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Lümmel im Landtag

Lümmel im Landtag
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Wie geht's eigentlich im Landtag zu? Das hat sich unsere Volontärin schon öfter gefragt. Sie hat mal reingeschaut in die letzte Plenarsitzung vor der Landtagswahl und erstaunt festgestellt: Hier geht's ja zu wie in jedem besseren Großraumbüro. Da wird nicht nur gestritten, sondern munter geratscht, gelacht und beleidigt.

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Hier lässt sich's leben. Bevor Präsident Wilfried Klenk (CDU) zur letzten Plenarsitzung vor der Wahl einläutet, wird in den Nebenräumen des Interims-Landtags am Schlossplatz erst mal kräftig was weggeknuspert. Beim Blick auf das Frühstücksangebot in den Fraktions-Cafés im baden-württembergischen Landtag könnte man es niemandem verübeln, sich mit kulinarischen Hintergedanken zur Wahl zu stellen. Denn Landtagsabgeordnete müssen ihren Tag nicht mit lätschigen Pizzataschen vom Vortag und saurem Kaffee im Riffelbecher beginnen.

Im SPD-Cafè philosophieren Wolfgang Drexler und Claus Schmiedel über die Zukunft des NSU-Untersuchungsausschusses. Und am Stehtisch daneben kullern bittersüße Tränchen. Rita Haller-Haid wird heute ihre letzte Rede im Plenarsaal halten und nach 15 Jahren den Landtag verlassen. "Ich wollt eigentlich nicht weinen", sagt die 65-jährige SPD-Frau aus Tübingen, schnieft und lässt sich von einer Kollegin tätscheln, die "jetzt gleich mitweinen muss". Schnell noch ein Gäbelchen Käsekuchen genascht, dann ist es 9.30 Uhr. Die Abgeordneten pilgern aus ihren jeweiligen Cafés in die Politarena.

"Letzte Sitzung, ich kann's kaum glauben", sagt Willi Stächele zu einem CDU-Kollegen, der sich style-technisch nicht vom Graue-Herren-Look der restlichen CDU-Sitzecke unterscheidet. Der ehemalige Finanzminister hatte nicht nur für Schlagzeilen gesorgt, weil er seine Frau nach dem "Frischmachen" an einer Raststätte in Luxemburg vergessen hatte. Ausgeplaudert hatte die Story Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger. Ja, im Landtag wird viel geratscht, gelacht, gestritten und geweint. Die Szenen zwischen Rednerpult und Garderobe unterscheiden sich dabei nicht vom Büroalltag des Durchschnitts-Baden-Württembergers und changieren zwischen Theater und Comedy.

Schnell sind auch im Plenarsaal Charaktere ausgemacht, wie es sie schon in der Schule oder an der Uni gab. Da ist zum Beispiel die Streberin Andrea Lindlohr (Grüne). Noch bevor die Sitzung eröffnet wird, sitzt die stellvertretende Fraktionschefin auf ihrem Stuhl in der ersten Reihe und nimmt letzte Verbesserungen an ihren Hausaufgaben vor. Für ihre Rede zum Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen sind nur fünf Minuten angesetzt – da will jedes Wort gut überlegt sein. Doch eigentlich müsste sich Lindlohr die Mühe nicht machen. Die wenigsten hören zu, als die Landtags-Gladiatoren unter den Augen von Kaiser Klenk in die Arena steigen. Da auf 138 Abgeordnete im Saal nur 28 Frauen kommen, schwebt zudem eine gehörige Wolke Testosteron unter der Kuppel des Kunstgebäudes. Als Lindlohr ihr Redesoll erfüllt hat, wird in den grünen Rängen brav geklatscht, während Jutta Schiller (CDU) Selfies mit den Jungs in der Bank hinter sich schießt und die Zuspätkommer – mindestens ein Drittel der Abgeordneten – unauffällig auf ihre Stühle schleichen.

Zwar kommt kein*e Abgeordnete*r drumherum, sich auf dem "Catwalk" zwischen Eingang, Presse- und Zuschauerrängen als Nachzügler zu outen. Doch zwei Füchse haben es geschafft, unauffällig zu spät zu kommen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Stellvertreter Nils Schmid (SPD) sitzen plötzlich auf der Regierungsbank, als wären sie hingebeamt worden. Wie Batman und Robin in Anzügen müssen sie ihr Regierungsmobil hinterm Haus geparkt und sich durch einen unterirdischen Geheimgang direkt auf die Sitzbänke manövriert haben. Und zwar just in time.

Denn im Moment ihres superheldenhaften Auftauchens stolziert Hans-Ulrich Rülke (FDP) mit seinen Unterlagen ans Rednerpult und lässt sich auf Knopfdruck die Mikrofone auf Sprechhöhe entgegenfahren. Noch bevor sich Batman und Robin die Sandmännchen aus den Augen reiben können, dröhnt "Brüllkes" V8-Sprachmotor im oberen Drehzahlbereich zu Top zwei des Tages: "Wie will die Landesregierung endlich den Flüchtlingszugang in den Griff bekommen." "Kuhhandel!", "sicheres Herkunftsland!", "Lösungen!", "Flüchtlingsproblematik!", "Sie verhindern!" – scharfe Schüsse in Richtung "Winfriedos Kretschmannakis", wie der FDP-Spitzenkanditat den grünen Ministerpräsidenten bei einer Haushaltsdebatte einst betitelte.

Auf heißen Reifen gegen "Winfriedos Kretschmannakis"

Was für die Besucher auf den Zuschauerrängen wie das Vorspiel einer Schulhof-Klopperei aussehen muss, ist Abgeordneten-Alltag. Während Rülke in Richtung Kretschmann brüllt, reibt dieser sich unbeteiligt die müden Augen und lässt den V8-Motor an sich vorbeidonnern wie einen milden Frühlingshauch. Denn was im Landtag wie Streit aussieht, lässt viele Parlamentsmitglieder nicht einmal von ihrem iPad aufschauen. Spätestens in der Mittagspause haben sich die meisten eh wieder vertragen.

Bevor sich das Ensemble jedoch über Mittag in die Fraktions-Cafés verzieht, gibt's Frühsport. Nachdem Vize-Landtagspräsidentin Brigitte Lösch (Grüne) den Chefsessel eingenommen hat, liest sie sichtlich genervt und in irrem Tempo unzählige Anträge zu Schulgesetz-Änderungen und dem NSU-Untersuchungsausschuss vor. Es folgt eine perfekt Choreografie an sich streckenden Abgeordneten, die monoton Hände heben und senken – alles in Affentempo. Ende der Sportstunde.

Während Team Rot massig Senf auf Kassler schmiert und sich den ein oder anderen Tomatensaft mit Tabasco im Fraktions-Café genehmigt, geht's bei Team Grün gegenüber nicht weniger deftig zu. Bei Blutwurst, Speck und anderen Schweinereien lassen Franz Untersteller und Uli Sckerl Veggieday mal Veggieday sein und angeln sich ein paar saftige Wurststücke vom Büffet. Ein paar Schritte weiter geht's durchs CDU-Café samt großzügig bestückter Mittagstafel ins Hinterzimmer-Caféle der FDP. Der Weg lohnt sich allemal – auch für Landtagsbesucher.

Denn hier gibt's Süßigkeiten und nette Onkel, die gerne mal was erklären. Während die einzige (Bar-)Frau bei der FDP eine neue Tüte Haribo-Frösche und Schaumküsse auf Tellern verteilt und den Maultaschensalat durchmischt, demonstriert Jochen Haußmann aus der FDP-Männerclique die Vorteile der Café-Möblierung: "Da müssen Sie nur drauftippen, dann gehen die Schubladen von alleine auf – zack", sagt der verkehrspolitische Sprecher. Für Barfrau Silvia Heim könnte es das letzte Mal im FDP-Café sein. Denn wenn es die Gelben im März nicht mehr in den Landtag schaffen, dann – "ja dann ..." wäre die Finanzbuchhalterin ihren Nebenjob bei den süßen Gelben los. Doch daran will Heim nicht denken. Muss sie laut neuen Umfragen auch nicht.

Schnell die letzten Wurstzipfel vom Teller geschnappt, dann ertönt ein Gong wie im Theater, und die Abgeordneten machen sich auf in die zweite Runde. "Ich werde jetzt den Landtag wieder eröffnen und wünsche mir keine Beleidigungen", sagt Landtagsvizepräsident Wolfgang Drexler (SPD) und feixt mit Reinhard Löffler (CDU) am Rande des Plenarsaals. "Ach, wir wollen doch auch unseren Spaß", kontert Löffler auf dem Weg zu seinem Sitz. Während sich die Fraktionen langsam wieder auf ihren Plätzen einfinden, witzelt der SPDler mit den Lachfalten vom erhabenen Präsidentensitz herunter: "Wer spricht jetzt für die CDU?", fragt er in Richtung der grauen Herren. "Wie heißt der? Doktor was? Au, Löffler, ah ja", sagt Drexler am Mikrofon vorbei, grinst und notiert sich etwas.

Ohne Beleidigungen macht's keinen Spaß

Doch als Drexler die Nachmittags-Sitzung einläutet, ist Schluss mit lustig. Zurück in den rustikalen Pausenhof-Modus. In Löfflers Fall bedeutet das eine vernichtende Rede gegen Uli Sckerl und seine grünen Kollegen Regierungssprecher Braun und Bürgermeister Wölfle. Der "grüne Sumpf" hätte laut Löffler mit dem von Sckerl mit herausgegebenen Buch zum Schwarzen Donnerstag im Schlossgarten ("Mit Kanonen auf Spatzen") nicht mehr geliefert als "die Alternative zu Hakle Feucht". Da lacht sogar der stoische Presserang. Als Löffler weitere kreative Beleidigungen vom Pult feuert, die seine Parteigenossen mit derselben Energie feiern, mit der sich die Grünen mit Zwischenrufen empören, verabschiedet sich der wortgewandte Rechtsanwalt wie aus dem Quatsch Comedy Club: "Tschüss, hat Spaß gemacht!"

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Nach weiteren sportlichen Abstimm-Einlagen, einer zähen Rede des Rechnungshof-Präsidenten Max Munding im Papst-Johannes-Paul-II.-Duktus und einer Fragestunde ist gegen 19 Uhr Schluss. Alle haben sich wieder lieb und Landtagspräsident Wilfried Klenk (CDU) verabschiedet in seiner Schlussansprache 27 ParlamentarierInnen, die nach der Wahl am 13. März nicht mehr dabei sein werden. In diesem letzen Akt der Plenarsitzung verwandelt sich das Schauspiel Landtag in eine Faschingsveranstaltung mit Büttenrede. Der CDU-Abgeordnete Rudolf Köberle – "so vielseitig wie ein Schweizer Offiziersmesser, nur nicht so rot" – wird nach 26 Jahren als Dienstältester das Hohe Haus verlassen und unter fraktionsübergreifendem Klatschen verabschiedet. Auch Parteigenosse und Violinist Heribert Rech – "der Mario Adorf der CDU" – packt nach 24 Jahren seinen Koffer und nimmt den ältesten Abgeordneten unter der schwäbischen Sonne gleich mit: den 74-jährigen "nicht royalen Bürgerkönig Karl" Traub, ebenfalls CDU.

Bei frischem Pils, Schupfnudeln mit Kraut und Kassler wird's bei der Abschluss-Sause im Foyer des Kunstgebäudes dann doch noch sentimental. Als Rosa Grünstein (SPD), die ebenfalls zum letzten Mal im Plenarsaal saß, ihren Mantel aus der Garderobe holt, sagt die schicke Oma von vier Jungs leise: "Das Reisen werde ich zwar vermissen, aber nicht die Zugfahrten und das Warten an den Bahnhöfen."


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9 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 27.02.2016
    Antworten
    Nehmen wir nur einmal die 7.448 € "Grundeinkommen". Diese ergeben rund 5.900 € netto (Besoldung B3, verheiratet, 1 Kind - bei zwei Kindern sind es schon über 6.000 €) wovon dann noch die private Krankenversicherung abgeht (mit Zuschuss vom Steuerzahler sind das ca. 300-400 €) und nicht wie von…
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