Als sich im Herbst 2004 zwei Stuttgarter Bürger entschlossen, gegen die extrem hohe Feinstaubbelastung in ihrer Stadt vorzugehen, erinnerte dies an Don Quichottes Kampf gegen Windmühlenflügel. Zu dieser Zeit hatte man nur in der Europäischen Union die tödliche Wirkung von Feinstaubpartikeln erkannt und deshalb schon im Jahre 1999 eine ab 2005 europaweit geltende Richtlinie mit Grenzwerten für Feinstaub erlassen. Die Bundesrepublik hatte reichlich spät die Richtlinie durch die 22. Bundesimmissionsschutzverordnung mit den ab 1. 1. 2005 geltenden Grenzwerten in das deutsche Recht übernommen.
In Stuttgart, der Stadt mit der bundesweit höchsten Feinstaubbelastung, war bis dahin so gut wie nichts geschehen. Das für den Erlass von Luftreinhalteplänen zuständige Regierungspräsidium befand sich im Ruhemodus und war der Meinung, es müsse erst ab Januar 2005 mit den Vorarbeiten für Luftreinhaltepläne beginnen. Als die beiden Stuttgarter Bürger daraufhin Anfang 2005 beim Stuttgarter Verwaltungsgericht Klage auf Erlass eines sogenannten Aktionsplans mit kurzfristig wirksamen schadstoffmindernden Maßnahmen einreichten, konnte man beim Regierungspräsidium noch zuversichtlich sein, diesen Prozess zu gewinnen. Im System des deutschen Verwaltungsrechts gab es für einzelne Bürger bis dahin keine Möglichkeit, eine Behörde zum Erlass von Plänen zu verpflichten. Folgerichtig hatte das Verwaltungsgericht München kurz zuvor in einem vergleichbaren Verfahren die Klage eines Münchner Bürgers gegen die auch an einigen Münchner Ausfallstraßen hohe Feinstaubbelastung abgewiesen.
Anders das Stuttgarter Verwaltungsgericht. Bundesweit erstmals wurde im Mai 2005 eine Behörde durch das Urteil eines Verwaltungsgerichts zum Erlass eines Aktionsplans zur Senkung der Stuttgarter Feinstaubwerte verpflichtet. Das Gericht machte hierbei deutlich, dass dieser Plan spätestens am 1. Januar 2005 hätte in Kraft gesetzt sein müssen. Hierzu sei das Regierungspräsidium aufgrund europäischen Rechts verpflichtet gewesen.
Im Stuttgarter Regierungspräsidium verstand man dieses Urteil zu Recht als eine deutliche Ohrfeige. Es setzte in den folgenden Jahres alles daran, das Urteil in der höheren Instanz, dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, korrigieren zu lassen. Die dortigen Richter waren in Sachen Luftreinhaltung weniger engagiert als ihre Stuttgarter Kollegen. Sie ließen den Fall jahrelang liegen und warteten auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in dem inzwischen ebenfalls durch die Instanzen gegangenen Münchner Verfahren.
Am Neckartor bleiben die Werte hoch
Daneben hatte das Regierungspräsidium in aller Eile im Laufe des Jahres 2005 einen sogenannten Luftreinhalte- und Aktionsplan für Stuttgart erlassen, der in der Öffentlichkeit mit großer Enttäuschung aufgenommen wurde. Außer einem Lkw-Durchfahrtsverbot für Stuttgart enthielt er auch so skurrile Maßnahmen wie die Verlagerung der Messe vom Killesberg auf die Fildern oder den Bau des Rosensteintunnels. Nur: Gegen die hohen Feinstaubwerte am Neckartor und in der Innenstadt wurde nichts kurzfristig Wirksames unternommen.
Darauf erhob 2008 ein am Neckartor wohnender Bürger eine weitere Klage beim Verwaltungsgericht in Stuttgart. Sein Ziel war es, das Regierungspräsidium zur Aufstellung eines neuen Luftreinhalteplans zu verpflichten, nachdem die Feinstaubwerte nur geringfügig zurückgegangen waren.
Inzwischen hatte der Europäische Gerichtshof im Jahre 2008 im Münchner Verfahren dem Kläger Recht gegeben. Der EuGH hatte deutlich gemacht, dass die Behörden der Unionsstaaten nach europäischem Recht verpflichtet sind, die Luftreinhalte- und Aktionspläne so lange nachzubessern, bis an einer Messstelle die Grenzwerte für Feinstaub nicht mehr überschritten werden. Darauf nahm das Regierungspräsidium im ersten Stuttgarter Verfahren die bis dahin beim Verwaltungsgerichtshof liegende Berufung zurück. Es vermied so die drohende Niederlage im Berufungsverfahren. Es war allerdings der Meinung, mit dem Lkw-Durchfahrtsverbot habe es alles Erforderliche getan und schaltete wieder auf Stillstand.
Dem Regierungspräsidium müssen erst Zwangsgelder angedroht werden
Die beiden ersten Kläger sahen sich deshalb veranlasst, gegen den Regierungspräsidenten den ungewöhnlichen Weg der Zwangsvollstreckung zu beschreiten, da unter Missachtung des Urteils des Jahres 2005 noch immer keine kurzfristig wirksamen schadstoffsenkenden Maßnahmen ergriffen worden waren. Auch hier waren die Kläger erfolgreich. Das Stuttgarter Verwaltungsgericht stellte in seinem Beschluss vom 14. 8. 2009 fest, dass der Luftreinhalte- und Aktionsplan des Jahres 2005 keine einzige wirksame Maßnahme enthalten hatte, um die Schadstoffbelastung der Stuttgarter Luft zu senken. Erst als in diesem Beschluss dem Regierungspräsidium Zwangsgelder androht wurden, begann man dort über weitere Maßnahmen nachzudenken. Im Zangengriff zwischen der Zwangsvollstreckung des ersten Urteils und der neuen Klage, wurde der Plan des Jahres 2005 endlich im Jahr 2010 nach fünf Jahren ergänzt.
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Theodor Friedrich
am 15.02.2014