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Datensalat

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Eigentlich müsste die Beschaffung von Polizeisoftware öffentlich ausgeschrieben werden. Wird sie aber nicht. Stattdessen: munteres Gemauschel.

Datenverarbeitung spielt bei der Polizei eine zentrale Rolle. Sie funktioniert nur nicht immer. Foto: Joachim RöttgersDie Vergabe öffentlicher Aufträge ist bundesweit geregelt. Grünanlagen, Kindertagesstätten oder Autobahnbrücke, egal was, wenn es kommunal ist, wird es ausgeschrieben, teils sogar europaweit. Der Gerechtigkeit halber und damit bloß keiner meint, da würde gemauschelt. Daran sollten sich alle halten, Kommunen, Länder, Bund und natürlich auch die Polizei. Aber die mag nicht. So kommt es, dass ausgerechnet im Polizeibereich sehr viele Aufträge recht freihändig vergeben werden. Das ist genau genommen Korruption. Und führt letztlich zu Datensalat.

Doch der Reihe nach: in der Polizeiarbeit spielen Kommunikation und Datenverarbeitung eine zentrale Rolle. Da sollte man meinen, die Behörde lege besonderen Wert auf perfekt arbeitende Softwaresysteme. Weit gefehlt. In diversen Datenverarbeitungs-Systemen einzelner Polizeibehörden, so hört man, soll es keine Unterscheidungsmöglichkeit zwischen einzelnen Fahrzeugtypen geben – egal ob Fahrrad, PKW oder LKW. Bei der Thüringer Polizei wurde ein System mit dem schönen Namen "Findus" angeschafft. Dies soll, so war im Thüringer Landtag zu erfahren, nicht in der Lage sein, beispielsweise eine Information zu verarbeiten, der zufolge "zwei unbekannte Personen mit dem Fahrrad unterwegs waren." Angeblich können die Einzelinformationen "unbekannte Personen" mit dem Begriff "Fahrrad" nicht verbunden werden. Beim BKA, wie keine andere vergleichbare Behörde über Jahre hin mit Hunderten Millionen Euro ausgestattet, ist es noch schlimmer. Das leistet sich gleich zwei überhaupt nicht miteinander kompatible IT-Systeme im eigenen Haus. Die Daten mussten sogar mehrer Jahre lang von Hand von einem ins andere System übertragen werden.

Als der amtierende BKA-Präsident Jörg Ziercke und dessen früherer Vize Bernhard Falk vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestags "Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund" als Zeugen aussagten, gewährten sie einen kleinen, wenn auch zaghaften Einblick in den Bundesdatensalat in Wiesbaden. Falk führte aus, er sei mit der "Angelegenheit" des BKA-internen Daten-Durcheinanders befasst worden, als er erfahren habe, dass die bayerischen Beamten statt der bundesweiten Verbundanwendung Inpol-Fall (ein System, über das Falldaten für alle Beteiligten zugänglich gemacht werden) "ein eigenes Informationssystem rs-Case oder auch EASy genannt, nutzen würden".

Falk zufolge habe man dies im BKA "kritisch gesehen", weil "beide Systeme parallel bedient werden mussten", ohne miteinander wirklich kompatibel zu sein. Dass das ein Problem darstellt, war offenbar schon seit 2004 bekannt, bestätigte BKA-Chef Ziercke. Behoben wurde es nicht. Und das führte nicht nur zu partiellem Datenverlust in der Bundesbehörde, sondern verzögerte möglicherweise auch die Aufklärungsarbeit an den Morden, die der NSU zugeschrieben werden. Und nicht nur das: das BKA dient auch noch als zentrale Datensammelstelle, sodass dort produzierter Datensalat Auswirkung auf die Datenverarbeitung in anderen Bundesländern hat.

Wer bestimmt eigentlich über die IT-Technik der Polizei?

Wirrwarr mit möglichst vielen Bildschirmen: kein Programm kann alles. Foto: Joachim RöttgersDie Behörde rechtfertigt den internen Inkompatibilitäts-Salat pragmatisch: "Kein derzeitiges IT-System", so auf Nachfrage, könne "alle kriminalistischen Anforderungen erfüllen", und das führe eben dazu, dass beim Bundeskriminalamt zwei unterschiedliche Systeme benutzt werden. Immerhin sei die Handübertragung von einem System ins andere heute nicht mehr nötig. Inzwischen ermögliche "eine Bund-Länder-Dateischnittstelle (BLDS) die automatisierte Anlieferung von Daten aus b-case an Inpol-Fall". So zumindest das BKA. Aber es stellt sich schon die Frage, warum das BKA lieber seine Mitarbeiter mit Abschreibarbeiten beschäftigt oder bestenfalls beschäftigte – statt sich ein anderes, auf dem Polizeimarkt eingeführtes, bewährtes und preiswerteres IT-System zu beschaffen? Was zur Frage führt: Wer bestimmt eigentlich über die IT-Technik der Polizei?

Die IT-Verantwortlichen der Bundespolizei, des Bundeskriminalamts und der einzelnen Landeskriminalämter treffen sich in Arbeitskreisen, die der Innenministerkonferenz zuarbeiten. Hier werden Weichen gestellt für gemeinsame IT-Projekte und -Beschaffung in Bund und Ländern. Bis Ende 2011 existierten sogenannte Sicherheitspartnerschaften des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, des gewerkschaftlichen Berufsverbands der Kriminalpolizei und aller in der Kriminalitätsbekämpfung Beschäftigter im öffentlichen Dienst, mit Firmen, die für Polizeidienststellen tätig waren. Eines seiner Geschäfte bestand darin, dass Unternehmen, die an die Polizei lieferten, einen vereinbarten Betrag an den BDK zahlten. Mitglieder des Vereins setzten sich dann für die Beschaffung von Produkten genau dieser Firmen ein. Natürlich aus rein fachlich-sachlichen Gründen und nicht deshalb, weil die Firmen an den BDK zahlten.

Im Bundesinnenministerium hatte man an den "Sicherheitspartnerschaften" des BDK nichts auszusetzen. Ministeriumssprecher Markus Beyer schreibt dem Autor: "Die von Ihnen angesprochenen Sicherheitspartnerschaften können durch die verschiedenen Veröffentlichungen des BDK als bekannt betrachtet werden." Und: "Grundsätzlich steht es dem BDK als Berufsverband frei, wirtschaftliche Interessen einzelner Firmen zu vertreten. Der BDK ist nicht in die Beschaffungsvorgänge des BKA eingebunden. (...) Es gibt keine Hinweise auf eine unzulässige Einflussnahme des BDK auf behördeninterne Entscheidungsprozesse."

Korruptionsermittlungen innerhalb der Polizei

Seit Monaten bemüht sich der Innenausschuss des hessischen Landtages auf gemeinsame Initiative der dortigen Oppositionsfraktionen (SPD, Grüne und Linke), Vergaben im Gesamtwert von mehreren Millionen Euro aufzuklären, die ohne Ausschreibung erfolgten. Nutznießer waren einige größere Firmen sowie etliche Kleinstunternehmen ehemaliger Polizeibeamter.

Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht Peter H., der frühere Leiter des Referats Technik (LPP6) im Hessischen Landespolizeipräsidium. Peter H. wurde inzwischen amtsintern umgesetzt. Über den Stand der Ermittlungen war nichts Genaues zu erfahren. Zwar wurde "der Fall H." bereits vor Monaten vom hessischen Innenministerium an die Wiesbadener Staatsanwaltschaft abgegeben, diese kommt aber nicht so recht voran, weil angeblich zu wenig Material für die Aufnahme eines förmlichen Verfahrens vorliegt.

Das Referat LPP6 bestimmt nicht nur über die Beschaffungsvorhaben der hessischen Polizei, sondern nimmt über die Untergremien der Innenministerkonferenz auch Einfluss auf die Beschaffungsvorhaben der anderen Länder.

Die meisten dieser Vergaben betreffen auch Baden-Württemberg. Zwischen Baden-Württemberg und Hessen besteht eine IT-Kooperation im Bereich der Polizei, deren weitere Partner Hamburg und Brandenburg sind. Der Verbund nennt sich "Inpol-Land-Polas-Competence-Center", kurz: IPCC.

Klare Vorschriften – die keiner umsetzte

Boris Rhein, der heutige hessischer Innenminister, hatte schon am 18. 12. 2009, damals noch als Staatssekretär, angeordnet: "Alles, was über 20 000 € läuft, muss vom Staatssekretär mit roter Tinte gegengezeichnet werden." Seinen Beamten war das egal. Rhein vor dem Innenausschuss: "Bei einer ganz großen Anzahl ist das umgangen worden. Die Sicherheitsebene, die ich damals eingezogen habe, ist umgangen worden. Vier von 79 Fällen sind vorgelegt worden. Das heißt, 75 Fälle sind nicht vorgelegt worden. (...) Das ist auch der Grund, warum wir jetzt disziplinarisch und möglicherweise sogar mehr als disziplinarisch vorgehen."

Freihändige Auftragsvergabe: die Sicherheitsebenen wurden einfach umgangen. Foto: Martin StorzAufträge für mehr als zwei Millionen Euro wurden recht freihändig vergeben. So erhielt die Firma Trivadis GmbH in Leinfelden-Echterdingen ohne Ausschreibung einen Vertrag im Gesamtwert von 1,8 Mio Euro "über Beratungs- und Unterstützungsleistungen für verschiedene Fachanwendungen aus dem polizeilichen Umfeld unter der Produktfamilie von Inpol-Land". Auch bei Steria Mummert Consulting AG betrug der Auftragswert 1,88 Mio. Euro. Gut im Rennen sind auch Kleinstfirmen von ehemaligen Kollegen der heute in den entsprechenden Fachreferaten der hessischen Polizei tätigen Beamten.

So wurde ein Herr Z. von der Firma TOMS-Beratung für 635 892,40 € beauftragt. Allein im Fall des Herrn K., ICT Consulting, betrug "das Volumen 1 221 715,52 € brutto". Herr K. erhielt diesen Auftrag, weil es sich bei ihm "um den Nachfolger des eben Genannten gehandelt hat". Im Klartext: die jeweils amtierenden Beamten bedienten ihre Vorgänger und Vorvorgänger im Amt mit lukrativen "Beratungsaufträgen". Mehrfach taucht in der seitenlangen Auflistung die Formulierung auf: "Mit Beratungsaufträgen bedacht im Rahmen der IT-Kooperation von Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen." Boris Rhein zufolge betrug "das Gesamtvolumen der recht freihändigen Verträge 2 703 646,48 € brutto".

Wegen des aufzuklärenden Beschaffungssumpfes wurde der Datenverbund umstrukturiert. Die Geschäftsführung liegt nun nicht mehr in Wiesbaden, sondern in Hamburg. Und so werden alle Fragen, die die Vergangenheit des IPCC betreffen, unter den Tisch gekehrt. So war es auch in wochenlanger Korrespondenz nicht zu klären, welches Bundesland im Rahmen des IPCC wie viel bezahlt.

Die Untersuchungen in Hessen gehen weiter, vielleicht finden sie auch irgendwann Interesse im Landtag von Baden-Württemberg. Denn zumindest finanziell sitzt das Ländle mit im Boot.


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