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Manuel Hagel

Zaghaftes Zugpferd

Manuel Hagel: Zaghaftes Zugpferd
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CDU-Fraktionschef Manuel Hagel hat mit einem jahrzehntealten guten Brauch gebrochen: Bei wichtigen Themen in Plenardebatten des Landtags gehen die Vorsitzenden in die Bütt. Hagel hingegen hält sich raus. Das ist schlecht fürs Profil und für die Bekanntheit.

So viel Lob bekommen nur ganz wenige: Ulf Poschardt, ultra-konservativer Mehrfach-Herausgeber im Reich des Springer-Konzerns, hat den Ministerpräsidentenaspiranten Manuel Hagel zum Retter Baden-Württembergs ausgerufen und noch weit darüber hinaus. Denn "dieser junge Mann könnte aktuell die wichtigste Schachfigur für die Zukunft der Union sein – und zwar machtstrategisch wie ideologisch". Dem CDU-Spitzenkandidat fehle "jeder Hang zum Opportunismus, und hinter seiner sehr gefälligen Fassade arbeitet eine erstaunlich frische, antielitäre Neugier, die in Fragen von Wirtschaft, Bildung, Migration und Heimatpflege ebenso avantgardistisch wie traditionell ist". Und weiter: "Von Hegel zu Hagel (nur für den Gag habe ich diesen Text geschrieben)." Zöge er in die Villa Reitzenstein, so Poschardts offenbar inniger Wunschtraum, böte er der Union die Chance einer Rückkehr zu den Wurzeln der Partei.

Nach diesem Ritterschlag in der "Welt" beim Start in die Sommerpause wäre genügend Zeit gewesen, um die Steilvorlage des meinungsfreudigen Franken aufzunehmen. Mit Handkuss würden sich die üblichen Talkshows von Maischberger bis Lanz über ein neues CDU-Gesicht aus dem Südwesten freuen – anstelle des nicht übertrieben unterhaltsamen Dauergasts Thorsten Frei. Überraschen könnte "dieser junge Mann" in den üblichen Magazinen morgens und mittags oder den Berichten aus Berlin. Seine Feuertaufe brachte er immerhin im ZDF-"heute-journal" hinter sich, unter anderem mit der erstaunlichen Mitteilung, dass er wisse, wie mit der AfD umzugehen sei, schon seit er mit 16 in die CDU eingetreten ist. Das war 2004. Die "Alternative für Deutschland" wird erst neun Jahre später gegründet.

Gerade in Talkshows mit dem persönlichen Touch hätte Hagel etliches zu bieten: unter 40, dreifacher Vater, bodenständige Sprache, smarter Auftritt in Runden, in denen er sich wohlfühlt. Er hat einen fast zwanzig Jahre lang zerstrittenen CDU-Landesverband geeint, kann eindrucksvolle Reden halten, ist immerhin Vorsitzender der Unionsfraktionsvorsitzenden in den 16 Bundesländern. Sogar inhaltlich wird er hin und wieder auffällig, beispielsweise mit seiner Philippika gegen das Verbrenner-Aus samt der brieflichen Bitte an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die beschlossenen Neuzulassungsregeln ab 2035 zu stoppen als "praxisfernen Irrweg". 

Er mag weder Fernsehen noch den Plenarsaal

Trotz der großen Herausforderung, das Land für seine CDU zurückzuerobern, meidet Hagel die große TV-Bühne aber so konsequent, dass Sendungsmacher:innen sogar auf den Grünen-Spitzenkandidaten Cem Özdemir zurückgreifen, wenn es – wie am Wochenende im "Bericht aus Berlin" – um die Probleme der baden-württembergischen Autoindustrie geht. Der schwarze Kontrahent bleibt lieber sich und seiner Blase treu: im Sommer ein paar regionale Talk-Auftritte auf dem Stuttgarter Schlossplatz oder im "Black Forest"-Studio in Kirchzarten, Redaktionsbesuche, nach dem Urlaub in den Alpen die Dauerbespielung von Facebook, X und Instagram. Er ist gewieft im Abwickeln selbst kleinteiliger Termine als Grundlage der Selbstinszenierung auf sämtlichen Kanälen der sogenannten sozialen Medien, auch wenn dabei schon mal Abwegiges auftaucht. So wie die aus der Zeit gefallene unfinanzierbare Idee, der Formel 1 wieder ein deutsches Zuhause auf dem Hockenheimring zu geben; oder wenn er Achterbahn fährt, dabei Parallelen zum anstehenden Wahlkampf zieht und mit (vor Angst?) verzerrter Miene die interessante Frage stellt: "Wieso sind wir eigentlich ganz vorne?"

Im Landtag entzaubert sich Manu, wie ihn seine Freunde nennen, dagegen anhaltend selbst, wirkt nervös, betulich, zaghaft, unrund alles in allem. Etwa 25 Mal pro Jahr öffnet das Parlament sein Schaufenster und tagt im Plenarsaal, nicht selten in voller Besetzung mit 154 Volksvertreter:innen. Bis zur Landtagswahl am 8. März finden noch elf Sitzungen statt. Die Termine sind weit im Voraus geplant und kommen alles andere als unerwartet. Sämtliche Vorgänger Hagels haben die vielen Gelegenheiten zur Positionierung genutzt. Der Hoffnungsträger 2026 hat 2025 bisher gerade mal drei gut vorbereitete Reden gehalten.

Günther Oettinger trat in seiner langen Zeit als Fraktionschef (1991 bis 2005) alljährlich zwischen 25 und 30 Mal ans Rednerpult, oft spontan. Natürlich unterstützt er den Nachfolger im Bemühen, Ministerpräsident zu werden. In seinem Lob schwingen aber immer subkutane Botschaften mit. Etwa, wenn er ihn jüngst im "Südkurier"-Interview als "tüchtig", "sehr fleißig" "und auch lernfähig" beschreibt. O-Ton Oettinger: "Er wird jeden Tag besser."

Im Parlament, der Lebensader der repräsentativen Demokratie, ist das nicht zu beobachten. In der Regel kommt Hagel zu spät. Und liefert eine schlechte Kopie von Erwin Teufel, der jeden der eigenen Abgeordneten mit Handschlag zu begrüßen pflegte – allerdings vor der Eröffnung der Sitzung und nicht danach. Der frühere Ehinger Sparkassenfilialleiter hingegen schlendert betont locker durch die Reihen, hält einen Schwatz da und einen anderen dort, ignoriert vollständig die jeweiligen Redner:innen – in der Oktobersitzungswoche beispielsweise seinen Vorsitzendenkollegen Andreas Stoch (SPD) und das für so viele Familien wichtige Thema Kita-Gebühren.

Desinteressiert und handyverliebt

Das derart zur Schau gestellte Desinteresse wird in den folgenden höchstens zwei Stunden, bis er ohnehin wieder verschwindet, unterstrichen vom Umgang mit dem Handy. Fast alle Abgeordneten greifen regelmäßig – und viele viel zu oft – während laufender Beratungen zu ihren Geräten. Dem CDU-Spitzenkandidaten fällt aber schwer, es überhaupt aus den Händen zu legen. Aus internen Verhandlungen wird berichtet, wie sehr er es braucht, dass Berater ihn laufend mit Argumenten, Zahlen oder Fakten versorgen.

Selbst der Eindruck, den Hagel auf der Besuchertribüne des Landtags hinterlässt, scheint ihn nicht groß zu kümmern. Ausgerechnet während die Ergebnisse vom diesjährigen "Jugendlandtag" diskutiert werden, zieht Hagel in der ersten Reihe und weithin sichtbar den intensiven Gedankenaustausch mit Landtagsvizepräsident Wolfgang Reinhart vor. Dabei hätte er besser aufgepassen und die Botschaften der jungen Leute auf der Tribüne sacken lassen sollen – zumal die von ihnen sehr skeptisch betrachtete Rückkehr zur Wehrpflicht.

Nach Poschardts Eloge zitierte der CDU-Landesverband im Netz erfreut "@hagel.manuel hat eine frische Neugier, die in Fragen von Wirtschaft, Bildung, Migration und Heimatpflege ebenso avantgardistisch wie traditionell ist". Im Landtag kommt die frische Neugier nicht an. Im Gegenteil: Dass und wie er sich Erkenntnisse zu aktuellen Fragen – von Bürokratieabbau bis Fachkräftezuwanderung, von Mietpreisbremse bis Krankenhausplanung, vom Katastrophenschutz bis Kita-Gebühren – auf diese Weise entgehen lässt, ist befremdlich, weil er einen großen Vorteil gegenüber Özdemir ohne Mandat und Amt liegen lässt. Immer aufs Neue überraschend ist der Umstand, dass es den seltsam scheuen Spitzenkandidaten so gar nicht lockt, Debatten den eigenen Stempel aufzudrücken.

Wohlwollende suchen ihr Heil in der Ausflucht, Hagel sei eben ein Teamspieler und lasse bewusst andere zu Wort kommen, statt sich selbst in den Vordergrund zu  drängen. Was aber ausblendet, dass er den angeblich derart geförderten "anderen" selten zuhört, weil er gar nicht im Saal ist, und vor allem, dass er in seinen diversen Funktionen als Anführer schon im Vordergrund ist – weil er dorthin wollte. 

Jüngste Umfragen treiben Abgeordneten zusätzlich Sorgenfalten auf die Stirn. Zumal jenen, die sich vom Vorsitzenden Unterstützung im Wahlkampf erhoffen. Denn das Zugpferd zieht noch nicht, dabei sind Landtagswahlen traditionell immer auch Persönlichkeitswahlen – von Lothar Späth bis Winfried Kretschmann. Im Bekanntheits-, Zufriedenheits- und Direktwahl-Ranking hängt der starke Mann der Südwest-CDU aber fest unter 20 Prozent. Ausgerechnet für seine Heimatzeitung, die "Schwäbische", ermittelte das Erfurter Institut Insa dieser Tage, dass, wäre am Sonntag Landtagswahl, zwar 31 Prozent der Bürger:innen ihr Kreuz bei der CDU machten und nur 17 bei den Grünen; bei einer fiktiven Direktwahl des künftigen Regierungschefs aber nur neun Prozent für Hagel votieren würden. Und das trotz der mehreren Hunderttausend Kilometer, die er, wie in seinem Team erzählt wird, pro Jahr durch den Südwesten tourt.

Die CDU-Blase verlässt er ungern

Im jüngsten Baden-Württemberg-Trend von Infratest-dimap liegt die CDU (29 Prozent) weiterhin deutlich vor den Grünen (20). Der Vorsprung schmilzt aber: Vor Jahresfrist stand es 34 zu 18. Und Özdemir punktet in allen Kategorien: Mann, Frau, jung, alt, Stadt, Land, hoch oder weniger hoch gebildet und in allen Parteimilieus besonders deutlich bei den 16- bis 49-Jährigen. Sogar bei CDU-Anhänger:innen kommt der Grüne auf 49 Prozent, Hagel nur auf 42 Prozent.

Noch weist wenig darauf hin, dass dessen Team seine Strategie entscheidend umgestellt hat und vorrangig über den eigenen Anhang hinaus mobilisieren will. Aktuelles Beispiel: die Verleihung der "Goldenen Schwarzwurst" in Bodnegg im Kreis Ravensburg, bei der kein einziger Nicht-CDU-Wähler habe überzeugt werden können, wie ein Landtagsabgeordneter sich mokiert, "weil gar keiner da war". Sogar die neue Gesprächsreihe der Landespartei "Bühne frei", bei der sich laut Ankündigung "vertiefende Passagen mit leichteren Momenten" abwechseln sollen, "ohne lange Vorträge, dafür nahbar und verständlich", zielt nicht wirklich auf zu gewinnende Zeitgenoss:innen.

Erster Gast zum Start in die heißere Wahlkampfphase ist demnächst in der Nagolder Stadthalle Markus Söder, dessen jahrmarktaffine Spezialbegabung bekanntlich in motivierenden Reden für die eigenen Fans liegt – nach dem Motto "Haut den Lukas". Söder könnte auch erzählen von seinen eigenen permanenten Absencen im Parlament. Jüngst wollten ihn die Grünen mit einer Leberkäs'-Semmel mal wieder in den Landtag locken – ohne Erfolg. Aber Söder kann sich seine Fehlzeiten im Hohen Haus ganz offensichtlich leisten: Er ist schon Regierungschef. Hagel will es erst noch werden.

Und der Wind kann sich schnell und heftig drehen. Jener, den Ulf Poschardt immer wieder zu entfachen hofft, übrigens besonders heftig. Denn er bejubelte Özdemir in ähnlich ungewöhnlicher Weise und mahnte schon 2018, dieses "leicht zerrissene Land" brauche "einen sensiblen Realisten und heiteren Weltbürger wie Cem Özdemir in der ersten Reihe der Politik". Denn er lebe vor, "wie Integration den Integrierten als auch die Mehrheitsgesellschaft gleichermaßen veredelt". Baden-Württembergs CDU muss hoffen, dass der reichweitenstarke Politinfluencer nicht auf die Idee kommt, diese Einschätzung auf der Wegstrecke bis zum 8. März zu recyceln.

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5 Kommentare verfügbar

  • Wes
    am
    Antworten
    Ich hab wahrscheinlich als einiges Nicht-Mitglied eine seine Veranstaltungen besucht. Er mag ja ganz nett sein. Aber seine Landes-CDU steckt so tief in ihren Wurzeln der Vergangenheit, da liegt schon gestern weit in der Zukunft.
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