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StaMi-Akten zu Stuttgart 21

Anleitungen für die Zeugen

StaMi-Akten zu Stuttgart 21: Anleitungen für die Zeugen
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Stefan Mappus hat ausweislich neu eingesehener Akten seine Rolle beim "Schwarzen Donnerstag" heruntergespielt, als er Ende 2010 vor dem Untersuchungsausschuss aussagte. Aber nicht nur der frühere CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs versuchte, die Wahrheit zu verschleiern.

Plausibel war die Lesart nie, wonach ausgerechnet der robuste Regierungschef, dem der eigene FDP-Justizminister Ulrich Goll den Spitznamen "Mappi-Schnappi, das Krokodil" verpasst hatte, am 29. September 2010 lammfromm am Tisch in der Villa Reitzenstein gesessen hätte, um der Polizeiführung zu lauschen. Die Situation war angespannt: Durch den immer stärkeren Protest gegen Stuttgart 21 fühlte sich der CDU-Ministerpräsident unter Druck, Stefan Mappus sah sich von den Projektgegnern mit dem "Fehde-Handschuh" konfrontiert und wollte unbedingt die Wahl im kommenden März gewinnen. Nun mussten die Baumfällarbeiten im Stuttgarter Schlossgarten zur Einrichtung der Megabaustelle beginnen, doch der ursprüngliche Termin um 15 Uhr am 30. September 2010 war durchgestochen worden, die Gegner alarmiert. Um sich informieren zu lassen, "wie man mit dieser Situation umzugehen gedenke, habe ich die zuständigen Ressorts - das Innenministerium für die Polizei, das Umwelt- und Verkehrsministerium als verantwortliches Ministerium für Stuttgart 21 – zu einer Informationsbesprechung in das Staatsministerium eingeladen", sagt Mappus in seiner Zeugenaussage im Landtag am 22. Dezember 2010. Und weiter: Er habe sich bewusst zurückgehalten und abschließend "nur gefragt, was denn jetzt gemacht wird".

Nur gefragt? Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum brutalen, völlig aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz sollte auch der Frage nachgehen, ob es stattdessen Versuche politischer Einflussnahme auf die Polizeiführung gab. Mappus hatte viele Gründe anzunehmen, dass seine vor dem Ausschuss präsentierte Version halten würde. SPD und Grüne, damals beide in der Opposition, wollten den Ministerpräsidenten gleich zum Auftakt der öffentlichen Vernehmungen Anfang November hören, die Regierungsparteien CDU und FDP setzten mit ihrer Stimmenmehrheit im Ausschuss allerdings durch, dass er erst als letzter in der achten Sitzung an die Reihe kam. Und in die ging er bestens präpariert durch seine Beamten im Staatsministerium (Siehe dazu in dieser Ausgabe auch "Gott sei Dank, Herr Pope") und durch die Regierungsbeauftragten, die per Gesetz die Ausschussarbeit mitverfolgten, ihn aber regelmäßig mit immer neuen Vermerken und Notizen aus anderen Zeugeneinvernahmen fütterten.

"Die vorgeschlagenen Aussagen sind eine Anregung"

"Drehbücher à la Hollywood" seien es, die die Beamten erstellten, so der ehemalige Richter Dieter Reicherter, dem vor kurzem Einsicht in die entsprechenden Dokumente des Staatsministeriums gewährt wurde (Kontext berichtete). Das Ziel der Autoren: Dem Chef klarzumachen, dass er seinen Part bei jenem Treffen mit der Polizeiführung harmloser beschreiben kann, als er war. Darunter dieser inzwischen mehrfach zitierte, fett gedruckte "Hinweis für MP": "Ihr in der Sitzung gemachtes Angebot, ggf. selbst mit verschiedenen MP's zu sprechen, um zusätzliche Kräfte aus anderen Ländern zu gewinnen, wurde bislang von keinem Zeugen der Besprechung thematisiert" (hier das ganze Dokument, Zitat auf S. 8/000034). Das beweist, dass Mappus vor den Abgeordneten eben nicht alles sagte, was er wusste. Zugleich heißt es in den Dokumenten mehrfach: "Die vorgeschlagenen Aussagen sind lediglich eine Anregung. Sie spiegeln den Eindruck der bisherigen Zeugenaussagen wider. Entscheidend für eine wahrheitsgemäße Aussage sind ausschließlich Ihre eigenen Erinnerungen." Diese jedenfalls nicht zur Gänze zu bemühen, war Mappus geschmeidig genug.

Ausgabe 594, 17.8.2022

Mappus' Manipulationen

Von Johanna Henkel-Waidhofer und Oliver Stenzel

Erst jetzt eingesehene Dokumente zur S-21-Schlichtung und zum ersten Untersuchungsausschuss zum "Schwarzen Donnerstag" belegen, wie manipulativ die Regierung Mappus Ende 2010 vorgegangen war. Die grüngeführten Regierungen ab 2011 hätten für Aufklärung bei den massiven Täuschungen und Tricksereien sorgen können. Stattdessen führte ihre Blockade zur strafrechtlichen Verjährung.

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Drehbücher finden sich in den Akten nicht nur für Mappus. Vom damaligen Stuttgarter Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf, gleich zweimal geladen, wird eine Aussage erhofft zur Bestätigung der Leseart, es habe keine politische Einflussnahme gegeben, so eine auf den 28. Oktober datierte Notiz: "Taktisch wäre es in unserem Sinn, wenn PP Stumpf nach Bekanntwerden des ursprünglichen Einsatzbeginns (um die Mittagszeit) bereits im PP Maßnahmen ergriffen hätte, um den Einsatz auf 10.00 Uhr vorzuziehen. (…) Dann wäre klar, dass PP Stumpf seine Linie von Anfang bis Ende durchgehalten hat" (hier das ganze Dokument, Zitat auf S. 3/000128). Und in einer auf den 13. November datierten Notiz werden Vorschläge für die bevorstehende Vernehmung von Stumpf noch einmal konkretisiert: "PP könnte ggf. kritische Punkte, die aus den Akten (...) sowieso erkennbar sind, selbst ansprechen, um eine defensive Lage von vornherein zu vermeiden. Bsp.: "Ich hatte mich bereits vor dem Gespräch im Staatsministerium auf einen Einsatzzeitpunkt um 10.00 Uhr festgelegt (...)“ (hier das ganze Dokument, Zitat auf S. 1/000112). In seiner Aussage erinnerte sich Stumpf dann entsprechend.

Zeugen in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen werden vor ihrer Aussage belehrt, dass sie die Wahrheit sagen müssen und nichts Erhebliches weglassen dürfen. Und dass auch eine uneidliche Falschaussage strafrechtlich relevant sein kann. Der Kurzzeit-Regierungschef für 13 Monate hätte gute Chancen gehabt, belangt zu werden, wäre seine deutlich aktivere Rolle – besagter Rundruf bei Kollegen in der Republik, um die Notlage zu beschreiben und Polizeikräfte zu erbitten – bei der Besprechung mit der Polizei publik geworden. Schon im Spätsommer 2012 werden im Staatsministerium die Sicherheitskopien von Mails von Mappus entdeckt. Doch dann kämpft er vor Gericht – schlussendlich erfolgreich – um die Löschung. Und fünf Jahre nach der Aussage ist die Sache verjährt.

Der grüne Amtschef und die Mappus-Anwälte

Die Akten, die Dieter Reicherter und der frühere Bruchsaler Grünen-Stadtrat und Transparenz-Spezialist Gert Meisel nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) vor bald zehn Jahren erstmals einzusehen begehrten, sind aber weiter vorhanden. Jedenfalls zeigt eine Mail vom November 2012 an jenen Beamten, der federführend war für die Vorbereitung von Mappus' Aussage am 22. Dezember, dass das inzwischen grüngeführte Staatsministerium von dem umfangreichen Material in der Registratur Kenntnis hatte. Im April 2013 wird dem Amtschef Klaus-Peter Murawski sogar vorgeschlagen, mit Mappus' Anwälten über Bande zu spielen: Ihnen soll das Einsichtsgesuch gerade mit Blick auf das noch offene Löschungsverfahren in der Erwartung vorgelegt werden, "dass die Anwälte die Herausgabe ablehnen werden". Auf diese Weise werde "die Position des StM im Verwaltungs- und möglicherweise anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren nochmals stärker abgesichert". Dabei war damals Reicherter und anderen schon längst bekannt, dass als intern eingestufte Unterlagen rund um den Untersuchungsausschuss aus Mappus´ Regierungszentrale auch an die CDU-Landtagsfraktion weitergeleitet worden waren.

Überhaupt wird die während des ganzen Untersuchungsausschusses bestens bedient von Mappus' Leuten. Für die Sitzung am 30.November beispielsweise fertigen Spitzenbeamte einen Vermerk zum Stand der Dinge und raten, die Beweisaufnahme mit dem Auftritt eines von der Regierungsseite benannten Juristen zu beginnen, "der die Demonstrationen und die Maßnahmen des sog. 'zivilen Ungehorsams' bewertet". Und weiter: "Hiermit konfrontiert werden könnten Aussagen der von der Opposition benannten 'Stuttgarter Bürger' sowie der von den Regierungsfraktionen benannten Aktivisten der Parkschützerszene." Weiterhin geplant sei "die Vernehmung von Polizeibeamten und Mitarbeitern des Rettungsdienstes, die den von Demonstranten ausgehenden Druck bezeugen" sollten.

Gesagt, getan. Schwarze und Liberale im Ausschuss sorgten dafür, dass mit dem emeritierten Freiburger Professor Thomas Würtenberger ein Staatsrechtler geladen wurde, der schon den Beginn der Demonstrationen im Schlossgarten als unfriedliche Versammlung einstufte. Außerdem hatte nach dessen Ansicht die Polizei eine "Verhinderungsblockade" auflösen wollen, weil "die Demonstranten teilweise versucht haben, gewaltsam Baumaßnahmen zu unterbinden". Damit falle ihr Protest nicht unter das Versammlungsrecht. Auch der von den Regierungsfraktionen bestimmte Zeitablauf gehorchte gern den Ideen des Staatsministeriums. Denn Würtenberger wurde am 6. Dezember vormittags gehört, der von der Opposition benannte Rechtsprofessor Ralf Poscher elf Tage danach erst am späten Abend. Für ihn war die Versammlung im Schlossgarten überwiegend friedlich und der Wasserwerfer- und Reizgas-Einsatz "unverhältnismäßig und rechtswidrig". Es sei "mit Kanonen auf Spatzen geschossen worden". Da war die erste Version aber längst weit verbreitetes Allgemeingut, gerade unter CDU-Abgeordneten.

Wählergunst war wichtiger als die Wahrheit

Keine zeitliche Differenzierung wurde vorgenommen, keine Erläuterungen zur unterschiedlichen rechtlichen Einschätzung, schon gar kein Wort dazu, dass die Polizeiführung die Öffentlichkeit am 1. Oktober auf einer eilig anberaumten Pressekonferenz erst einmal hinter die Fichte führen wollte. Denn die Szenen, in denen ein ausrastender Polizist ganz zu Beginn der Eskalation und noch ohne Helm auf Umstehende einschlägt – bald in der Protestbewegung "Prügelglatze" genannt –, waren herausgeschnitten worden, was wenig später aufgedeckt wurde. Aber zu viele CDU-Abgeordnete waren in den Wochen vor der Landtagswahl viel weniger an der Wahrheit interessiert als an der Wählergunst.

Das Staatsministerium schlug in einem der Vermerke an die CDU-Fraktion vor, ein Signal des Vertrauens an die Polizei auszusenden und sich zugleich mit der "Demonstrationskultur", wie es in Anführungszeichen heißt, der Gegner auseinanderzusetzen, womit gemeint ist: mit der Bereitschaft zu Rechtsbrüchen. Unvergessen das Unverständnis der CDU- und FDP-Vertreter im Ausschuss, wenn Kopfbahnhof-Befürworter:innen im Zeugenstand ihre Auffassung von zivilem Ungehorsam erläuterten und wie sie bei Grenzverletzungen bereit waren, die Konsequenzen zu tragen. Und viele Fragen der Regierungsabgeordneten, darunter die heutige Wohnministerin Nicole Razavi (CDU), an die zur Entlastung vor allem des Ministerpräsidenten geladenen Zeugen waren nach der Melodie: "Sind Sie mit mir der Meinung, dass die Blockaden rechtswidrig und im Übrigen die Demonstrat:innen selber schuld sind?"

Gerade der Altliberale Hagen Kluck ereiferte sich in der abschließenden Plenardebatte im Februar 2011 über den Regisseur Volker Lösch und sein Bekenntnis, wenn die Polizei ihm unsinnige Dinge befehle, "dann habe ich immer noch meinen eigenen Verstand und beurteile Situationen in meinem Leben so, dass ich die Entscheidung selber fälle". Salven von Zwischenrufen musste der Grünen-Obmann im Ausschuss Hans-Ulrich Sckerl über sich ergehen lassen, als er das Offensichtliche zusammenfasste: Es sei völlig berechtigt zu sagen, dass sich die Politik eingemischt hat. "Unglaublich selbstgerecht", so Sckerl, hätten CDU und FDP aber "den Weg zu einer offenen und ehrlichen Aufklärung versperrt". Im zweiten Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz in der folgenden Legislaturperiode, dann aus der Opposition heraus, übrigens erst recht.

Einflussnahmen mit Tradition

In der CDU hat der Versuch, die Arbeit von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen massiv zu beeinflussen, Tradition seit Ende der Siebziger Jahre, als der spätere Ministerpräsident Erwin Teufel Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium war und eine geplante Mülldeponie auf wundersame Weise aus seinem Wahlkreis hinaus verlegt wurde. Es folgte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, für den der junge CDU-Aufsteiger aus Spaichingen die Idee entwickelte, alle Beamten aus dem eigenen Haus, die als Zeugen geladen waren, müssten ihm erst einmal ihre Aussage zur Abzeichnung vorlegen. Die Sache flog schnell auf, sehr viel schneller jedenfalls, als das grüngeführte Staatsministerium bereit war, Akten aus der Ära Mappus herauszurücken.

Der nächsten Herausforderung sehen sich die Grünen bereits gegenüber: Der Untersuchungsausschuss zur Brief-Affäre von Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) und zur Beförderungspraxis bei der Polizei hat seine Arbeit aufgenommen. Spannend wird zu beobachten sein, wie weit die Abgeordneten des größeren Koalitionspartners und die Ausschussvorsitzende Daniela Evers (Grüne) bereit sind, seinen Darstellungen zu folgen. Ein früherer Fehler zumindest ist vermieden: Der Innenminister muss am 23. September als allererster Zeuge aussagen.


Die neu eingesehenen Akten aus dem Staatsministerium, die die sogenannte S-21-Schlichtung betreffen, waren bereits Thema in der vergangenen Kontext-Ausgabe, hier und hier.

Das Internet-TV-Projekt Flügel.tv hat den ersten Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz vom 30.9.2010 umfangreich dokumentiert, unter anderem die Zeugenaussage von Stefan Mappus komplett aufgezeichnet (hier Teil 1 und Teil 2). Sehenswert ist auch die Zusammenfassung "Eine Ausschuss-Untersuchung".


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1 Kommentar verfügbar

  • Peter Meisel
    am 24.08.2022
    Antworten
    Wo ist das (CDU) Problem: sie haben das Volk über 4.526 Mrd abstimmen lassen und sind bisher bei mehr als 20+ Mrd bis heute und einem zerstörten „Hauptbahnhof“ angekommen!
    Die Gier hat sogar die Gebote Gottes am Baum der Erkenntnis ignoriert (1.Mose ) die Natur zu pflegen und zu erhalten!!!
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