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Ein Raumschiff wird kommen

Ein Raumschiff wird kommen
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Der Kaunertaler Gletscher muss Anfang August für die bisher höchstgelegene Mars-Feldsimulation herhalten. So will es das Österreichische Weltraum-Forum (ÖWF). Eine private Stiftung will dagegen viel höher hinaus. Sie nennt sich Mars One und will ab 2027 Menschen auf dem Roten Planeten ansiedeln. Finanziert werden soll das Himmelfahrtskommando über Fernseheinnahmen. Der Haken an der Sache: Es gibt nur One-Way-Tickets.

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Im Jahr 2024 will das niederländische Unternehmen Mars One des Ingenieurs Bas Lansdorp vier Hobbyastronauten auf den Mars schicken eine Rückreise ist nicht geplant. Das Projekt läuft seit 2011, mehr als 200 000 Sci-Fi-, Weltraum- und Techniknerds aus aller Welt haben sich beworben. Unter den letzten 100 Kandidaten ist auch ein deutscher Student, Patrick Schröder. Die Mars One genannte Mission sieht in etwa so aus: Die vier Wagemutigen besteigen ein Raumschiff, fliegen von 2026 bis 2027 über circa sieben Erdmonate lang zum Mars, steigen dort aus und bauen aus Material, das im Vorfeld von Versorgungsflügen auf den Roten Planeten gebracht werden soll, eine schlichte Bleibe.

Die Freiwilligen sollen Pflanzen in Gewächshäusern züchten, die später auch die Ernährung und Sauerstoffproduktion mit übernehmen könnten, betreiben Marsforschung und präsentieren sich lebenslänglich den Zuschauern irdischer Pay-TV-Sender, quasi ihren Lehnherren. Alle zwei Jahre sollen vier weitere Astronauten landen, jeweils zwei Männer und zwei Frauen, bis eine kleine Siedlung aus 24 Marskolonisten entsteht. Eine Art Big-Brother-Show mit dem Mars als Kulisse. Durch den Verkauf der Fernsehrechte und Werbeeinkünfte soll das etwa sechs Milliarden Dollar teure Projekt finanziert werden.

Was klingt wie Mediensatire oder eine überhitze Kunstaktion, ist voller Ernst zumindest aus Sicht der Weltraumfirma Mars One. Und auch die Kandidaten verhalten sich nicht wie Vorabendserienheinis, die mal schnell zu prolligem Ruhm kommen möchten. Nein, die Aspiranten schleppen sich durch einen Parcours mühseliger Tests, peinlicher Interviews und gnadenloser Konkurrenz.

Zu den letzten 100 Kandidaten, die im Herbst 2015 in die nächsten zwei Auswahlrunden gehen werden, gehört als einziger Deutscher Robert Schröder. Auf ihn wartet zunächst ein zweiwöchiger gruppendynamischer Stresstest sowie eine Isolationssimulation, die noch in diesem Jahr an Fernsehsender verkauft werden soll. Danach stehen die 24 Bewerber fest, die in den kommenden zehn Jahren jeweils in Viererteams den Marsernstfall einüben können. Der aus Darmstadt stammende Vorauswahlbezwinger, 27, beschreibt seine Marsmotivation folgendermaßen: "Ich wollte schon als Kind ins All. Diese Möglichkeit, auf dem Mars eine Kolonie, eine soziale Struktur und Infrastruktur aufzubauen, ist hochspannend. Ich kann meine Fähigkeiten für unsere Marskolonie einsetzen und sie mitgestalten, wasserhaltige Höhlen erkunden, Pflanzen züchten, Gesteinsproben untersuchen und dort oben auch eine Familie gründen."

Anforderungen à la Scientology

Er und seine Mitbewerber unterwerfen sich einem Katalog von rigiden Anforderungen, deren Erfüllung einer Zumutung gleichkommt und den Geist von Scientology atmet. Ein Blick auf die entsprechende Mars-One-Onlineseite: "Du unterstützt Ideen, die deinen eigenen widersprechen. Dir geht's am besten, wenn alles schiefläuft. Dein Geist ist unbezwingbar. Selbst wenn der Sinn von Maßnahmen nicht offensichtlich ist, folgst du jenen, die dich führen. Du kennst deine Grenzen und weißt sie zu erweitern." Welche Gruppe nach den mehrstufigen Auswahlmodi als erste zum Mars fliegt, bestimmen die Zuschauer der Reality-TV-Show. Mars One bezeichnet diese Vorgehensweise als "demokratischen Prozess".

Warum will ein junger Mensch in eine enge Blechkapsel steigen, dort mit drei anderen Lebensmüden 200 Tage ausharren, um dann ohne jegliche Annehmlichkeiten in einem provisorischen Flachdachbau oder einer Marshöhle zu hausen oder womöglich auf sein Ende durch Austrocknung zu warten? Irgendwie scheint das widersinnig. Mit 27 Jahren ist doch noch was zu holen auf der Erde. Ist uns unser Heimatplanet zu langweilig geworden, gibt es da nichts mehr zu tun oder zu entdecken?

Mitnichten! Jährlich werden von emsigen Forschern Hunderte neuer Pflanzen- und Tierarten aufgestöbert. Unlängst wurde von Drohnen ein neues Volk im Osthimalaja aus dem Schatten der Anonymität gezerrt. Und wer weiß schon, was die Antarktis freigibt, wenn die Polkappen mal abgeschmolzen sind?

Doch diese irdischen Abenteuer machen auf Schröder und viele Zeitgenossen keinen Eindruck mehr. Die wahren Adventures beginnen für sie da draußen, jenseits der Stratosphäre. Dort auf dem Mars, im kalten Licht einer fernen Sonne, wollen sie ganz neu anfangen! Die Menschheit auf Reset setzen! Siedlungen gründen, wie einst die Bewohner der Pfahlbauten am Bodensee. Eine kooperative Pioniergesellschaft bilden und für eine gemeinsame und bessere Zukunft einer potenziellen Post-Erde-Menschheit arbeiten. Wollen also auf dem Mars auch das umsetzen, was wir hier auf der Erde nicht hinkriegen!

One world is not enough? Sind wir erdmüde geworden? Es scheint so. Mehr als die Suche nach Abenteuer und neuen Kontinenten, unbegrenzten Rohstoffen und neuen Geschäftsfeldern erscheint diese Marsmission als eine Flucht. Die Erde ist kompliziert geworden, Veränderungsprozesse verlaufen für den Einzelnen zu unkontrolliert oder im Schneckentempo, nachhaltige Entwicklungen werden oft erst zwei bis drei Generationen später umgesetzt und sichtbar. So lange können die Hobbynauten und gleichgesinnte Spacenerds nicht warten, sie wollen die neue Welt, das frische, noch unbestellte Spielfeld der Utopien jetzt, sofort!

Seriöse Wissenschaftler zweifeln an den Erfolgschancen

Ist das der Beginn einer neuen Heilslehre? Sind Mars-One-Teilnehmer die neuen Pilgrim Fathers, ist der Mars-One-Unternehmer Bas Lansdorp ihr Prophet? Wie bei allen Pilgerfahrten ist der Glaube größer als der Sinn für Realismus. Erfahrene Weltraumwissenschaftler stellen dem Mars-One-Projekt keine vielversprechende Prognose. Der Zeitplan sei sehr knapp, die Überlebenschancen der ersten vier Marssiedler schätzen sie auf 50 Prozent im ersten Jahr, in den Folgejahren geht die Wahrscheinlichkeit gegen null. Weltraumlogistiker bezweifeln aus Kostengründen die Durchführbarkeit der Versorgungsflüge, die im Vorfeld Ausrüstung und Material auf den Roten Planeten bringen sollen. Psychiater warnen, dass die Unmöglichkeit einer Rückkehr zur Erde die Marssiedler geistig zerrütten und in den Wahn treiben würde. Selbstmord wegen Heimweh droht. Doch auch für den publikumstauglichen Seelsorgefall hat sich Mars One schon gewappnet. Mit etwa 20 Minuten Verzögerung könne zwischen Erde und Mars via Skype therapiert werden.

Doch eingefleischte weltflüchtige Weltraumpioniere schreckt das nicht: Der Mars als nächstes Menschheitsdomizil liegt im Trend. Mars One ist nur die kamerafreudige Vorhut von anderen Projekten, die die Raumfahrtbehörden der meisten größeren Nationen vorantreiben. NASA, ESA, ISRO, CNSA, Roskosmos und etliche andere nationale Weltraumorganisationen sowie private Marstourismus-Firmen planen im Halbverborgenen ihre eigenen bemannten Marsmissionen. Bei den aus Steuermitteln finanzierten Projekten geht es wohl wissenschaftlich fundierter zu, liegt der Fokus nicht auf der medialen Verwertung im Spaßfernsehen, kommen ausgebildete Raumfahrer und Piloten mit Erfahrung zum Zug und wird auch an eine Rückreise gedacht.

Schon im Sommer dieses Jahres wird auf einem Gletscherfeld nahe der Stadt Innsbruck eine Auswahl internationaler Freiwilliger den Marsernstfall üben. Die sogenannten Analogastronauten testen im Auftrag des Österreichischen Weltraum-Forums auf einem Gletscher in 3000 Meter Höhe neuartige Raumanzüge, zusätzlich werden Simulationen mit Virtual-Reality-Brille durchgeführt.

Die US-amerikanische, gerade mal 13-jährige Alyssa Carson zählt sich ebenfalls schon zur "Generation Mars". Seit einigen Jahren übt sie die Besiedlungssituation in Trainingscamps der NASA. Zur reibungsfreien Weltraumkommunikation erlernt sie im Auftrag des NASA neben Englisch auch Chinesisch, Spanisch, Russisch und Deutsch. Die amerikanische Raumfahrtbehörde plant, sie 2033 auf den 225 300 000 Kilometer entfernten Planeten zu bringen. Sie könnte also die erste Erd-Besucherin der dann bereits angereisten Mars-One-Kandidaten werden.

Warum reisen wir eigentlich nach außen, ins All? In unserem Inneren befindet sich auch ein All, welches, glaubt man erfahrenen Psychonauten, genauso groß und rätselhaft ist wie der äußere Kosmos, nur eben besser erreichbar. Ein wenig meditieren, die richtigen Kräuter oder Pillen schlucken, fasten oder hyperventilieren, sensorische Reizdeprivation (Floating) erfahren oder in einer schamanische Schwitzhütte sitzen, und schwupps ist man Raumfahrer im inneren Kosmos unserer Psyche und auch rechtzeitig zum Feierabendbier wieder zu Hause! Und das ganz ohne fossilen Treibstoff zu verbrennen, klimaneutral sozusagen.

Dagegen hinterlässt die geplante Mars-One-Mission einen ökologischen Fußabdruck, so groß wie jener, den die zweijährige 2009-Worldtour der Band U 2 angerichtet hat. Und da sind die sechs unbemannten Versorgungsflüge noch nicht einmal mit eingerechnet. Wir zerstören mutwillig die Atmosphäre unseres Heimatplaneten, nur um ein paar Mars-Freaks auf den anscheinend auch für Menschen nicht mehr ganz unerreichbar weit entfernten roten Sehnsuchtsplaneten zu kutschieren, auf dem es noch nicht mal eine Atmosphäre gibt.

Irreversible Persönlichkeitsstörungen und erektile Dysfunktion

Verantwortungsloser als mit unserem blauen Wohlfühlhimmelskörper gehen die Verantwortlichen von Mars One nur noch mit den Hobbynauten selbst um. Denn die körperlichen und psychischen Risiken einer solchen Reise sind unübersehbar: Austrocknung wegen permanentem Wassermangel, Muskelschwund aufgrund einer im Vergleich zur Erde deutlich geringeren Anziehungskraft oder Gelenkarthrose aufgrund Bewegungsmangel, depressive Verstimmung als Folge von tristem Lebensraum und wenig ermutigenden Sozialkontakten. Ichverlust vermittels möglicherweise notwendig werdender Dauermedikation, Kontrollverlust aus dem gleichen Grund, krankhaftes Grübeln, erektile Dysfunktion, irreversible Persönlichkeitsstörungen und Hospitalismus bis hin zum gefürchteten Locked-in-Syndrom.

Letzteres bezeichnet einen Zustand, in dem ein Mensch zwar bei Bewusstsein, jedoch körperlich fast vollständig gelähmt und unfähig ist, sich sprachlich oder durch Bewegungen verständlich zu machen. Für Locked-in-Patienten ergeben sich Kommunikationsmöglichkeiten meist nur durch die erhaltene vertikale Augenbeweglichkeit, und wenn auch diese verloren gegangen ist, durch eine Messung der Pupillenerweiterung.

Nun kann man sich gut vorstellen, dass eine derart reduzierte Performance im Mars-Big-Brother-Haus nicht gerade Millionen von TV-Zuschauern lange auf ihre irdischen Wohnzimmercoachs fesseln wird. Erstarrte, weggesackte Protagonisten, die nur noch mittels Pupillenerweiterung kommunizieren, sind den allermeisten Pay-TVlern einfach zu lasch. Dies hat weitreichende Folgen für die Bewertung des Geschäftsmodells von Mars One.

Wird die Finanzierung aufgehen? Nein! Selbst wenn die Akteure im Marscontainer noch halbwegs agil performen, wird schon nach wenigen Wochen ein Großteil der Zuschauer gelangweilt abschalten; zu dröge ist das Personal der immer gleichen lebensmüden Hobbynauten, zu reizlos deren Alltag zwischen Wasseraufbereitung und Mahlzeiten aus der Tube, zu unspektakulär auch die bereits in Auftrag gegebene Architektur ihrer Sci-Fi-Behausung mit Vorgärtchen aus rotbraunem silikatischem Gestein. Das hält selbst der furchtloseste Couch-Potato nicht länger als ein paar Tüten Chips und Gras lang aus.

Letztlich werden weltweit nur noch 24 Haushalte ins Mars-One-TV reinzappen: die Angehörigen der Marssiedler. Familie Schröder wird mit geröteten Augen ihre Nächte vor der Mattscheibe verbringen, um ihrem schmerzlich vermissten, langsam immer welker werdenden Robert zuzuwinken.


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