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Haushaltsnot in Karlsruhe

Sparen, bis es kracht

Haushaltsnot in Karlsruhe: Sparen, bis es kracht
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Deutschlands Kommunen geraten zunehmend unter Spardruck, sogar im reichen Südwesten – mit tiefgreifenden Folgen für das öffentliche Leben. Wo die Finanznot wächst, stehen Kultur, Soziales und Klimaschutz zur Disposition. Karlsruhe steht exemplarisch für diese Krise.

Die Kassen sind leer. In Baden-Württemberg steuern immer mehr Städte und Gemeinden auf den finanziellen Kollaps zu. Knapp 90 Prozent der Städte planen laut Städtetag Baden-Württemberg in diesem Jahr mit roten Zahlen. Während in Karlsruhe, Baden-Baden und Tübingen bereits Haushaltssperren verhängt oder Haushalte nicht genehmigt wurden, kämpfen auch kleinere Kommunen wie Herrenberg ums finanzielle Überleben. Die Ursachen sind überall ähnlich: Steuereinnahmen brechen weg, Sozialausgaben explodieren, Investitionen bleiben auf der Strecke. Die kommunale Selbstverwaltung steht auf dem Spiel – und mit ihr das soziale und kulturelle Leben vor Ort.

Auf die finanzielle Schieflage will Karlsruhe mit deutlichen Einsparungen reagieren. Ab 2026 will die Stadt jährlich 80 Millionen Euro weniger ausgeben. Zu hoch seien die Ausgaben für den öffentlichen Nahverkehr, Kliniken, soziale Leistungen und Pflichtaufgaben, zu gering die Gewerbesteuereinnahmen. Ohne Einsparungen drohten Überschuldung und Haushaltssperre, so die Stadtverwaltung. "Das werden die Bürger spüren", sagt Clemens Cremer von der größten Stadtratsfraktion der Grünen.

"Geht's noch?", fragen in Karlsruhe die freien Kultureinrichtungen. Mit dem neuen Haushalt drohen ihnen Kürzungen von zehn Prozent. Für viele Häuser wäre das das Ende. Schon jetzt kämpfen einige Einrichtungen angesichts der steigenden Kosten um ihre Existenz. Allein innerhalb des Kulturrings Karlsruhe, einem Zusammenschluss von 22 freien Kulturträgern, müssten nach eigenen Angaben acht Einrichtungen dauerhaft schließen, wenn die geplanten Kürzungen ab dem kommenden Jahr kommen: Kohi, Sau e.V., Sandkorn, Tanzareal, Dokka, Filmboard, Pride Pictures, Kinemathek. 1,8 Milliarden Euro umfasst der städtische Haushalt, davon sind 63 Millionen Kulturförderung, wovon wiederum 90 Prozent an Staatstheater, das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) und die Volkshochschule gehen. 1,6 Millionen sind für die freie Szene vorgesehen. Wenn die Stadt hier zehn Prozent spart, sind das gerade mal 160.000 Euro. Der Kulturring weist auf rund 400.000 Besucher:innen pro Jahr hin – fast so viele wie Staatstheater und ZKM zusammen haben.

Erfolg und Selbstausbeutung

"Die zehn Prozent sind unser Spielraum, um außergewöhnliche Dinge auf die Bühne zu bringen. Gerade die Experimente sind das, was das Tollhaus ausmachen", sagt Sebastian Bau vom soziokulturellen Zentrum Tollhaus. Dazu geht vielfach die vom Idealismus getragene Gründergeneration in den Ruhestand. Für potentielle Nachfolger:innen sind die niedrigen Gehälter in der Regel nicht machbar. "Ich lebe von 2.000 Euro netto im Monat", sagt Fabienne Stocker vom Musikclub Substage. Ein Zweitjob? Für viele unvermeidlich. Auch im Kohi am Werderplatz, einem Ort des Slammens, Lesens, der Musik, brauche es dringend neues Personal, sei der ganze Laden in seiner Existenz bedroht. "Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolges. Wir brauchen dringend Leute, können aber keine marktgerechte Bezahlung bieten. Wir bewegen uns derzeit am Mindestlohnniveau", sagt der Vereinsvorstand Thilo Franz.

Selbstausbeutung kennt auch Christian "Plüschi" Bundschuh in der Punkrock-Bar Alte Hackerei. Ihm machen derzeit vor allem die massiven Kostensteigerungen der letzten Jahre zu schaffen. "Wir bräuchten eigentlich mehr als das Doppelte an institutioneller Förderung." Wenn von unten die Ausgaben drücken, tue alles weh, was an Einnahmen wegfalle, so Plüschi. Auch das Kohi bemüht sich seit Jahren erfolglos um eine Erhöhung seiner institutionellen Förderung. "Über 2026 hinaus sieht es bei uns katastrophal aus", sagt Franz vom Kohi. Jenseits der städtischen Förderung haben die Kulturträger kaum Möglichkeiten, Geld einzunehmen. Die von Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) ins Spiel gebrachte Idee, private Geldgeber zu finden, sei obsolet, sagt Plüschi. "Wir haben einige gefragt, aber die Resonanz war gering." Ticketpreise erhöhen? Wegen der angespannten Wirtschaftslage kaum durchsetzbar – und im Substage laut Stocker ohnehin nicht machbar. "Die Eintrittspreise werden von den Agenturen diktiert, um bundesweit einheitliche Ticketpreise zu haben. Da haben wir selbst keinen Einfluss darauf." Dazu gehe der Konsum zurück. Die Gäste gingen seltener zur Bar und bleiben nicht mehr so lange. "Drei Uhr ist das neue fünf", sagt Plüschi.

Eine deutliche Kürzung der Zuschüsse hat Bernd Gnann im Karlsruher Kammertheater mit seinen zwei Spielstätten K1 und K2 schon hinter sich. Wenn jetzt nochmal gekürzt werde, "werden wir auf jeden Fall ein Haus schließen müssen, wissen aber noch nicht welches." Das Kammertheater hatte nach der Kürzung im vorigen Jahr die Eintrittspreise erhöht. "Die Zuschauerbeschwerden sind hoch und die Zahl der Besucher:innen ist zurück gegangen", bilanziert Gnann die Erfahrungen. Angesichts der Lage und den Investitionen von einer halben Milliarde ins größte Karlsruher Theater, dem Staatstheater, hat er einen radikalen Vorschlag. "Wir sollten alle Theater bis auf das Staatstheater pausieren lassen, bis wieder Geld da ist. Zu Tode hungern lassen macht keinen Sinn." Stocker vom Substage will den Weg nicht gehen. "Ich will mir nicht vorstellen was fehlt, wenn das Kohi oder die Alte Hackerei weg sind." Auch wenn das Substage selbst nicht existenzgefährdet sei, ist es ihr wichtig, solidarisch zu sein. "Wir kämpfen dafür, dass es anderen nicht an den Kragen geht."

Kultur, Soziales, Umwelt kämpfen gemeinsam

Im kurzfristig gegründeten Bündnis Solidarische Stadt ist neben den Kultureinrichtungen auch der soziale Träger Sozpädal dabei. Sozpädal kümmert sich unter anderem um Jugendliche und Wohnungslose in Karlsruhe. Die geschäftsführende Vorständin Susanne Pastor sorgt sich um die so genannten freiwilligen Leistungen der Stadt, die wie Kultur, Schwimmbäder oder Grünanlagen nicht zu den von Bund und Land vorgeschriebenen Pflichtaufgaben einer Kommune gehören. "Hier ist am einfachsten zu kürzen", sagt Pastor. Freiwillig trägt die Stadt zum Beispiel das Taff mit, der Tagestreff für wohnungslose Frauen. "Wohnungslose haben keine Lobby. Wenn es keine Aufenthaltsräume gibt, laufen diese Frauen ziellos durch die Stadt", sagt Pastor. Sie befürchtet, dass Haushaltskürzungen auch die Existenz des Taff gefährden. Genaue Pläne kennt sie zwar nicht. Aber: "Ich kann mir inzwischen alles vorstellen." Auch Kürzungen bei sozialen Pflichtaufgaben seien denkbar. "Karlsruhe hat ein sehr gutes Hilfesystem für wohnungslose Menschen. Eine substanzielle Kürzung wäre ein herber Verlust – für die Betroffenen ebenso wie für das Ansehen der Stadt. Leider befürchten wir genau das." Insgesamt 20 Millionen Euro pro Jahr will die Stadt beim Sozialen einsparen. Doch gerade im sozialen Bereich könnten Leistungskürzungen heute zu höheren Kosten in der Zukunft führen. "Wenn wir die Wohnungslosen nicht betreuen, kostet ihre Versorgung nicht nur dem Gesundheitssystem später ein Vielfaches", sagt Pastor. Das gelte auch für Drogenabhängige, Straffällige oder andere Menschen, die im Sozialsystem versorgt werden.

Vor deutlich steigenden Folgekosten warnt das Klimabündnis Karlsruhe, wenn im Umweltbereich gekürzt wird. Gemeinsam mit dem Kulturring und Sozpädal ruft es für den 22. Juli zu einer Kundgebung vor dem Rathaus auf. "Wenn an falscher Stelle gespart wird, gefährdet das unser Zusammenleben", so die Organisator:innen.

Am Ende bleibt es an den Kommunen hängen

Oberbürgermeister Mentrup sieht die Kommunen derweil am Limit. Seit Jahren verfolgt Karlsruhe einen Sparkurs, der sich mittlerweile auf einen dreistelligen Millionenbetrag aufsummiert hat. "Die 220 Millionen Euro, die wir seit 2021 aus dem Haushalt rausgeschwitzt haben, lassen sich nicht mehr schmerzfrei umsetzen", sagt er gegenüber Kontext. Die steigenden Kosten für Personal, ÖPNV und Kliniken hätten die Stadt schon in der Vergangenheit zu drastischen Sparmaßnahmen gezwungen. Mentrup plädiert dafür, "wegzukommen vom Rasenmäherprinzip". Vielmehr brauche es langfristige Strategien und eine gezieltere Förderung, insbesondere im Kulturbereich: "Es ist eine gute Sache, dass viele Projekte Anschubfinanzierungen erhalten haben – aber wir können uns keine dauerhafte Finanzierung mehr für alles leisten." Im sozialen Bereich verweist Mentrup auf ein bestehendes starkes Hilfenetz, betont aber auch, dass Zuschüsse künftig genauer hinterfragt werden müssten – allerdings ohne zu erklären, welche Fragen er da stellen würde.

Für die unterfinanzierten Städte fordert Mentrup mehr Geld von Bund und Ländern. Zwar seien Kommunen inzwischen "so oft wie noch nie im Koalitionsvertrag" erwähnt, doch das reiche nicht: "Die Finanzierung des Investitionssofortprogramms verhindert nur, dass es noch schlechter wird." Die Lage sei durch eine strukturelle Schieflage gekennzeichnet – während Kommunen 25 Prozent der staatlichen Aufgaben übernehmen, erhalten sie nur 14 Prozent der Steuereinnahmen. Als Beispiele nennt er ein Krankenhausfinanzierungsgesetz und eine faire Finanzierung des ÖPNV. "Wer bestellt, muss auch zahlen", fordert Mentrup und warnt: "Je länger Bund und Länder keine Lösungen liefern, desto schwerer wird es, aus der Finanznot der Kommunen wieder rauszukommen." Zugleich sieht er Potenzial in Digitalisierung und Automatisierung – etwa bei Bahnlinien oder Verwaltungsprozessen –, um städtische Fachkräfte zu entlasten und Kosten langfristig zu senken.

Kurz vor der Haushaltssperre, die die Stadt sich selbst von März bis Mai diesen Jahres verordnet hatte, hat der Gemeinderat noch die Finanzierung der World Games 2029 und der Turmbergbahn für mindestens 36 Millionen aus dem städtischen Haushalt beschlossen. Dazu drücken die Folgekosten der unterirdischen Straßenbahn U-Strab auf den Stadtsäckel. Jährlich etwa 30 Millionen Euro kostet der Stadtbahntunnel, so die Stadtverwaltung. Genauere Zahlen seien aufgrund der "vielschichtigen Verflechtungen der Betriebsabläufe" nicht möglich. Gegenüber Kontext sprach Mentrup von jährlichen Kosten von 40 Millionen Euro. Der Stadtbahntunnel hätte neue Möglichkeiten der Stadtentwicklung erschlossen und wie die Turmbergbahn die Verlässlichkeit und Qualität des ÖPNV-Netzes erhöht.

Wo jetzt gespart wird, entscheidet, wie lebendig, solidarisch und zukunftsfähig unsere Städte bleiben. Im Herbst fällt in Karlsruhe der Haushaltsbeschluss für 2026 – andere Kommunen stehen vor ähnlichen Weichenstellungen.

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2 Kommentare verfügbar

  • Bodo Sinn
    vor 2 Tagen
    Antworten
    Meiner Meinung nach sollten alle Artikel die sich mit den Finanzen der öffentlichen Hand befassen mit einem Hinweis zu Steuergeschenken für Superreiche und dem CUM/EX und CUM/CUM Bankraub versehen werden. Geld ist mehr als genug da, es ist nur in den falschen Händen. Bei den aktuellen politischen…
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