KONTEXT:Wochenzeitung
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Killesberg an Mars

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Wenn uns der Planet Erde um die Ohren fliegt, flieht die Elite ins All. Unter Führung von Winfried Kretschmann, glaubt die Kabarettistin Christine Prayon. Sie weiß auch schon wie die Mission heißen wird: oben bleiben.

Ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr, was ich zu Stuttgart 21 sagen soll. Seit der Protest erfolgreich weggeschlichtet, weggestresstestet und weggevolksentschieden worden ist, bin ich sprachlos. Nicht aufgrund der weitverbreiteten Ansicht, man sollte jetzt ein guter Demokrat sein und die Klappe halten (hatte der Volksentscheid was mit Demokratie zu tun? Da ist wohl was an mir vorbeigegangen …). Nein, eher weil mir klar wurde, dass S 21 politisch gewollt ist und da Aufklärung und Transparenz nichts dran ändern werden, dass es durchgezogen wird.

Warum sollte es auch NICHT durchgezogen werden? In der Logik unseres ökonomischen Systems ist das ein gutes, ein sinnvolles, ein notwendiges Projekt. In der Logik dieses Systems ist es absolut folgerichtig! Es darf gar nicht scheitern. Es muss sogar in seinem offenkundig verbrecherischen Ausmaß als Vorbild für weitere Großprojekte dienen und sich von Anfang bis Ende antidemokratisch gerieren. Nur so lässt sich das große Rad doch weiter drehen!

Oh, jetzt bin ich wieder bei meinem Lieblingsthema gelandet. Aber es geht ja heute gar nicht um den Kapitalismus. Es geht um den Bahnhof.

Naja, da fällt mir, wie gesagt, nicht mehr so viel ein.

Die Vision nach der Wasserwerfer-Party

Alles, was ich zu dem Thema zu sagen hatte, habe ich vor acht Jahren gesagt. Vor ziemlich genau acht Jahren. Am 30.9.2011, ein Jahr nach dem "Schwarzen Donnerstag", an dem ein paar Robocops im Schlossgarten ihre kleine Wasserwerfer-Party gefeiert haben.

Meine Verschwörungstheorie sah damals so aus: "Während die Welt auf den Stuttgarter Bahnhof hinunterschaut, wird oben auf dem Killesberg das eigentliche Projekt verwirklicht. Der eigentliche Skandal. Mit den 20 Milliarden Euro, die für Stuttgart 21 geplant sind, wird seit Jahren auf dem Killesberg ein Raumschiff gebaut, welches in zehn Jahren die deutsche Elite auf den Mars befördern wird. Denn was wir vielleicht ahnen, ist diesem erlesenen Kreis aus Wirtschaft, Politik und Medien längst bekannt: Es gibt kein Wachstum mehr, unser Planet ist kaputt und in zehn Jahren heißt es nur noch: Rette sich, wer kann. Und dann wird diese kleine, feine Gruppe der wichtigsten Deutschen unter der Führung von Heiner Geißler – aah, das ist natürlich nicht mehr aktuell, ich würd' heute Kretschmann nehmen – dann wird diese kleine, feine Gruppe der wichtigsten Deutschen unter der Führung von Winfried Kretschmann die Erde vom Killesberg aus verlassen und auf dem Mars neu beginnen. Wissen Sie, wie die Betreiber dieses Projekt nennen? Mission OBENBLEIBEN."

Geil. Das war vor acht Jahren SATIRE. Heute kaufen sich die Superreichen tatsächlich schon Grundstücke auf'm Mars, weil die gar nicht mehr damit rechnen, dass die Erde zu retten ist. Die kaufen schon Dosen-Sushi für die Apokalypse! Die sind clever! Weil – is klar – wenn wir so wie bisher weiter machen und uns der Planet bald um die Ohren fliegt, dann ist der Mars nicht der schlechteste Ort.

Gut, bis es so weit ist, könnten wir natürlich auch erst mal über alternative Lebens- und Gesellschaftsformen nachdenken. Darüber, wie wir das MITeinander hinkriegen, nicht auf Kosten Anderer, nicht so wie jetzt und hier, wo unser Wohlstand nur durch Ausbeutung Anderer gewährleistet ist.

Ach herrje, jetzt bin ich wieder beim Kapitalismus gelandet, aber darum geht‘s ja gar nicht. Es geht um einen Bahnhof. Also, wie gesagt: Da fällt mir nicht mehr so viel ein.

Nächstes Jahr im SWR: die GANZE Mahnwache

Aber ich hab noch 'n Programmhinweis vom SWR für nächstes Jahr. Da machen die ja 'ne GANZE Mahnwache… Mahnwoche wegen 10 Jahre Schwarzer Donnerstag:

"Sehen Sie nun das historische Drama DIE WASSERWERFERIN. Nach einem Roman von Posamunde Rilcher. Erleben Sie die wahre Geschichte der Laura von Reitzenstein. Lassen Sie sich in die mysteriöse, mittelalterliche Welt dieser starken Frau entführen, die bereits Anfang des 21. Jahrhunderts für die Gleichstellung von Wasserwerfern und Wasserwerferinnen kämpfte.

Erleben Sie Lauras erstes Mal in Heiligendamm beim G8-Gipfel 2007, ihre Berührungsängste mit dem Steuerknüppel, die Angst vor dem Scheitern und vor Berufsdemonstranten und die ersten erfolgreichen Treffer.

Lachen Sie über herzzerreißend komische Momente im Stuttgarter Schlossgarten 2010, wenn Laura den Tank nur mit der Tränengasmischung statt mit dem vorgeschriebenen Sarin füllt oder wenn sie den Wasserdruck so hoch einstellt, dass einzelne Körperteile der Terroristen dank ausgereifter 3D-Technik aus dem Bild springen und für bitterbösen Gruselspaß sorgen.

Fiebern Sie mit, wenn Laura bei G20 in Hamburg 2017 ihren Meister macht und als erste Wasserwerferin der Welt vom Bundesinnenminister persönlich zur Staatsfreundin Nr.1 ernannt wird.

DIE WASSERWERFERIN. Nach "Die Wanderhure", "Die Muschelsucherin", "Die Perlentaucherin", "Die Rotkohlesserin", "Die Fortpflanzerin" und "Die Sesselpupserin" nun das neue Quotenwunder mit Christine Bauneuer in ihrer bisher mittelmäßigsten Rolle. DIE WASSERWERFERIN - ein Spaß für die ganze Familie."

Ja, hört sich gut an. Unbedingt einschalten. 30.9.2020 in Ihrem SWR.

Hab' ich schon gesagt, dass mir nichts mehr zu Stuttgart 21 einfällt? Ja, ich ärgere mich da SELBER drüber. Ich hätte Ihnen ja gerne was mitgegeben, was Mut macht oder wenigstens ein bisschen Hoffnung. Aber …

"Wenn S 21 nicht kommt, ist Deutschland nicht mehr regierbar", hat Angela Merkel gesagt. An Stuttgart 21 soll ein Exempel statuiert werden. Natürlich wird das durchgezogen. Selbst wenn rauskommt, dass die Bahn seit Jahren süße Katzenbabys als Treibstoff nutzt.

Nee, nee, nee, sinnlos. Eher geht die Welt unter. Oder noch schlimmer: der Kapitalismus! Aber das soll nicht unser Thema sein. Es geht ja um den Bahnhof!

Aber da fällt mir, wie gesagt, nicht mehr so viel ein. Zum Kapitalismus fällt mir noch was ein. Aber darum geht's ja gar nicht. Es geht um den Bahnhof. Aber da fällt mir gar nichts mehr zu ein. Zum Kapitalismus fällt mir was ein … Oben bleiben.
 

Den Text hat die Kabarettistin Christine Prayon (alias Birte Schneider) bei der Veranstaltung "10 Jahre Montagsdemo" am Dienstag (8.10.) im Theaterhaus vorgetragen.


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3 Kommentare verfügbar

  • Verena Saisl
    am 09.10.2019
    Antworten
    :-)
    Kuhl!
    Mooteeg!
    Schah Po!
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