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Unbestimmtes Land

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Wenn sich die NATO demnächst in Litauen breitmacht, um den Kamm gen Osten zu schwellen, wird auch die Bundeswehr dabei sein. In der Südpfalz-Kaserne in Germersheim werden Soldaten auf Auslandseinsätze aller Art vorbereitet. Seit Mitte 2015 engagiert die Truppe sogar externe Rollenspieler, die bei Übungen Freund und Feind mimen. Ein Besuch in einem deutschen Krieg.

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Wilfrid Hoffmann hat in der Schule schon den Till Eulenspiegel gegeben, bei der 1200-Jahr-Feier von Rheinzabern war er Graf, dann ein Betrunkener, an diesem Mittwochvormittag ist er Malik mit schwarz-blauer Mütze und scharf rasiertem Bart, Bürgermeister einer Ortschaft, die hier Dragaš heißt. Er steht mit einer Handvoll Soldaten auf der Wiese und erklärt sein Dorf: ein Dutzend Gartenhäuschen, ein alter Hubschrauber, ein Panzer, ein Autowrack, aus dessen Motorhaube Blumen wachsen, ein Friedhof mit Holzkreuzen und einer Schaufel, die erwartungsvoll in der Erde steckt, als würde sie auf den nächsten Toten warten. "Delta hier, Delta zwei kommen", funkt einer, ein Funkgerät knistert von irgendwoher zurück. Es gebe einen Hilfspolizisten im Dorf, sagt Malik. "Der hat auch eine Waffe."

Hoffmann kommt aus dem Norden. Die Liebe habe ihn hier heruntergezogen sagt er, die Landschaft sei platt wie ein Pfannkuchen. Hoffmann ist 66 Jahre alt. Früher war er Maurermeister, hat auch mal Umweltschutz studiert. Heute ist er Rentner und einer von 25 Schauspielern, die seit April 2015 in sogenannten militärischen Rollenspielen für diejenigen Soldaten Krieg und Krise nachspielen, die sie irgendwann real erleben müssen. 

Ins Ausbildungsbataillon der Südpfalz-Kaserne kommen Soldaten der Luftwaffe aus ganz Deutschland zu praktischen Trainingseinheiten. Es gibt einen Parcours mit Wänden, Staffeln und Kreuzen im Boden, einen stockfinsteren Tunnel, in dem Sehen mit Nachtsichtgeräten geübt wird, es gibt die Dörfer Dragaš und Dobis und das Main Gate, Nachbau der Einfahrt in ein Bundeswehrlager – Wachhäuschen, Aussichtsposten, eine vergitterte Eingangsschleuse. Die Hinweisschilder sind in Englisch und Arabisch, die Situation könnte überall sein. Xfor nennt man das. Unbestimmtes Land.

Hoffmann ist von Anfang an dabei. Das Schauspielerische gefällt ihm. Er mag seine Rolle. Malik sei ein guter Typ, sagt er. Einer, der sich um seine Bevölkerung kümmert, der alles weiß, er ist das Eingangstor zu den beiden Ortschaften und derjenige, ohne dessen Information das ganze Szenario nur böse enden kann. Es sei ganz wichtig, sich in seine Rolle richtig reinzufühlen, sagt Hoffmann, und seiner Figur einen Charakter zu geben, Autorität, Kompetenz, Authentizität, damit es sich für die Soldaten anfühlt wie in echt. Unberechenbar. Das mag er. Das Unvorhergesehene. Auch jeder Soldat reagiert anders, sagt Hoffmann und seine Augen funkeln begeistert, als er erzählt, wie er einmal einfach an der ganzen Truppe vorbeigelaufen sei, ohne ein Wort zu sagen. Die hätten alle ganz schön geguckt, Mannomann. 

Im Hintergrund explodiert mit einem Knall eine Mine und reißt einem Mann den Arm ab. Malik kniet jetzt auf der Wiese. Es knallt noch mal, leiser, ein Soldat hat aus Versehen den Hilfssheriff erschossen. Plastikdärme quellen aus dessen Sweatshirt wie Würmer.

Eine Frau heult lautstark, eine andere plumpst mit blutender Wunde an der Stirn und einem Baby unterm Arm in eines der Häuschen. "Sie hat das Bewusstsein verloren!", ruft ein Soldat zur Info oder zur eigenen Beruhigung und fällt neben der Frau auf die Knie. Eine Waffe fehlt. Geklaut im Trubel. Ein starker Typ in Gelb mit schwarzer Sonnenbrille eiert durch die Szenerie, klebt an den Hacken desjenigen, der den Hilfssheriff erschossen hat. "Der hat geschossen!", ruft er. "Ich hab's gesehen! Der hat geschossen! Der hat geschossen!" Frauen heulen, Männer schreien, es qualmt hinter einem alten Renault. 

"Lage Ende!", schreit der Ausbilder. Manöverkritik.

Die ohnmächtige Mutter sitzt am Tisch, nimmt eine Schluck Wasser, auf beide Augen hat sie üble Veilchen geschminkt, der Kopf steckt in einem rutschenden Verband. Der Mann in Gelb mit Sonnenbrille steckt sich seine E-Zigarette an, Erdbeeraroma. Er ist selbstständiger Vertriebler, seit Juli letztes Jahr ist er als Schauspieler dabei. Warum? "Weil es Spaß macht", sagt er. Vor ein bisschen mehr als 20 Jahren haben sie ihn ausgemustert. "T 5. Wegen Knie." Er habe schon immer wissen wollen, wie es so ist beim Militär. Zwischen Sprudelflachen und Aschenbechern liegt die Babypuppe auf dem Rücken, wie ein dicker, hautfarbener Käfer. Das Minenopfer trinkt einen große Schluck aus der Flasche. Der Rest des verletzten Arms baumelt als nasser, roter Beutel an seiner Schulter. 

Wilfrid Hoffmann steht auf einer Wiese. Hinter ihm ein Mülleimer, aus dem blutige Verbände quellen wie ein Muffin aus der Form. Es ist schon eine Weile her, aber als er selbst in der Bundeswehr war, hat er den Dienst an der Waffe verweigert. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich damit schieße." Also wurde er Sanitäter. Eigentlich sei er Antimilitarist, sagt Hoffmann. Aber wenn er hier mitmacht, sei er wenigstens an der frischen Luft.

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6 Kommentare verfügbar

  • Sven Lehmann
    am 09.07.2016
    Antworten
    Es stimmt mich sehr nachdenklich, was aus einem Interview gemacht wird. Bei dem Training (militärischen Rollenspiel) geht es darum in möglichst realistischen Lagen auf Auslandseinsätze vorzubereiten. Die Handlungssicherheit steht hier im Fokus. Bei dem "Theaterstück" geht es hier um Ersthilfe bei…
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