unendlich aufregen, weil es – neben Zwielichtboxer René Weller, mein Gott! – fast das einzige ist, was Nicht-Pforzheimer mit Pforzheim verbinden. "Grau. Sparkassengrau. Volksbankgrau. Huk-Coburg-Grau", beschrieb Sabine Herre für die "Zeit" einmal sehr treffend ihre Eindrücke.

Auch über das Optische hinaus ist der Ruf dieser Stadt mau. "Spiegel Online" nannte Pforzheim einmal im selben Satz mit Heidenau eine "Hass-Hochburg", sie ist Deutschlands Seismograph für rechte Strömungen, Spitzenreiter in Sachen Arbeitslosigkeit und AfD-Wählerschaft in Baden-Württemberg, Heimat nicht nur von René Weller, sondern auch von MP-Eintagsfliege Stefan Mappus, Standort von Baden-Württembergs Abschiebeknast, mit hohen Schulden am Hacken und einer zerrissenen Stadtgesellschaft bis in den Bodensatz. Das ist die unprätentiöse Seite dieser Stadt, die rohe, nur wenig glamouröse.

Pforzheim, 120 000 Einwohner, 16 Stadtteile, SPD-regiert, aber im Grunde schwarz-konservativ wie die Nacht, ist eine Stadt der Extreme und Superlative. Ein Musterbeispiel für Fluch und Segen von Reichtum, Zuwanderung und Globalisierung zwischen dem blendenden Glanz, der die weltweite Oberschicht schmückt, und dem wirklichen und manchmal harten Leben darunter.

Pforzheim, sagt Gerhard Baral, der Hauptverantwortliche für das diesjährige "250 Jahre Schmuck, Uhren und Design aus Pforzheim"-Jubiläumsjahr, sei zerrissen, weil es keine so richtigen Identifikations-Möglichkeiten biete. Nichts, worauf einer von dort so richtig stolz sein könnte, wie die Sindelfinger auf Daimler oder die Bad Liebenzeller auf ihren Sprudel.

Natürlich gibt es auch Erfolgsgeschichten: 1885 hat Heinrich Witzenmann den flexiblen Metallschlauch erfunden. Und als Patent angemeldet. Heute ist das Pforzheimer Unternehmen Weltmarktführer. Die beiden Versandhäuser Klingel und Bader – "Bader kommt ganz groß in Mode", man hat's im Ohr – sind in Pforzheim ansässig. Der Handball ist ganz groß in der Stadt, die ersten Herren sind immerhin Drittligist. Aber dritte Liga ist eben nicht erste. Und Klingel und Bader waren schon immer zweite Reihe hinter Neckermann, Quelle und Otto. Deshalb schmiedet die Stadt seit einigen Jahren am Image der "Goldstadt". Als Gegenentwurf zum üblen Ruf und als eine Art gemeinsame Basis der Stadtgesellschaft.

Nach der Silvesternacht in Köln, als allerorten die Bürgerwehren aus dem Boden schossen, wurde viel über Pforzheim berichtet. Über Männer, die patrouillieren wollten, um ihren Stadtteil gegen Flüchtlinge zu verteidigen. Ein historisches Paradox, denn die Pforzheimer Erfolgsgeschichte beginnt ausgerechnet mit Flüchtlingen: Als Ludwig XIV., der Sonnenkönig, 1685 die Verfolgung von Protestanten ausruft, fliehen hunderttausende Waldenser und Hugenotten aus Frankreich in die Schweiz. Markgraf Friedrich VII. Magnus von Baden-Durlach nimmt 60 von ihnen in Pforzheim auf. Er verspricht ihnen Steuerfreiheit, wenn sie im Gegenzug Unternehmen gründen. Bei den Pforzheimern sind die Franzosen nicht gern gesehen. Sie sprechen eine andere Sprache, haben Privilegien. Aber die Neuen eröffnen eine Hutmacherei, und so müssen keine teuren Hüte mehr importiert werden. Sie machen Kerzen, Perücken, Handschuhe, gründen eine Gold- und Silberwarenfabrik.

Markgraf Karl Wilhelm von Baden ist ein Cleverle, ein Wirtschaftsliberaler. 1767 erlaubt er dem Franzosen Jean Francois Autran eine Taschenuhrfabrik in Pforzheim aufzumachen. Mit ihm kamen die beiden Schweizer Handwerker Amédé Christin und Jean Viala. Diese drei legten den Grundstein für die Pforzheimer Uhren- und Schmuckindustrie. Günstige Arbeitskräfte waren vor allem die Kinder aus Waisenhäusern des Markgrafen. Irgendwann kam er auf die Idee, die Kinder nicht nur arbeiten zu lassen, sondern sie auszubilden, um dem Handwerk Nachwuchs zu sichern. Und so gab der Emailmaler Melchior Andreas Koessler am 12. September 1768 in Pforzheim den ersten Berufsschulunterricht der Welt.

Und der Plan ging auf: Bis weit ins Ausland war die Stadt bekannt, sie war das industrielle Zentrum des Großherzogtums Baden. Kurz vor dem ersten Weltkrieg waren mehr als die Hälfte aller Pforzheimer in der Schmuck- und Uhrenindustrie beschäftigt.

Bis heute ist Pforzheim gefragte Ausbildungsadresse. Aus der ganzen Welt kommen Schüler zum Beispiel an die Goldschmiedeschule mit Uhrmacherschule. Ihre Absolventen arbeiten später häufig in der Industrie, bei Airbus zum Beispiel, weil es günstiger ist, feinmechanische Prototypen von Hand herzustellen, als eine Maschine dafür zu erfinden.

Theresa Fischer (oben) arbeitet an ihrem Zwischenprüfungsstück. Die Aufgabe: zwei gegensätzliche Ringe zu entwerfen. Pfeffer und Salz, Stadt und Natur. Theresas Thema ist Sehnsucht und Geborgenheit. Max Meisel arbeitet mit einer feinen Feile und auf hundertstel Millimeter einstellbaren Instrumenten eine winzige Unruhwelle für ein mechanisches Uhrwerk. "Wenn die runterfällt, dann ist sie weg", sagt er.

Eine Partnerstadt von Pforzheim ist die spanischen Stadt Gernika, deren Kriegsschrecken und Zerstörung 1937 Picasso sein wohl bekanntestes Gemälde gewidmet hat. Gernika wurde zerbombt, was noch stand, von den Nazis eingenommen. Für die Nazis produzierten die Schmuckhersteller in Pforzheim zur selben Zeit Zünder. Am 23. Februar 1945 wurde Pforzheim in weniger als einer halben Stunde von britischen Bombern fast komplett zerstört. Jeder dritte Pforzheimer starb. Die Stadt gehört zu den am stärksten zerstörten während des Krieges. Die Pforzheimer sagen, unter diesem Trauma leidet ihre Stadt heute noch.

In der Nachkriegszeit wurde sehr schnell sehr viel gebaut, vor allem autogerecht, ein Trend, an den sich viele Städte verloren haben. Scheußliche Betonbauten aus den Sechzigern taten ihr übriges. So entstand die Stadt, die heute als hässlichste Deutschlands gilt. Jugendstilvillen an den Rändern zeugen noch von ihrer einstigen Schönheit.

Auch der Bahnhof wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. 1958 bauten die Pforzheimer einen neuen. Die Bahn wollte die Schalterhalle in ein Reisezentrum umwandeln. Die Stadt sperrte sich dagegen und stellte den Bahnhof 1989 unter Denkmalschutz. "Unter den diversen Stationsneubauten der Nachkriegszeit stellt er (...) einen der anspruchsvollsten und gelungensten dar", schreibt das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz. Heute ist er versifft, aber wenn man genau hinsieht, findet man überall Anspielungen auf die "Goldstadt": die goldfarben Aluminiumprofile der Glasfassade, die Bahnhofsuhr ist golden, an der Fassade sind goldene Fliesen eingearbeitet.

Fast die Hälfte aller Pforzheimer sind Menschen mit Migrationshintergrund. Die Stadt hat den höchsten Ausländeranteil in Baden-Württemberg. Es gibt eine israelitische Gemeinde, eine große Gruppe Jesiden, viele Russlanddeutsche, viele Muslime. Die Fatih-Moschee, gebaut Anfang der Neunziger, ist eine der ersten größeren Moscheebauten in Baden-Württemberg.

Pforzheim ist aber auch ein Zentrum radikaler Muslime. Es gibt eine Salafistenszene samt Moschee in der Stadt, vor zweieinhalb Jahren war Hassprediger Pierre Vogel da. Erst im November durchsuchte die Polizei während einer deutschlandweiten Großrazzia auch eine Pforzheimer Wohnung.

Und: Pforzheim ist auch Hochburg der Rechten. Und das schon lange.

Mit der Weltwirtschaftskrise brach auch die Pforzheimer Uhren- und Schmuckwirtschaft ein. 1933 erhielt die NSDAP landesweit 43,9 Prozent der Stimmen. In Pforzheim holte sie 57,5 Prozent. Bis heute ist die Stadt ein Zentrum für radikale Umtriebe geblieben. Jedes Jahr ruft der rechtsextreme "Freundeskreis ein Herz für Deutschland" zum Fackelmarsch auf dem Wartberg-Plateau auf, zum Gedenken an die Stadtzerstörung.

Anfang der Neunziger, in der Zeit von Mölln und Hoyersverda, als die Pforzheimer Trabantenstadt "Haidach" bis nach Moskau bekannt war und immer mehr Spätaussiedler dorthin zogen, schafften es die Republikaner in den Landtag von Baden-Württemberg. Ihre Hochburg war, klar, Pforzheim.

Pforzheim gehöre, so schreibt die evangelikale Dachorganisation Evangelische Allianz, zu den "geistlichen Hochburgen" der baden-württembergischen Protestanten. Vielleicht liegt es an der Nähe zum Schwarzwald, dass sich dort extrem konservative Freikirchen und Pfingstgemeinden aller Art zu einem eher ungesunden Konglomerat vermischen. Der Ort war einer der treibenden Kräfte im Kampf gegen das Thema "sexuelle Vielfalt" im grün-roten Bildungsplan.

Vorne mit dabei: Der AfD-rechtsaußen-Flügel Pforzheimer Kreis, die "Christen in der AfD", die die gleichgeschlechtliche Ehe ablehnen, Pegida unterstützen und die radikale Lebensschutzbewegung. Zur Europawahl holte die AfD in Pforzheim ihr bundesweit bestes Ergebnis, zur Landtagswahl 2016 waren es 25,2 Prozent. Bei einem mutmaßlichen Reichsbürger fand die Polizei erst kürzlich eine Pumpgun, eine Armbrust, Messer und eine Menge Munition.

Die Dekanin Christiane Quincke äußert sich immer wieder öffentlich gegen rechte Gewalt und Hetze. "Fremdenfeindlichkeit ist unchristlich", sagte sie mal. Oder: "Man darf die Augen nicht mehr zumachen, nicht vor dem Mob, der Flüchtlingen Angst einjagt." Nach solchen Aussagen gerät sie immer wieder ins Sperrfeuer von Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionsvorsitzender im Landtag und Stadtrat in Pforzheim, und dem CDU-Bundestagsabgeordnete Gunther Krichbaum. Quincke ließe sich "vor den Karren linker Krawallmacher spannen", sagen sie beispielweise.

Kurz vor Weihnachten 2015 hat es einem Schuhladen-Besitzer in der Innenstadt gereicht mit Pegida und Co: Er hängte einen Zettel ins Schaufenster: "Vor-Weihnachtsrabatt, 20 Prozent auf alles" und in handgeschriebener Schrift stand direkt darunter "nur für Ausländer".

"Spiegel online" subsumierte den Stadtteil Haidach im selben Satz mit Heidenau einmal unter den "Hass-Hochburgen" Deutschlands. "Der Stadtteil ist für Pforzheim, was Pforzheim für Baden-Württemberg ist – die AfD-Hochburg schlechthin", schreibt die Pforzheimer Zeitung im März 2016. "43,2 Prozent der Wahlberechtigten dort haben am Sonntag der 'Alternative für Deutschland' ihre Stimme gegeben." Sehr viele Russlanddeutsche leben dort. Und die werden von der AfD massiv umworben. Das Wahlergebnis habe ihn nicht überrascht, sagte CDU-Wähler Waldemar Meser damals der Zeitung.

Waldemar Meser ist einer, den man fragt, wenn man wissen will, was auf dem Haidach los ist. Meser lebt hier seit 1978. Damals kam er aus Irkutsk vom Baykalsee. 32 Jahre lang war bei der Pforzheimer Berufsfeuerwehr, heute ist er Rentner und Vollzeit-Ehrenamtlicher. Stolz zeigt er den Edeka-Markt mit Shopping-Zentrum drumherum, wo es bis vor zehn Jahren kaum eine Einkaufsmöglichkeit gab. Sieben Kindergärten gäbe es mittlerweile auf dem Haidach, schwärmt er, und eine Schule. Er geht entlang von sauberen Vorgärten, aufgeräumten Wiesen zwischen Hochhäusern mit den bunten Balkonen alten Sozialwohnungsbaus. "Sie sollten sehen, wie toll hier im Frühjahr alles blüht", sagt er. Haidach gilt in Pforzheim auch als der "grüne Stadtteil".

1975 wurde in einem Wohnblock in der Leipzigerstraße ein Übergangswohnheim für Spätaussiedler eingerichtet. Aus den Aufnahmelagern Friedland und Rastatt wurden die russlanddeutschen Familien hierher verteilt, mitten in die Pampa. Welche Stadt will schon Flüchtlinge im Zentrum? Das Haus jedenfalls, schrieb der "Spiegel" 1990, sei mit den Jahren zum "Kristallisationskern für die Aussiedler-Ansiedlung" geworden. Töchter, Großväter, Schwiegersöhne kamen. Arbeit gab es genug – in der Schmuckindustrie, bei Daimler, Porsche oder Bosch. Sie verdienten gut, sparten, und nach und nach wuchs der Haidach.

In den Neunzigern war er ein Brennpunkt-Viertel. Jugendliche zofften sich mit Sozialarbeitern und der Polizei und als es richtig schlimm wurde, gründete Waldemar Meser mit 56 anderen Müttern und Vätern die "Elterninitiative", die an Wochenenden in befriedender Mission unterwegs war. Meser lacht, als er all die Bundespräsidenten, Innenminister und Ministerpräsidenten aufzählt, die die "Elterninitiative" schon geehrt haben. "Wir wollten keine Sheriffs sein", sagt er, "wir hatten keine Armbinden oder so etwas", anders als die Haidacher Bürgerwehr, die nach Silvester in Köln durch die Presse gereicht wurde. Gesehen hat sie Waldemar Meser kein einziges Mal.

2002 hat die Stadt den Ehrenamtlichen der Initiative ein Haus zur Verfügung gestellt. Für Boxkurse für die Jugendlichen und Nähen und Tanzen für die Erwachsenen. 2015 wurde das Haus geschlossen, weil die Stadt für alle ihre Immobilien plötzlich Miete verlangte. Aus der ehemals reichen Schmuckstadt ist eine verschuldete geworden. Pforzheim hat sich wegglobalisiert.

Bosch, tarifgebunden, wollte dort in den Sechzigerjahren ein Zentrallager errichten. "Die Idee scheiterte am Widerstand der Schmuckindustrie, weil die Angst hatten, dass die Löhne steigen", sagt Claus Spohn, für die Linke im Stadtrat. Das sei der erste große Fehler gewesen in der Geschichte des Abstiegs dieser ehemals wohlhabenden Stadt.

Anfang der Siebzigerjahre lagerte die Schmuckbranche ihre Arbeitsplätze nach Thailand aus, nach Indien und China. Fast zeitgleich brach aus Japan die sogenannte Quarzkrise über Europa und die USA herein, die mit billigen Quarz-Uhren weltweit die Uhrenmanufakturen erdrückte. Auch die in Pforzheim – heute gibt es dort keine einzige mehr. Viele der ehemaligen Schmuckhersteller wurden mit der Zeit zu Zulieferern für die Autoindustrie. Aber auch die ließ irgendwann lieber im günstigen Ausland produzieren. Mit den Arbeitsplätzen verschwand der Reichtum aus der Stadt.

Zur Bürgermeisterwahl 2009, als Gert Hager die damalige Oberbürgermeisterin Christel Augenstein ablöste, traten windige, hochspekulative Finanzgeschäfte mit der Deutschen Bank und J.P. Morgan zu Tage, in die sich Augenstein Jahre zuvor verheddert hatte. 57 Millionen Euro Schulden hatten sich aufgetürmt. Hängen geblieben ist ein ewig dauerndes Gerichtsverfahren, das im August dieses Jahres in eine nächste Runde geht, und ein immenses Finanzloch, das Waldemar Meser und seiner Initiative das Haus gekostet hat.

Mit rund sieben Prozent hat Pforzheim die höchste Arbeitslosenquote Baden-Württembergs. "Es fehlen günstige Wohnungen und Gewerbefläche", sagt Claus Spohn. Die Edelmetall-Scheideanstalt C. Hafner sei schon nach Wimsheim umgesiedelt, weil in Pforzheim kein Platz zur Erweiterung war und das letzte größere zusammenhängende Gewerbegebiet habe Amazon bekommen.

Im Havanna hängt das "Neue Deutschland" neben der Eingangstür am Zeitungsständer und Che Guevara auf dem Ziffernblatt einer Uhr an der Bar. Raucherkneipe, Franz Rumler ist der Chef. "Urgestein", sagt er, "was von den linken Linken übrig ist." 1965, da war er 18, kam er aus dem Saarland als Goldschmiede-Lehrling nach Pforzheim. "Juweliere", sagt er, "waren hier damals nur was für Touristen." Jeder kannte einen, der einen kannte, der einem ein Schmuckstück machen konnte.

Ende der Sechziger-Jahre hat er angefangen, auf Friedensdemos Taubenanhänger aus Gold und Silber anzubieten. Und weil das gut lief, hat er Peace-Zeichen hergestellt, irgendwann als Massenware, und in linken Buchläden, auf Kongressen, Tagungen und Demos verkauft. Als die Friedenszeichen mit dem Nato-Doppelbeschluss keiner mehr haben wollte, machte er Frauenschmuck: Lesben-Ohrringe und –Kettenanhänger, Doppeläxte, Hexen auf Besen. Und als die Mode, sich die eigene Überzeugung um den Hals zu hängen, ganz verschwand, hat er das Havanna aufgemacht. Rumler war nicht ganz der einzige Goldschmied in Deutschland, der politischen Schmuck gemacht und verkauft hat. In Köln, sagt Franz Rumler, habe es noch so einen gegeben, "DKP-Genosse". Aber der sei irgendwann gestorben.


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17 Kommentare verfügbar

  • Marcus Bischoff
    am 01.06.2017
    Antworten
    Und wieder einmal ein Hass Artikel über Pforzheim! Und wieder von jemandem geschrieben der über die Stadt anscheinend keine Ahnung hat!!! Schade aber so bekommt man halt die höchstmögliche Aufmerksamkeit!! Immer im gleichen Topf rumrühren hat ja bei den Anderen die Pforzheim schlecht schreiben ja…
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