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Lasst uns froh und munter sein

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Alles ist vorbei. Der ganze Frohsinn, die fleischliche Zügellosigkeit, der unübertreffliche Humor. Das soll und darf so nicht sein. Aschermittwoch hin oder her. Im Gedächtnis sollen sie bleiben, vor allem unsere politischen Teilzeitnarren, und ihre Ausgelassenheit auch in die Zukunft tragen. Fastenzeit hin oder her. Winfried Kretschmann im blauen Bauernkittel, Nils Schmid als Lucky Luke, Guido Wolf am Pranger, Thomas Strobl in orangener Latzhose – warum nur zur Fastnachtszeit? Eine Schaubühne zum Totlachen mit wissenschaftlichen Erklärungen.

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Um auszuloten, wie nachhaltig und ernsthaft die Lustigkeit der PolitikerInnen ist, hat Kontext einen Fachmann gefragt: Professor Hermann Bausinger. Als Gründer des Tübinger Ludwig-Uhland-Instituts für empirische Kulturwissenschaft, kurz Lui, hat er sich viele Jahre mit der organisierten Narretei beschäftigt. So sehr, dass seine Lehrstätte fast schon als "Fastnachtslabor" galt, aber ohne Narrenkostüm, weil ihm andernfalls im pietistischen Tübingen die Einweisung in die Psychiatrie gedroht hätte. Seine Erläuterungen sind deshalb voll objektiv:

Auf ein Motiv lässt sich das Handeln der politischen Teilzeitnarren nicht zurückführen; man muss eine ganze Reihe von Impulsen in Betracht ziehen:

  • Es kann sich um die Fortsetzung einer persönlichen Gewohnheit in etwas erweitertem Rahmen handeln - Kretschmann hat sich schon früher unters närrische Volk gemischt. Wo diese Voraussetzung nicht gegeben ist, wird eine etwas abstraktere Form der Traditionstreue demonstriert. Oft merkt man die Selbstinszenierung; aber da Fastnacht insgesamt ein Theater ist, gibt das nicht unbedingt Minuspunkte.
  • Die Polithäupter finden es angebracht, eine ruhige Gangart zu demonstrieren. Vor dem Hintergrund der realen oder imaginierten Untaten und Entgleisungen signalisiert die Bereitschaft zur Beteiligung einen gewissen Mut und soll Optimismus vermitteln.
  • Die Anpassung an die volkstümlichen Rituale mag mitunter gezielte Herablassung sein gewertet wird sie als Volksverbundenheit. Da die meisten Fastnachtsveranstaltungen einen nicht allzu hohen Humorquotienten aufweisen, ist das Erreichen der Einschätzung "ein unheimlich humorvoller Mensch" nicht allzu schwierig, und sie macht sich gut im Portefeuille.
  • Natürlich sind auch die direkteren Mechanismen der Wahlwerbung im Spiel. Man bleibt durch die närrischen Besuche im Bild. Das ist ganz wörtlich zu nehmen, da beispielsweise der SWR wochenlang kontinuierlich von Maskentreffen berichtet und mit dieser als Vielfalt verkauften Monotonie erstaunliche Quoten einfährt.
  • Es handelt sich um eine gemütvolle Werbung. Sticheleien sind, falls die Ehrengäste zu Wort kommen, erwünscht; schärfere Polemik ist höchstens in Orten gefragt, in denen ein einseitiges Wahlergebnis schon feststeht. Die meist schon etwas älteren Organisatoren der örtlichen Fastnacht schätzen die Biederkeit der Auftritte.
  • Und sie rechnen es den Vertretern der mittelgroßen Politik hoch an, dass sie sich den Reden und Versen der Lokalkabarettisten aussetzen und dabei (meist harmlosen) Spott erfahren.
  • Zumindest in den alten Fasnetslandschaften werden die Aktivitäten von einer angesehenen Gruppe der Bürgerinnen und Bürger getragen. Die Politiker haben die Chance, etwas vom Ansehen der Lokal- und Regionalgrößen abzuzwacken und man gibt ihnen die Gelegenheit dazu, weil die örtlichen Honoratioren ihrerseits vom Ansehen ihrer hohen Gäste profitieren.
  • Das Fastnachtsgeschehen fällt dabei nicht aus dem üblichen Rahmen. Die Politiker würden ja auch gerne dem VfB zur Meisterschaft gratulieren, was momentan aber schwierig ist. Dann eben Auftritt mit Zunftmeistern oder Elferrat.

 

Hermann Bausinger, Jahrgang 1927, hat im vergangenen Jahr ein Buch über die gegenwärtige Alltagskultur mit dem Titel "Ergebnisgesellschaft" veröffentlicht. Die Jagd nach schnellen Ergebnissen verdränge die Erlebnisorientierung, sagt er, und das gelte auch für die Entwicklung der närrischen Aktionen.


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2 Kommentare verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 11.02.2016
    Antworten
    Wenn ich heute über die hanebüchenen Dummheiten nachdenke, die in den meisten Fastnachtssendungen des SWR vorgestellt wurden, dann frage ich mich, ob meine Rundfunk- und FS-Gebühren nicht für ausgemachte Primitivlinge verschwendet wurden. Dass die Fastnacht besser inszeniert werden kann und vor…
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