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Stuttgart hält Pegida klein

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Die Entrüstung über Pegida hat auf dem Schlossplatz zusammengeführt, was im Talkessel keineswegs immer zusammengehört: Stuttgart-21-Gegner und Grüne, SPDler, GewerkschafterInnen und Linke, Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, sehr viele Junge und viele Ältere.

In der Landeshauptstadt ist sie noch nicht angekommen, jene Welle, die von Dresden in die Republik schwappte. Gerüchte, die Retter des Abendlands würden am 5. Januar in Stuttgart auf die Straße gehen, bewahrheiteten sich nicht. Aus einer eilig aus dem Boden gestampften Gegendemo wurde eine trotz Ferien gut besuchte Kundgebung für Toleranz und "gegen Fremdenhass, Aggression, Vorurteile und Gewalt", so die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Doro Moritz.

"Es ist nie zu früh, ein solches Zeichen zu setzen", sagt eine junge Frau mit einem selbst gemalten "Willkommen"-Schild in der Hand. "Egal wie Volk ihr seid, wir sind Völker", steht auf einem großen weißen Plakat, das den anmaßenden Pegida-Slogan aus Dresden verballhornt. Nein, ruft Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn, "ihr seid nicht das Volk". Gerade hier in Stuttgart könnten "Hetzer und Rassisten" dies nicht für sich in Anspruch nehmen.

Die Stadt steht dank der Initiative der Anstifter in einer Reihe mit Berlin und Köln, mit Rostock, München oder Münster. Der Text, mit dem Geschäftsführer Fritz Mielert zur Kundgebung aufgerufen hat ("Asylheime brennen und der rechte Mob macht immer unerträglicher Stimmung gegen Flüchtlinge & MigrantInnen"), trifft die Lage in den 16 Bezirken, in denen Unterkünfte errichtet sind, allerdings nicht. Der Konsens hält.

Fast 1000 Freiwillige sind in Stuttgart für Flüchtlinge aktiv

"Stuttgarter Weg" heißt das Konzept des Miteinanders, der frühen Einbindung künftiger Nachbarn und all jener, die zur konkreten Unterstützung und Betreuung von Flüchtlingen bereit sind. Fast 1000 freiwillige Helfer und Helferinnen sind aktiv, an über 70 Grundschulen sind Vorbereitungsklassen eingerichtet, in denen Kinder und Jugendliche nach der Flucht an den Regelunterricht herangeführt werden. Immer wieder zeigt sich inzwischen, dass die fehlenden Deutschkenntnisse keineswegs das größte Problem sind. "Vor allem die Kleineren beginnen zu erzählen, wenn sie Zutrauen gefasst haben", berichtet eine Lehrerin, die aus Ostfildern auf den Schlossplatz gekommen ist. Die Geschichten gerade der syrischen Kinder, sagt sie, "sind einfach nur furchtbar".

Trotz der gut 180 Organisationen, die die Aktion unterstützen, ist der grüne Stuttgarter OB Fritz Kuhn auf eher heikler Mission unterwegs. Die Veranstalter, allen voran Mielert selber, arbeiten sich regelmäßig an den Grünen ab, wenn es um Stuttgart 21 geht. Obendrein waren im Netz Stimmen laut geworden, der OB nutze den Protest zur Selbstdarstellung ("Kuhn schleimt sich bei der Anti-Pegida ein"). Er kontert mit einer Tonlage, die seit seinem Vorvorgänger Manfred Rommel den liberalen Umgang mit Zuwanderern und Ausländern in der Stadt bestimmt. Pegida stehe nicht für "europäischen Patriotismus", sondern für "diskriminierende Hetze", so Kuhn.

Und dann nimmt er sich die AfD vor, denn wer die Pegida-Bewegung gutheiße, instrumentalisiere Flüchtlinge und mache sich zum Wegbegleiter von Faschisten, von Neonazis und von Rechtsradikalen. "Wir sind stolz darauf, eine Stadt der Integration zu sein, und in diesem Sinne werden wir uns wehren gegen alle, die dieses Klima in dieser Stadt kaputtmachen wollen." Was auch ein Seitenhieb gegen jene FDP-Vertreter ist, die anders als von der Parteispitze proklamiert in Bezirksbeiräten gegen neue Unterkünfte stimmen.

Gute Stimmung zu traurigem Anlass

8000 Menschen hat Mielerts Hauruck-Aktion auf die Straße gebracht. Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) ist unter den Zuhörern, Verdi-Landesbezirksleiterin Leni Breymaier, JES-Intendantin Brigitte Dethier mit ihrem gesamten Ensemble. Eric Gauthier berichtet von seinen Ängsten als junger Tänzer in Kanada, mit dem Angebot in der Tasche, ins ferne, fremde Europa zu wechseln, und vom Zusammenhalt in internationalen Tanzkompagnien. Anstifter-Gründer Peter Grohmann darf sich über "die gute Stimmung bei einem traurigen Anlass freuen" und darüber, dass es "keine Störungen gegeben hat". Er will erreichen, dass das "Irrationale in der Mitte der Gesellschaft" weiter problematisiert und bekämpft wird.

Passgenau zu den vielen Gegendemos dieses 5. Januar präsentierten Wissenschaftler am Montag eine Studie, wonach Städte wie Stuttgart ordentliche Chancen haben, Pegida kleinzuhalten. Denn vor allem Ahnungslosigkeit und Nichterleben nähren Ressentiments und die Angst vor Überfremdung: Flüchtlinge und Zuwanderer stoßen gerade dort auf Misstrauen und Ablehnung, wo sie selten oder gar nicht zu finden sind – siehe Dresden mit seinem kaum messbaren Anteil an Menschen muslimischen Glaubens und 98 Prozent Inländern.


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6 Kommentare verfügbar

  • Andi
    am 14.01.2015
    Antworten
    Sehr geerhter Herr Brück,

    ich teile Ihre Gedanken und möchte ihn noch ein wenig weiter denken: Seit NSU wissen wir, das wir unserem Verfassungsschutz nicht mehr trauen können und sind nicht mehr sicher, ob es noch die Politik ist, welche ihn kontrolliert oder ob der Verfassungsschutz uns allen…
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