Desinteressiert und handyverliebt
Das derart zur Schau gestellte Desinteresse wird in den folgenden höchstens zwei Stunden, bis er ohnehin wieder verschwindet, unterstrichen vom Umgang mit dem Handy. Fast alle Abgeordneten greifen regelmäßig – und viele viel zu oft – während laufender Beratungen zu ihren Geräten. Dem CDU-Spitzenkandidaten fällt aber schwer, es überhaupt aus den Händen zu legen. Aus internen Verhandlungen wird berichtet, wie sehr er es braucht, dass Berater ihn laufend mit Argumenten, Zahlen oder Fakten versorgen.
Selbst der Eindruck, den Hagel auf der Besuchertribüne des Landtags hinterlässt, scheint ihn nicht groß zu kümmern. Ausgerechnet während die Ergebnisse vom diesjährigen "Jugendlandtag" diskutiert werden, zieht Hagel in der ersten Reihe und weithin sichtbar den intensiven Gedankenaustausch mit Landtagsvizepräsident Wolfgang Reinhart vor. Dabei hätte er besser aufgepassen und die Botschaften der jungen Leute auf der Tribüne sacken lassen sollen – zumal die von ihnen sehr skeptisch betrachtete Rückkehr zur Wehrpflicht.
Nach Poschardts Eloge zitierte der CDU-Landesverband im Netz erfreut "@hagel.manuel hat eine frische Neugier, die in Fragen von Wirtschaft, Bildung, Migration und Heimatpflege ebenso avantgardistisch wie traditionell ist". Im Landtag kommt die frische Neugier nicht an. Im Gegenteil: Dass und wie er sich Erkenntnisse zu aktuellen Fragen – von Bürokratieabbau bis Fachkräftezuwanderung, von Mietpreisbremse bis Krankenhausplanung, vom Katastrophenschutz bis Kita-Gebühren – auf diese Weise entgehen lässt, ist befremdlich, weil er einen großen Vorteil gegenüber Özdemir ohne Mandat und Amt liegen lässt. Immer aufs Neue überraschend ist der Umstand, dass es den seltsam scheuen Spitzenkandidaten so gar nicht lockt, Debatten den eigenen Stempel aufzudrücken.
Wohlwollende suchen ihr Heil in der Ausflucht, Hagel sei eben ein Teamspieler und lasse bewusst andere zu Wort kommen, statt sich selbst in den Vordergrund zu drängen. Was aber ausblendet, dass er den angeblich derart geförderten "anderen" selten zuhört, weil er gar nicht im Saal ist, und vor allem, dass er in seinen diversen Funktionen als Anführer schon im Vordergrund ist – weil er dorthin wollte.
Jüngste Umfragen treiben Abgeordneten zusätzlich Sorgenfalten auf die Stirn. Zumal jenen, die sich vom Vorsitzenden Unterstützung im Wahlkampf erhoffen. Denn das Zugpferd zieht noch nicht, dabei sind Landtagswahlen traditionell immer auch Persönlichkeitswahlen – von Lothar Späth bis Winfried Kretschmann. Im Bekanntheits-, Zufriedenheits- und Direktwahl-Ranking hängt der starke Mann der Südwest-CDU aber fest unter 20 Prozent. Ausgerechnet für seine Heimatzeitung, die "Schwäbische", ermittelte das Erfurter Institut Insa dieser Tage, dass, wäre am Sonntag Landtagswahl, zwar 31 Prozent der Bürger:innen ihr Kreuz bei der CDU machten und nur 17 bei den Grünen; bei einer fiktiven Direktwahl des künftigen Regierungschefs aber nur neun Prozent für Hagel votieren würden. Und das trotz der mehreren Hunderttausend Kilometer, die er, wie in seinem Team erzählt wird, pro Jahr durch den Südwesten tourt.
Die CDU-Blase verlässt er ungern
Im jüngsten Baden-Württemberg-Trend von Infratest-dimap liegt die CDU (29 Prozent) weiterhin deutlich vor den Grünen (20). Der Vorsprung schmilzt aber: Vor Jahresfrist stand es 34 zu 18. Und Özdemir punktet in allen Kategorien: Mann, Frau, jung, alt, Stadt, Land, hoch oder weniger hoch gebildet und in allen Parteimilieus besonders deutlich bei den 16- bis 49-Jährigen. Sogar bei CDU-Anhänger:innen kommt der Grüne auf 49 Prozent, Hagel nur auf 42 Prozent.
5 Kommentare verfügbar
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Ich hab wahrscheinlich als einiges Nicht-Mitglied eine seine Veranstaltungen besucht. Er mag ja ganz nett sein. Aber seine Landes-CDU steckt so tief in ihren Wurzeln der Vergangenheit, da liegt schon gestern weit in der Zukunft.
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