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Wohnungsnot

Leerstand bleibt folgenlos

Wohnungsnot: Leerstand bleibt folgenlos
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Die Wohnungsnot ist groß und gleichzeitig stehen vor allem in Großstädten Wohnungen leer. Der Aufwand, diesen Leerstand zu verfolgen, ist hoch und der Effekt gering. Manchen Städten ist das Problem egal, und das Land traut sich an das Thema nicht ran.

"Jede Wohnung zählt", überschreibt die Landesregierung eine neue Verordnung, mit der das Land versucht, den Wohnungsbau durch Erleichterungen im Planungsrecht zu beschleunigen. So sollen Kommunen Vorkaufsrechte stärker nutzen und das Baugebot besser durchsetzen können. Denn trotz des starken Drucks und der Not auf dem Wohnungsmarkt stehen in den Großstädten Wohnungen leer und Häuser verrotten.

In Freiburg machte der Mieterverein Regio Freiburg an einem landesweiten Aktionstag auf zwei leerstehende Villen im Stadtteil Wiehre aufmerksam. "Die Häuser stehen seit Jahrzehnten leer. Inzwischen ist die Bausubstanz ruiniert", sagt Katrin Hartwig, Geschäftsführerin des Mietervereins. Erfolglos habe der Verein versucht, herauszufinden, wem die Villen gehören. In einem Fall seien sie über zwei rumänische Namen auf eine inzwischen aufgelöste Agentur als Eigentümer gestoßen. In dem anderen Fall fanden sie gar keine Spuren. "Das ist jammerschade. Langer Leerstand wird belohnt", sagt Hartwig, die sich die Hintergründe in den Fällen nicht erklären kann. "Auch sehr reiche Menschen wollen mit ihrem Geld was machen. Ich weiß nicht was, aber irgendein Zweck wird da dahinterstehen."

Als Leerstand gilt Wohnraum, der länger als sechs Monate nicht genutzt wird. Um solche Fälle zu unterbinden, wurde in Freiburg bereits 2014 eine Zweckentfremdungssatzung eingeführt, die Eigentümer:innen sanktioniert, wenn sie ihren Wohnraum nicht oder anderweitig nutzen. Seitdem führte die Stadt 600 Verfahren wegen der Zweckentfremdung von Wohnraum. In jedem dritten Fall ging es dabei um langen Leerstand oder die unerlaubte Nutzung als Ferienwohnung. Wird eine Zweckentfremdung festgestellt, drohen Bußgelder bis 100.000 Euro. Für Volker Hug vom Badischen Mieterring, der zweiten Freiburger Mietervereinigung, hat sich die Einführung der Satzung schon "alleine wegen der abschreckenden und präventiven Wirkung" gelohnt.

"Sobald eine Wohnung länger leersteht, wird diese meist von aufmerksamen Bürger:innen an die Stadt gemeldet", sagt Hug. Solche Meldungen augenscheinlichen Leerstands machten den Großteil der verfolgten Fälle aus, bestätigt die Freiburger Stadtverwaltung auf Kontext-Anfrage. "Bei der Zweckentfremdungsstelle sind derzeit circa 370 Objekte im Stadtgebiet gelistet, bei denen der Verdacht auf Leerstand besteht." Die Verfahren seien allerdings "sehr aufwendig. Schon die Ermittlung, ob überhaupt ein Leerstand vorliegt, ist zum Teil komplex", heißt es vonseiten der zuständigen Stelle. Mögliche Ausnahmeregelungen seien ebenso zu prüfen wie Ursachen, die nicht von den Eigentümer:innen zu verantworten sind.

Kaum Bußgelder für Zweckentfremdung

Und so haben Eigentümer:innen kaum Konsequenzen zu fürchten. Erst zwei Bußgeldbescheide hat die Stadt Freiburg aufgrund der Zweckentfremdung von Wohnraum ausgestellt. Im schwereren Fall wurde ein Bußgeld von 12.500 Euro verhängt. In Stuttgart, wo seit 2016 eine Zweckentfremdungssatzung gilt, konnte die Stadtverwaltung von keinem Bußgeld wegen Wohnungsleerstand berichten. Ziel sei es nicht, hohe Bußgelder zu verhängen, sondern Wohnraum zurückzugewinnen. Dies sei in Stuttgart in 250 Fällen gelungen, erklärt die Pressestelle der Stadt. Auch in Mannheim gilt seit einem Jahr eine Zweckentfremdungssatzung. Dort befänden sich "viele Anträge in der Prüfung", ein Bußgeld sei aber noch nicht verhängt worden, heißt es auf Nachfrage.

Die Prüfungen seien sehr langwierig, sagen die Kommunen. Die Eigentümer:innen und ihre Meldeadressen müssten ermittelt und dann nach den Ursachen geforscht werden. Gerade in der Nachweisführung einer Zweckentfremdung stoßen die Verwaltungen auf zahlreiche Schwierigkeiten. Mal seien die Eigentümer:innen mit ihrem Erst- oder Zweitwohnsitz an der vermeintlich leerstehenden Wohnung gemeldet. Trotz des begründeten Verdachts, dass sie anderswo leben, sei ein zweckwidriger Leerstand dann schwierig zu beweisen. Aktuell berufen sich zudem viele Eigentümer:innen auf den Mangel an Handwerkskräften, weshalb sich die eigentlich geplanten Sanierungsmaßnahmen hinauszögerten. Auch hier sei es kaum möglich, andere Absichten nachzuweisen.

"Umbau, Sanierung, Erbangelegenheiten, Zweitwohnung oder Pflegebedarf", Hug zählt eine Reihe von Gründen für einen begründeten Leerstand von Wohnungen auf. Doch Katrin Hartwig vom Mieterverein kennt auch andere Fälle. "Hinter jahrelangem Leerstand von Altbauten steckt häufig die Absicht von Investoren, die alte Bausubstanz gezielt zu ruinieren." Mit der absichtlich herbeigeführten Baufälligkeit könnten sie den Abriss mit anschließendem Neubau und lukrativem Verkauf notfalls auch gerichtlich durchsetzen. "Gerade bei Grundstücken in begehrten Lagen sind die Gewinnspannen dann beträchtlich", sagt Hartwig.

Karlsruher Bürgerverein scheitert an Behörden

Eine dieser begehrten Lagen ist die Karlsruher Südstadt. Über Jahre kämpfte der Verein "Bürger-Gesellschaft der Südstadt" dafür, dass die Bewohner:innen des Viertels durch planungsrechtliche Maßnahmen besser gegen Gentrifizierung und Verdrängung geschützt werden. Der Bürgerverein machte dabei auch immer wieder auf den Leerstand im Stadtteil aufmerksam. Denn trotz der begehrten Wohnlage stehen mehr als ein Dutzend Mehrfamilienhäuser ganz oder teilweise leer. "Für uns ist ein Leerstand fast nicht ermittelbar", sagt Martina Hillesheimer, die Vorsitzende des Bürgervereins. "Da hängt mal nur eine Gardine am Fenster, daraus lässt sich aber nichts schließen. Es muss schon sehr heruntergekommen sein, um sicher zu sein, dass ein Leerstand vorliegt", beschreibt sie die mühsame Suche. Sie und ihre Mitstreiter:innen wendeten sich mehrfach an das Liegenschaftsamt, das ihre Vermutungen teilweise bestätigte. Gehandelt wurde aber nicht. "Wir wurden völlig abgekanzelt und haben das Thema mittlerweile zur Seite gelegt, da wir ohne Daten nicht weiterkommen", sagt Hillesheimer.

Eine Zweckentfremdungssatzung gibt es in Karlsruhe nicht. Erst vor der Sommerpause wurde ein Antrag darauf im Gemeinderat auf Empfehlung der Stadtverwaltung mit den Stimmen von AfD, CDU, FDP und SPD abgelehnt. Mit 2,6 Prozent sei die Leerstandsquote gering, lautete das Hauptargument. Für einen funktionierenden Wohnungsmarkt sei eine Quote zwischen drei und fünf Prozent erforderlich, berief sich die Verwaltung auch auf ein externes Gutachten. Quoten, von denen die begehrten Großstädte und die Mietinteressierten nur träumen können. Bis 2035 fehlen nach Angaben der Stadtverwaltung auch in Karlsruhe über 14.000 Wohnungen. Im März 2022 wurden über eine Überprüfung der Stromzähler 3.960 Wohnungen als leerstehend identifiziert. Doch die so ermittelten Wohnungen will die Karlsruher Stadtverwaltung nicht weiter überprüfen. Stattdessen sollen die Ergebnisse des Zensus abgewartet werden. So bleibt auch Hillesheimer nicht mehr, als zu vermuten: "Es steht viel mehr frei und leer, als es der Stadt bekannt ist."

Enteignung: Für Straßen geht's

Um der Wohnungsmisere zu begegnen, haben die Berliner:innen im September 2021 für den Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co." gestimmt. Inhalt: Große Wohnungskonzerne sollen vergesellschaftet, also enteignet werden. Die Idee dahinter ist, dass Wohnen ein Grundbedürfnis ist und nicht dem Markt überlassen werden darf. Der Berliner Senat muss nun klären, wie dieser Volksentscheid umgesetzt wird.

Im Grundgesetz heißt es in Artikel 14: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Und im nächsten Absatz: "Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt."

Enteignungen gibt es in Deutschland – allerdings bislang nicht von Wohnungen, sondern vor allem von Grundstücken, die für Straßen benötigt werden. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Caren Lay hat jüngst die Bundesregierung gefragt, wie viele Enteignungen es seit 2020 für Autobahnen gegeben hat. Antwort des Bundesverkehrsministeriums vom 8. August 2022: insgesamt 147, davon sieben in Baden-Württemberg, von denen zwei noch laufen – siehe da(lee)

In den anderen baden-württembergischen Großstädten werden übrigens die Leerstandsprüfungen per Stromzähler mit pauschalem Verweis auf Datenschutz oder wegen des Aufwandes abgelehnt, hat eine Abfrage ergeben. Im Rest der Republik allerdings greifen immer mehr Kommunen zu diesem Instrument.

Bestandsschutz für Leerstand

Im Vergleich zu Freiburg ist selbst die offizielle Leerstandsquote in Karlsruhe hoch. Im Breisgau stehen nur etwa 0,4 Prozent aller Wohnungen leer, wobei allerdings nur Leerstand betrachtet wird, der sechs Monate und länger anhält. Dagegen ist in Karlsruhe unbekannt, wie lange der Leerstand schon besteht. In Stuttgart weiß die Stadtverwaltung gar nichts über die aktuelle Leerstandsquote, und in Mannheim ist nur der Anteil der nicht bewohnten Wohnungen in Mehrfamilienhäusern (1,6 Prozent) bekannt. Die Unterschiede kann Mieterbund-Chefin Hartwig sich nur so erklären: "In Freiburg steht der Leerstand seit Langem unter Beobachtung."

Im Falle der beiden Freiburger Villen in der Wiehre sieht sie die Verantwortung beim Land. Da das 2013 beschlossene Landesgesetz zur Zweckentfremdung nicht rückwirkend gilt, können die Kommunen Häuser, die schon zum damaligen Zeitpunkt leerstanden, nicht wegen einer Zweckentfremdung verfolgen. So kommt es zu einem Paradox: "Längerer Leerstand hat Bestandsschutz", erklärt Hartwig. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sei von einer rückwirkenden Geltung damals Abstand genommen worden, sagt ein Sprecher des Landesbauministeriums. Dies werde aber derzeit nochmal geprüft. Hartwig hält dies für überfällig. "Kostbarer Wohnraum wird dem Verfall preisgegeben, während es gleichzeitig für immer mehr Menschen in Freiburg zunehmend schwierig wird, angemessenen Wohnraum zu finden."

Der Weg zu ausreichend bezahlbarem Wohnraum in Großstädten ist lang. Zumal die Zahl der Baugenehmigungen im ersten Halbjahr bundesweit um zwei Prozent zurückging. Umso mehr zählt für die wohnungssuchenden Menschen jede leerstehende Wohnung, die wieder auf den Markt kommt. Trotz der überschaubaren Wirkung beurteilt das von Nicole Razavi (CDU) geführte Landesbauministerium schärfere Maßnahmen als die Zweckentfremdungssatzung aber kritisch und erklärt auf Kontext-Anfrage: "Ein darüber hinausgehendes Zugriffsrecht auf zweckentfremdete Wohnungen wäre ein schwerer Eingriff in das Eigentumsrecht und dürfte erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken nach sich ziehen." Übersetzt bedeutet das: bloß keine Enteignung! Lieber lässt die Politik Immobilien ungestört verfallen.


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2 Kommentare verfügbar

  • kajoge
    am 03.09.2022
    Antworten
    In meinen Augen ist es ein Skandal, dass sich die Städte und Gemeinden hier nicht vehementer darum kümmern und dafür einsetzen - notfalls wirklich unter Verhängung hoher Bußgelder -, dass leerstehende Wohnungen wieder belegt werden können. In unserem Fall ist das Ganze sehr eindeutig: 2 Wohnungen…
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