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Wenn Hab und Gut nicht wichtig sind

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Besser als jeder Wellness-Urlaub, eine Tankstelle für Leib und Seele – so danken Gäste den Brüdern und Schwestern, die ihnen im Kapuzinerkloster Stühlingen eine "Woche zum Mitleben" ermöglichen. Der Fotograf Kiên Hoàng Lê war einen Monat lang dort und hat nicht nur beeindruckende Bilder mitgebracht.

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Kloster Stühlingen an der Schweizer Grenze. Vier Franziskanerinnen und vier Brüder vom Orden der Minderen Brüder der Kapuziner leben hier im Landkreis Waldshut. Und ich mit ihnen. Einen Monat lang. Ich bin nicht christlich, eher buddhistisch. Ich bin 30, unverheiratet und versuche die Welt durch meine Kamera zu verstehen.

Wenn ich jetzt von Schwestern und Brüdern schreibe, geht es locker flockig. Am Anfang war es sehr gewöhnungsbedürftig, solch traditionelle Begriffe zu verwenden. Später wurde ich dann auch Bruder Kiên gerufen und es fiel mir gar nicht mehr auf. Es war ein Ausdruck des Vertrauens, ein Hineinfinden in eine Gemeinschaft, die sich der Armut und der Demut verschrieben hat.

Die Schwestern und Brüder besitzen kein privates Geld. Besitztümer beschränken sich auf das Hab und Gut in ihren Zimmern. Für ihr leibliches Wohl ist gut gesorgt, teils durch die Ernten aus dem Garten und teils aus Spenden der Supermärkte im Dorf, deren abgelaufene Produkte dem Kloster geschenkt werden.

Die Franziskanerinnen sind quasi bei den Kapuzinern angestellt; gleichberechtigt, jedoch teilweise immer noch rollenverteilt in der Küche und Wäscherei. Der Gottesdienst in der Kirche wird ausschließlich von den Brüdern gehalten, aber in den Andachten (Laudes, Vesper und Komplet) leiten auch die Schwestern die Gläubigen. Aber wie lange noch? Im Jahr kommen vielleicht ein, zwei Novizen hinzu, und dann ist auch nicht sicher, ob sie sich für ein Leben im Kloster entscheiden.

Ich saß mit den Schwestern und Brüdern einen Monat lang am Tisch. Wir haben gut gegessen und gelacht. Zum Beispiel bei der Totenlesung nach dem Essen. Es werden alle Namen der an diesem Tag verstorbenen Schwestern und Brüder vorgelesen und ihrer gedacht. Klingt vielleicht sehr düster, weil es den Tod wieder bewusster macht, jedoch ist im Kloster das Bewusstsein der Vergänglichkeit so präsent, dass es seinen Schrecken verliert. Oftmals wurden auch Witze über die altertümlichen Namen gerissen oder lustige Geschichten über die Verstorbenen erzählt, sodass der Tod mich eher heiter aufstehen lies.

Wahrscheinlich habe ich auch mehr Gebetsstunden (morgens 7 Uhr, mittags 11:30 Uhr, nachmittags 18 Uhr und abends 21 Uhr) mit Jesus verbracht, als der Durchschnittsdeutsche, der höchstens zur Kommunion und zu Weihnachten in die Kirche geht. In meiner Generation sind viele müde, sie kämpfen gegen Perspektivlosigkeit und Zukunftsangst. Joseph Campbell hat ihr Dilemma passend in Worte gefasst: "Nur die, die weder einen inneren Ruf noch eine äußere Doktrin kennen, sind wahrhaft in einer verzweifelten Lage."

Info:

Die Bilder sind erschienen in "Von Hauben und Kapuzen – Leben im Kloster Stühlingen". Wer mehr davon sehen will, <link http: www.hoangle.de downloads pdf kien_hoang_le-book-haubenkapuzen.pdf external-link-new-window>hier sind sie.

Das Stühlinger Kapuziner-Kloster bietet "<link http: www.kloster-stuehlingen.de external-link-new-window>Wochen zum Mitleben" an.


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