Längst verankert auf der kommunalen Ebene ist die dialogische Beteiligung mit zufällig ausgewählten Bürger:innen in einem Forum, das der jeweiligen Dorf- oder Stadtgesellschaft so gut wie möglich entsprechen soll. Boschs Vorgängerin als Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Gisela Erler, hatte die Idee ins Land getragen, viele Auseinandersetzungen sind auf diese Weise befriedet worden. Damit ist sogar der sperrige Gemeindetag einverstanden. "Wir unterstützen den Ansatz, durch eine breit angelegte und frühzeitige dialogische Bürgerbeteiligung die Akzeptanz des Ausbaus erneuerbarer Energien strukturiert zu verbessern", heißt es in einer Stellungnahme.
Das ist allerdings tricky und könnte der Staatsrätin das Leben ziemlich schwer machen. Denn da werden zwei Instrumente gegeneinander ausgespielt, die ganz andere Ansätze verfolgen: Zufallsforen befassen sich mit schon vorliegenden Plänen, in Stuttgart zum Beispiel mit der Sanierung des Großen Hauses der Württembergischen Staatstheater; hingegen wollen kommunale Begehren oder Entscheide in der Regel Vorhaben erst noch anstoßen, zum Beispiel Solar- oder Windkraftanlagen, gerade dann, wenn sie vom Gemeinderat nicht betrieben oder sogar abgelehnt worden sind.
Dass es jenen, die die Axt an die direkte Demokratie legen wollen, nicht besonders schwerfällt, Nebelkerzen zu werfen, hängt mit an der Komplexität der Verhältnisse. So ist es viel einfacher, pauschal zu behaupten, dass Bürgerentscheide der Energiewende entgegenstehen, als die angeblichen Blockaden im Detail nachzuweisen. Denn: Vor allem Kommunen legen per Verhinderungsplanung den Erneuerbaren Steine in den Weg, Investoren müssen vor Gericht, was Zeit kostet. Stapelweise könne er solche ablehnenden Ratsentscheidungen liefern, sagt Edgar Wunder von "Mehr Demokratie". Auch gibt es gar keine nennenswerte Zahl von Abstimmungen vor Ort gegen Windränder im Land, weil sie im Baugesetzbuch privilegiert sind und damit Entscheide gar nicht mehr zugelassen werden können – das weiß der Gemeindetag natürlich ebenfalls. Zugleich können Kommunen diese Privilegierung mit einem sogenannten Aufstellungsbeschluss aushebeln. Wenn der dann in der Schublade verstaubt, geschieht gar nichts mehr.
Partizipation als Motor der Energiewende
Der jeweils zuständige Landrat wäre dann aufgerufen, dieses Verhalten zu rügen, was aber bisher kaum passierte. Die Meinung unter Beteiligungsexperten ist eindeutig: "Letztlich war es die ländliche kommunale Familie selbst, die die Windenergie verhinderte." Inzwischen finde zwar ein Umdenken statt, "dass aber ausgerechnet der Gemeindetag davon spricht, es müssten Bürgerentscheide eingeschränkt werden, um die Windenergie auszubauen, klingt grotesk".
Und dann hat ausgerechnet auch noch die neue schwarz-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein, angeführt von dem überall als vergleichsweise fortschrittlich gerühmten Daniel Günther, mit ihrem Koalitionsvertrag Ende Juni eine Steilvorlage geliefert in Gestalt dieser Generalklausel: "Bürgerbegehren sind bei Bauleitplanungen, die Voraussetzung für den Krankenhaus-, Schul-, Kita- oder Wohnungsbau, mindestens 30 Prozent der Wohnungen im sozialer Wohnungsbau oder zur Erzeugung regenerativer Energien sind, unzulässig. Damit stärken wir die kommunale Selbstverwaltung."
Weil sie diesem Passus zugestimmt haben, sind die Grünen in Kiel mittlerweile schwer unter Druck. "Mehr Demokratie" im hohen Norden rechnet damit, dass damit 80 bis 90 Prozent der Bürgerbegehren verhindert werden könnten. Vorstandsmitglied Karl-Martin Hentschel war selbst mal Grünen-Fraktionschef im Kieler Landtag und versteht jetzt die Welt nicht mehr, weil nach seiner Kenntnis doch fast die Hälfte aller Bürgerbegehren auf mehr Klimaschutz zielen statt auf weniger. Partizipation habe sich also sogar als Motor der Energie- oder der Verkehrswende erwiesen. Immerhin fällt die Generalklausel womöglich demnächst wieder – aparterweise, wenn ein Volksentscheid dagegen angestrengt wird.
Bleibt die Frage, warum es traditionellen Kommunalos vor allem aus dem bürgerlichen Lager so reizvoll erscheint, eine Säule der direkten Demokratie zu beseitigen. Auf der Hand liegt die Vermutung, dass ein Teil der Räte Kompetenzen partout nicht mit den Bürger:innen teilen will. Gern wird vorgebracht, Fragestellungen seien zu komplex, als dass sie mit einem simplen Ja oder Nein zu beantworten wären – und schon gar nicht vom einfachen Volk. Edgar Wunder, der für die Linke im Rat von Edingen-Neckarhausen sitzt, erlebt auch einen Kampf um Flächen. Häufig hätten Kommunen eben doch ganz andere Ideen, als die Energiewende voranzutreiben. Oft komme der Anstoß zum Ausbau der Erneuerbaren deshalb aus der Bürgerschaft.
In Eberbach hat sie dem Gemeinderat sogar aus der Patsche geholfen, weil im Frühjahr eine jahrelange Auseinandersetzung beendet und eine Kampfabstimmung vermieden werden konnte. Die Frage war ebenfalls leicht verständlich: "Sind Sie dafür, dass die Stadt Eberbach im Gewann 'Hebert' das städtische Grundstück Flst.-Nr. 8641 der Gemarkung Eberbach entsprechend den in einem Interessenbekundungsverfahren ausgehandelten Konditionen dem Bieter BayWa r.e. Wind GmbH zur Errichtung und zum Betrieb von Windkraftanlagen zur Verfügung stellt?" Bei einer Beteiligung von gut 42 Prozent der Wahlberechtigten stimmten 61,4 Prozent mit Ja. Der parteilose Bürgermeister Peter Reichert begrüßte das Ergebnis samt seiner befriedenden Wirkung. Deutlich mehr als die 13.500 Einwohner:innen sollen künftig mit Strom versorgt werden. Und vielleicht sind Skeptiker damit zu überzeugen, dass es in der Stadtkasse klingelt: BayWa muss nämlich Pacht zahlen. Fast 1,5 Millionen Euro Jahr für Jahr.
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