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Versprochene Fördergelder

Die Verwaltung sieht das anders

Versprochene Fördergelder: Die Verwaltung sieht das anders
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Der Stuttgarter Gemeinderat beschließt, Projekte zur Stadtentwicklung finanziell zu fördern. Doch die Gelder kommen nicht an. Ein genauer Blick auf die Ereignisse offenbart ein eigenwilliges Demokratieverständnis der Stadtverwaltung.

Da ärgert sich der Stadtrat. "So etwas darf nicht passieren", sagt Thorsten Puttenat von der Fraktionsgemeinschaft Puls. Die Stadt Stuttgart hat 160.000 Euro nicht ausbezahlt, mit denen der Gemeinderat eigentlich das Projekt "Täglich" von Martina Baum fördern wollte. Mit ihren Studierenden untersuchte die Professorin für Städtebau und Entwerfen an der Universität Stuttgart die Idee, im Stadtteil Bad Cannstatt ein offenes Gebäude für alle einzurichten. Das mit Geld zu unterstützen, haben "wir damals beschlossen, weil wir finden, dass Martina Baum gute Arbeit macht", betont Stadtrat Puttenat. "Wenn die Verwaltung sich nicht daran hält, dann brauchen wir es ja nicht zu beschließen."

Die Kontroverse hat einen längeren Vorlauf. Begonnen hat das Projekt "Täglich" bereits im Wintersemester 2018. Nach dem Vorbild der brasilianischen SESC-Zentren für Kultur, Sport und Nachbarschaft (Serviço Social de Comércio) entstehen in Baums Seminar Entwürfe für das Parkhaus am Cannstatter Wilhelmsplatz und die damit verbundene Schwabenbräu-Galerie an der Bahnhofstraße, die zu großen Teilen seit vielen Jahren leer stehen.

Die Entwürfe werden im Juli 2019 im Rahmen des Cannstatter Kulturmenüs vorgestellt. Unterstützung dabei gab es von der Stadt und der Internationalen Bauausstellung IBA'27. Ein paar Monate später, im Oktober, beantragt die Puls-Fraktion, Vorsitzender Puttenat, das Projekt für weitere zwei Jahre mit je 80.000 Euro zu finanzieren. Dafür fand sich eine Gemeinderatsmehrheit, die im Doppelhaushalt 2020/21 die Mittel bewilligt hat, festgehalten auf einer Liste des Stadtplanungsamts vom 24. Januar 2020, "Vom Gemeinderat beschlossene Planungsmittel", die Kontext vorliegt.

Von Fördertopf zu Fördertopf ins Nichts

Allerdings steht Baums Projekt "Täglich" auf dieser Liste unter IBA-Projekte. Auf Anfrage von Kontext antwortet die Stadt jetzt: "Die ursprünglich gewünschte Finanzierung von Stellen für das Projekt 'Täglich in BC' [mit BC ist Bad Cannstatt gemeint, d. Red.] wurde im Zuge der Haushalts-Beratungen in einen Projektmittelzuschuss geändert. Die Planungsmittel sind im städtischen IBA-Budget gebunden."

Weiter erläutert die Stadtverwaltung, "die Projektideen von 'Täglich' wurden nach Abschluss der Studie an dem Standort in Bad Cannstatt nicht weiterverfolgt". Das lässt Deutungsspielraum: Wer hat die Ideen nicht weiterverfolgt – Baums Institut, die IBA oder die Stadt? Hier kann Andreas Hofer weiterhelfen. "Nach Gesprächen mit verschiedenen Ämtern der Stadt und Grundeigentümer:innen", so der IBA-Intendant, wurde klar, dass es am Wilhelmsplatz kein "realistisches Umsetzungspotential" gebe. Denn IBA-Projekte müssen bis 2027 fertiggestellt sein. "Dies würde einen starken Gestaltungswillen seitens der Kommune bedingen", stellt Hofer in diesem Fall fest. Der offenbar fehlt. Die Stadt habe vorgeschlagen, das Projekt "Täglich" am Wilhelmsplatz als IBA-Vorhaben nicht weiter zu verfolgen.

Unter dem Titel "Ankommen in Bad Cannstatt" steht allerdings weiterhin ein eigenes Vorhaben der Stadt auf der Webseite der IBA im IBA-Netz. "Teil der Entwicklung wird ein hybrides öffentliches Gebäude mit neuartigem Nutzungs- und Betreiberkonzept sein", heißt es dort – das klingt nicht so weit entfernt von Baums Projekt. "Die Ideen gemischter Nutzungen unter einem Dach", antwortet die Stadt nun auf Anfrage, "werden durch die verantwortlichen Fachreferate bereits umgesetzt."

Wenig Interesse, keine Kommunikation

"Das ist für uns alles neu", sagt Martina Baum. "Mit uns wurde nicht kommuniziert." Sie ging davon aus, die Unterstützung sei beschlossene Sache, wie in der Liste des Stadtplanungsamts festgehalten, und stellte zwei Mitarbeiter:innen ein, um das Projekt im Sommersemester 2020 fortzusetzen. Das Interesse seitens der Stadt hielt sich indes in Grenzen. Im März 2020 stellte sie Vertreter:innen des Stadtplanungsamts und der IBA das Projekt vor. Allerdings nicht bei Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) und auch nicht beim damaligen Leiter des Stadtplanungsamts Detlev Kron, wie Baum berichtet. "Ebenso gab es keine Vorstellung im Gemeinderat oder im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik (STA)."

Die lapidare Auskunft der Stadt auf Kontext-Anfrage: "Das IBA'27 Netz-Vorhaben 'Täglich' wurde im STA nicht priorisiert und wird im IBA-Kontext nicht weiter bearbeitet", heißt es im besten Amtsdeutsch. Das bedeutet: Kein IBA-Projekt, keine Förderung. Der Gemeinderatsbeschluss blieb auf der Strecke und Martina Baum auf ihren Kosten sitzen. Sie erfuhr dann im Juli 2020 in einem Gespräch mit der städtischen IBA-Beauftragten Alice Kaiser, dass ihr Projekt kein Projekt der Bauausstellung mehr sei, dass es "aber ein Gespräch auf Dezernenten-Ebene geben sollte, da das Konzept nicht nur das Stadtplanungsamt betrifft und weiterverfolgt werden soll."

Das Referat sieht keine Notwendigkeit

Dieses Gespräch scheint, Monate später, auch stattgefunden zu haben. Allerdings wusste Baum davon genauso wenig wie der Gemeinderat – bis Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) am 16. Dezember 2021 eine Anfrage der Fraktionen Puls, FrAktion und SPD aus dem Mai dieses Jahres beantwortete. "Im November 2020 fand eine Abstimmung zwischen den Referaten SWU, JB und SI statt", heißt es da. Mit den Abkürzungen sind die Bürgermeister:innen für Städtebau, Wohnen und Umwelt (SWU), Jugend und Bildung (JB) und Soziales und gesellschaftliche Integration (SI) gemeint, also Peter Pätzold, Isabel Fezer (FDP) und Alexandra Sußmann (parteilos).

"Ergebnisse der Studie wurden dargelegt", so Nopper im Telegramstil. Dargelegt von wem? Von Martina Baum jedenfalls nicht. Doch auch ohne Kenntnisse aus erster Hand stand für die drei Bürgermeister:innen offenbar fest, was Nopper zu Fezers Referat anmerkt: "Das Referat JB sah nicht die Notwendigkeit für ein 'Täglich in Bad Cannstatt' an den in der Studie genannten Standorten."

So endet ein Gemeinderatsbeschluss: Was die gewählten Volksvertreter:innen für förderungswürdig befinden, hält die Verwaltung nicht für nötig. Eine eigenwillige Auffassung von der Rollenverteilung innerhalb der Kommune.

Zum Zeitpunkt von Noppers Antwort waren die zwei Jahre des Doppelhaushalts beinahe abgelaufen. Von den 160.000 Euro hatte Martina Baum keinen Cent gesehen. "Es sollten dafür wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und Unkosten bezahlt werden", so die Städtebau-Professorin. "Wir haben dann als Büro die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen finanziell übernommen, da wir das Projekt sonst nicht hätten weiterführen können. Alle anderen Kosten mussten wir vom Lehrstuhl aus aufbringen."

Auch die Wanderbäume laufen auf

Und das Projekt "Täglich" ist nicht das einzige, bei dem von der Stadt in Aussicht gestellte Gelder nicht ankamen. Auch die viel beachtete Wanderbaumallee ging leer aus. "Als wir im Team merkten, dass die Aktion gut ankommt, dass wir Spaß daran haben und voraussichtlich weitere Jahre mit den Bäumen auf die Straße gehen, versuchten wir Gelder für den Doppelhaushalt 20/21 zu bekommen", berichtet die Projekt-Mitbegründerin Hanka Griebenow. Nachdem sie viel Zeit für den Antrag, eine Kostenschätzung und Gespräche mit mehreren Gemeinderatsfraktionen aufgewandt hätten, habe der Gemeinderat in den Haushaltsberatungen einer Förderung mehrheitlich zugestimmt.

Foto: Jens Volle

Wanderbaumallee

Wanderbaumalleen gibt's bereits seit 30 Jahren in München. Die 2019 entstandene Stuttgarter Initiative, hervorgegangen aus dem Realexperiment "Parklets für Stuttgart" aus Martina Baums Future City Lab, setzt die Baumkübel jedoch grundsätzlich auf Parkplätze – und hat damit in kürzester Zeit viele Nachahmer gefunden. Wenn die Bäume das Sommerhalbjahr über gewandert sind, werden sie an einem festen Ort eingepflanzt. Die Stadt Stuttgart hat selbst die Idee kopiert – um auf dem Marktplatz keine weiteren Bäume pflanzen zu müssen: Bäume in Kübeln müssen genügen, die lassen sich schnell wegräumen, damit dem Weihnachtsmarkt kein Quadratmeter verloren geht.  (dh)

Doch dann wird es kompliziert: "Es wurde entschieden, dass die Gelder nicht aus dem Doppelhaushalt kommen sollen, sondern aus dem Klimaaktionsprogramm", erzählt Griebenow. "Das sind leider alles nur mündliche Aussagen. Es ist vergessen worden, das Ergebnis festzuhalten, wurde uns gesagt. Nach weiteren Rückfragen bei der Stabsstelle Klimaschutz lief alles sehr schleppend."

Zuerst sollte die Initiative erneut eine Kostenaufstellung einreichen. Dann wurde sie an andere Förderprogramme wie Urban Gardening verwiesen und schließlich an den Klima-Innovationsfonds. "Die Antragstellung ist sehr aufwendig", erklärt die Architektin, "und wir haben derzeit resigniert."

Aus Sicht der Stadt liest sich das so: "Die Verwaltung hat mit den Initiatoren der Wanderbaumallee in 2020 Gespräche geführt, in welchem Rahmen das Projekt aus den vorhandenen Förderprogrammen gefördert werden könnte. Allerdings wurde danach kein Antrag auf Förderung eingereicht." Nach einer Anfrage von Kontext heißt es nun allerdings auch: "Die Stadt wird aber auf die Initiatoren der Wanderbaumallee zugehen und ein Gespräch führen."


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1 Kommentar verfügbar

  • Peter Mielert
    am 14.12.2022
    Antworten
    Ergänzung: die Ausstellung im Stadtpalais konnte nur stattfinden, weil der Bezirksbeirat Stuttgart-Mitte, nach dem Plädoyer der Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle(Grüne) für einen Zuschuss, diesem zugestimmt hatte.
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