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Gott, Zombies und LGBTIs

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Bei der Comic Con Germany auf der Fildermesse dominieren Superhelden, Elfen, Weltraumkrieger das Programm. Nicht so beim kleinen Stuttgarter Comicverlag Zwerchfell. Mit Titeln abseits des Mainstreams ist er eine der interessantesten Adressen für Independent-Comics in Deutschland.

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Stefan Dinter ist so etwas wie der Stuttgarter Hansdampf in allen Comicgassen, zum Teil auch aus Notwendigkeit. Er zeichnet selbst, doch weil er wie die meisten anderen Comiczeichner in Deutschland damit seinen Lebensunterhalt nicht alleine verdienen kann, macht er Lettering (Sprechblasentexte) für große Verlage, arbeitet als Grafiker, gibt regelmäßig Comic-Workshops an Schulen, arbeitet als Gastdozent an der Merz-Akademie – und ist Co-Verlagsleiter des Zwerchfell-Verlags, eines der interessantesten Independent-Comicverlage Deutschlands.

Gegründet 1988 in Hamburg von Christian Heesch, wurde Zwerchfell nach dessen Rückzug und der Übernahme der Verlagsleitung durch Dinter und Christopher Tauber im Grunde zu einem Stuttgarter Verlag, zumindest zur Hälfte – Tauber wohnt mittlerweile in Frankfurt. Seit Verlagsgründung sind etwa 130 bis 140 Alben bei Zwerchfell erschienen, wobei nur wenige der verlegten Zeichner aus der Region kommen, darunter Dinter selbst, die Esslingerin Veronika Mischitz ("Kleiner Vogel Rot") und der Tübinger Haimo Kinzler ("Krigstein").

Mainstream sucht man bei Zwerchfell vergebens, statt auf Massenware setzen die Macher auf Unkonventionelles und junge Talente. Da sind dann so herrlich skurrile Sachen dabei wie die beiden "Gott"-Comics des Berliner Illustrators und Animationsfilmers Aike Arndt, die ein neues, für Strenggläubige wohl schwer erträgliches Licht auf den Allmächtigen werfen. Dann wieder sehr mit der Realität verknüpfte Werke wie "Ach so ist das", in der die Zeichnerin Martina Schradi 22 biografische Comicreportagen über LGBTI-Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transident- und Transgender-Personen und Intersexuelle) zusammengestellt hat und mit pointiertem Strich wie Text zeigt, welchen Schwierigkeiten Menschen gegenüberstehen, deren sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität nicht der der Mehrheit der Bevölkerung entspricht.

Ein Aufklärungsbuch im besten Sinne, das man sich auch im Schulunterricht vorstellen könnte. Und dann gibt es auch so düstere Stoffe wie den Historiencomic "Die Verwerfung" von Lukas Kummer, der in apokalyptischen Bildern die Geschichte zweier Brüder in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges erzählt, umgeben vom allgegenwärtigen Tod, der durch Soldaten, Hunger oder Krankheiten kommen kann.

Allmählich steht die schwarze Null

Gewinn lässt sich mit so einem Programm immer noch nur schwer machen. Doch mittlerweile komme man so langsam "in den Bereich der schwarzen Null", wie Dinter lachend erklärt. Die Zeiten, als schon Auflagen von 500 Stück als hoch galten, sind vorbei, mittlerweile liegen die Anfangsauflagen bei mindestens 1000 Stück. Seit einigen Jahren gehe es aufwärts, so Dinter, was mit gewachsenem Know-how, besserer Pressearbeit, besserem Vertrieb zu tun hat – und mit "Die Toten". 

Unter diesem Titel startete der Verlag 2009 eine Zombie-Comicreihe, das Konzept auch hier nicht ganz konventionell: In jeder Ausgabe steuern drei Autoren abgeschlossene Geschichten bei, die stilistisch extrem unterschiedlich sein können, aber alle während einer Zombie-Epidemie spielen – in Deutschland. "Wir hielten das für interessanter als in den USA", sagt Dinter, "denn bei uns gibt's nicht so viele Schusswaffen. Man muss in einen Baumarkt gehen und sich eine Sense holen oder eine Axt." "Die Toten" schlugen ein, vier Bände sind bereits erschienen, die Verkäufe gehen in die Tausende.

So groß war der Erfolg, dass er im Grunde zu groß für den kleinen Verlag wurde. "Zu schnell verkaufte Kleinauflagen spülen uns nicht gerade das Budget rein, um sofort und ausschließlich einen Titel bedienen zu können", so Dinter, "wir wollen ja weiter in unserem Programm auch abwegigeren, alternativen Titeln eine Chance geben." So entschloss man sich bei Zwerchfell zu einer Kooperation mit dem großen Panini-Verlag für den Vertrieb, ohne dabei aber die Redaktion für die Reihe aufzugeben.

Bei der Comic Con Germany auf der Fildermesse ist der Verlag nicht mit einem eigenen Stand vertreten, nur Dinter selbst mit einem Künstlerstand. Das hat mehrere Gründe. "Die Convention ist einerseits überlaufen", sagt Dinter, "andererseits haben wir lange gebraucht, um uns zu entscheiden, weil sie nur vier Wochen nach dem Comic-Salon Erlangen stattfindet" – was immer noch die wichtigste Comic-Veranstaltung in Deutschland ist. Dazu kommt, dass die erwarteten Besucher nicht gerade der Zwerchfell-Zielgruppe entsprechen. "Wobei wir mit den Zombies sicher ganz gut ankommen werden", sagt Dinter, die seien auch bei der sehr ähnlich strukturierten German Comic Con im vergangenen Jahr in Dortmund gut gelaufen – aber sonst keine Verlagstitel. Bei der hiesigen Comic Con hofft Dinter auf etwas mehr Streueffekte, etwa auf die wenigen Manga-Titel des Verlags wie Asja Wiegands "Sterne sehen". "Wenn sich nur ein Prozent der Besucher auch für unser übriges Programm interessiert, wäre das schon toll", sagt Dinter. Die Lust am Schrägen und Unkonventionellen werden er und seine Kompagnons aber so oder so nicht verlieren.


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