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Konflikte um Bürgerbeteiligung

Mumpitz von vorne bis hinten

Konflikte um Bürgerbeteiligung: Mumpitz von vorne bis hinten
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Wie Spitzgras ist es vielen Bürgermeister:innen, wenn das Volk das letzte Wort hat. Jetzt wirft der Gemeindetag Baden-Württemberg reichlich Nebelkerzen, um die direkte Demokratie nach Kräften zu problematisieren. Sogar die Energiewende wird gegen die Partizipation in Stellung gebracht.

Die Ausgangslage im April war für die Bevölkerung in Weilheim leicht zu verstehen: "Sind Sie dafür, im Bereich Rosenloh circa 30 Hektar Gewerbeflächen für ortsansässige Unternehmen, die Ansiedlung für Klimaschutz- und Technologieunternehmen sowie den Bau einer Entlastungsstraße zu ermöglichen?" 8.100 Wahlberechtigte konnten "Ja" oder "Nein" ankreuzen. Bei einer Wahlbeteiligung von 60 Prozent stimmten rund 70 Prozent der Weilheimer:innen dafür, dass in dem Gebiet unter anderem eine Brennstoffzellenfabrik errichtet wird. Ein Ergebnis, das nicht zu der ebenso landläufigen wie unzutreffenden Ansicht passt, wonach die gewöhnlichen Leute meistens keine Veränderung wollen, schon gar nicht vor ihrer Haustür. Barbara Bosch, Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft, die sich für die Teilnahme stark gemacht hatte, darf die Zahlen auch als persönlichen Erfolg werten.

Ausgabe 575, 06.04.2022

Fabrik contra Grünland

Von Gesa von Leesen

Soll in Weilheim an der Teck eine Fabrik für Wasserstoffantrieb gebaut werden oder nicht? Darüber stimmten die Bürger:innen ab. Die einen wollten 30 Hektar Grün erhalten, die anderen die neue Technologie. Die Sorge um die Zukunft haben beide Seiten beschworen.

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Könnte der Gemeindetag, der alle kreisangehörigen Kommunen Baden-Württembergs vertritt, allein entscheiden, würden derartige Erfolgserlebnisse der Vergangenheit angehören. "Mir geht es um die Frage, ob bei der Schaffung einer gesellschaftlich erforderlichen Infrastruktur am Ende ein Nein im Rahmen eines Bürgerentscheid stehen kann", sagt Präsident Steffen Jäger, der selbst Bürgermeister im gut 4.000 Einwohner:innen zählenden Oppenweiler im Rems-Murr-Kreis war, in einem Interview mit dem "Staatsanzeiger". Skeptiker und Kritikerinnen in Rathäusern, Räten oder Regionalversammlungen bewerten das Weilheimer "Ja" als einen der wenigen Positiv-Ausreißer. Das ist fern der Fakten, hindert sie aber nicht am Versuch, mit Verweis auf das notwendige Tempo beim Kampf gegen die Erderwärmung die ungeliebte Bürgerbeteiligung madig zu machen.

"Wenn wir gesamtgesellschaftlich zum Ergebnis kommen, dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien dringend für unsere Zukunftsfähigkeit brauchen, dann muss die Frage erlaubt sein, ob einfach Nein sagen zu können bei einem Bürgerentscheid richtig ist", agitiert Jäger. Der Gemeindetagspräsident wisse ganz genau, kontert Edgar Wunder, der Landesvorstandssprecher des Vereins "Mehr Demokratie", dass es in der Vergangenheit, unabhängig vom Ausgang, überhaupt nur ganz wenige einschlägige Entscheide gegeben hat. Und den unterstellten Widerstand in der Bürgerschaft gegen den Ausbau der erneuerbaren Energie gebe es auch nicht: "Das ist Mumpitz von vorne bis hinten."

Der allerdings verfängt. Bei der Neuauflage der grün-schwarzen Koalition im vergangenen Jahr hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gehofft, CDU-Landeschef und Innenminister Thomas Strobl werde vor Ort die Zustimmung seiner Partei zu Bürgerbeteiligung und Energiewende organisieren. Schließlich ist die CDU in Städten und Gemeinden traditionell stark und einflussreich. Aber erstens haben sich die Kräfteverhältnisse bei den Schwarzen deutlich verschoben, weg von Strobl und hin zu Landtagsfraktionschef Manuel Hagel, der Misstrauen gegen Partizipation sät mit Einlassungen wie: "Bürgerbeteiligung darf nicht von einigen wenigen als Verhinderungsdemokratie missbraucht werden." Und zweitens sind Parteivorsitzende im fernen Stuttgart nicht gerade die Autoritäten, von denen sich selbstbewusste Kommunalpolitiker:innen in ihr Geschäft reden lassen wollen. Erst recht gilt das für Rathauschefs, die ihre Bürgerschaft aus dem Bierzelt oder dem Schützenverein, vom Fußballplatz oder dem Familienwandertag bestens zu kennen meinen – und Volksbegehren oder -entscheide schon deshalb für überflüssig halten.

Dabei blockieren die Kommunen selbst

Barbara Bosch weiß auch als ehemalige Oberbürgermeisterin von Reutlingen, wie falsch diese Einschätzung sein kann – aus ganz unterschiedlichen Gründen. So verändert sich die Zusammensetzung der Einwohnerschaft ständig durch Zuzug oder Abwanderung, und in den traditionellen Strukturen findet sich oft nur noch ein Teil der Bevölkerung wieder. Bosch setzt auch auf ihre Erfahrungen als Präsidentin des DRK und kennt nicht nur viele Menschen in der Blaulichtfamilie und darüber hinaus, die 63-Jährige fühlt sich durch diese Kontakte auch "richtig geerdet". Sie wolle deutlich machen, "dass in Baden-Württemberg nicht durchregiert wird".

Längst verankert auf der kommunalen Ebene ist die dialogische Beteiligung mit zufällig ausgewählten Bürger:innen in einem Forum, das der jeweiligen Dorf- oder Stadtgesellschaft so gut wie möglich entsprechen soll. Boschs Vorgängerin als Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Gisela Erler, hatte die Idee ins Land getragen, viele Auseinandersetzungen sind auf diese Weise befriedet worden. Damit ist sogar der sperrige Gemeindetag einverstanden. "Wir unterstützen den Ansatz, durch eine breit angelegte und frühzeitige dialogische Bürgerbeteiligung die Akzeptanz des Ausbaus erneuerbarer Energien strukturiert zu verbessern", heißt es in einer Stellungnahme.

Das ist allerdings tricky und könnte der Staatsrätin das Leben ziemlich schwer machen. Denn da werden zwei Instrumente gegeneinander ausgespielt, die ganz andere Ansätze verfolgen: Zufallsforen befassen sich mit schon vorliegenden Plänen, in Stuttgart zum Beispiel mit der Sanierung des Großen Hauses der Württembergischen Staatstheater; hingegen wollen kommunale Begehren oder Entscheide in der Regel Vorhaben erst noch anstoßen, zum Beispiel Solar- oder Windkraftanlagen, gerade dann, wenn sie vom Gemeinderat nicht betrieben oder sogar abgelehnt worden sind.

Dass es jenen, die die Axt an die direkte Demokratie legen wollen, nicht besonders schwerfällt, Nebelkerzen zu werfen, hängt mit an der Komplexität der Verhältnisse. So ist es viel einfacher, pauschal zu behaupten, dass Bürgerentscheide der Energiewende entgegenstehen, als die angeblichen Blockaden im Detail nachzuweisen. Denn: Vor allem Kommunen legen per Verhinderungsplanung den Erneuerbaren Steine in den Weg, Investoren müssen vor Gericht, was Zeit kostet. Stapelweise könne er solche ablehnenden Ratsentscheidungen liefern, sagt Edgar Wunder von "Mehr Demokratie". Auch gibt es gar keine nennenswerte Zahl von Abstimmungen vor Ort gegen Windränder im Land, weil sie im Baugesetzbuch privilegiert sind und damit Entscheide gar nicht mehr zugelassen werden können – das weiß der Gemeindetag natürlich ebenfalls. Zugleich können Kommunen diese Privilegierung mit einem sogenannten Aufstellungsbeschluss aushebeln. Wenn der dann in der Schublade verstaubt, geschieht gar nichts mehr.

Partizipation als Motor der Energiewende

Der jeweils zuständige Landrat wäre dann aufgerufen, dieses Verhalten zu rügen, was aber bisher kaum passierte. Die Meinung unter Beteiligungsexperten ist eindeutig: "Letztlich war es die ländliche kommunale Familie selbst, die die Windenergie verhinderte." Inzwischen finde zwar ein Umdenken statt, "dass aber ausgerechnet der Gemeindetag davon spricht, es müssten Bürgerentscheide eingeschränkt werden, um die Windenergie auszubauen, klingt grotesk".

Und dann hat ausgerechnet auch noch die neue schwarz-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein, angeführt von dem überall als vergleichsweise fortschrittlich gerühmten Daniel Günther, mit ihrem Koalitionsvertrag Ende Juni eine Steilvorlage geliefert in Gestalt dieser Generalklausel: "Bürgerbegehren sind bei Bauleitplanungen, die Voraussetzung für den Krankenhaus-, Schul-, Kita- oder Wohnungsbau, mindestens 30 Prozent der Wohnungen im sozialer Wohnungsbau oder zur Erzeugung regenerativer Energien sind, unzulässig. Damit stärken wir die kommunale Selbstverwaltung."

Weil sie diesem Passus zugestimmt haben, sind die Grünen in Kiel mittlerweile schwer unter Druck. "Mehr Demokratie" im hohen Norden rechnet damit, dass damit 80 bis 90 Prozent der Bürgerbegehren verhindert werden könnten. Vorstandsmitglied Karl-Martin Hentschel war selbst mal Grünen-Fraktionschef im Kieler Landtag und versteht jetzt die Welt nicht mehr, weil nach seiner Kenntnis doch fast die Hälfte aller Bürgerbegehren auf mehr Klimaschutz zielen statt auf weniger. Partizipation habe sich also sogar als Motor der Energie- oder der Verkehrswende erwiesen. Immerhin fällt die Generalklausel womöglich demnächst wieder – aparterweise, wenn ein Volksentscheid dagegen angestrengt wird.

Bleibt die Frage, warum es traditionellen Kommunalos vor allem aus dem bürgerlichen Lager so reizvoll erscheint, eine Säule der direkten Demokratie zu beseitigen. Auf der Hand liegt die Vermutung, dass ein Teil der Räte Kompetenzen partout nicht mit den Bürger:innen teilen will. Gern wird vorgebracht, Fragestellungen seien zu komplex, als dass sie mit einem simplen Ja oder Nein zu beantworten wären – und schon gar nicht vom einfachen Volk. Edgar Wunder, der für die Linke im Rat von Edingen-Neckarhausen sitzt, erlebt auch einen Kampf um Flächen. Häufig hätten Kommunen eben doch ganz andere Ideen, als die Energiewende voranzutreiben. Oft komme der Anstoß zum Ausbau der Erneuerbaren deshalb aus der Bürgerschaft.

In Eberbach hat sie dem Gemeinderat sogar aus der Patsche geholfen, weil im Frühjahr eine jahrelange Auseinandersetzung beendet und eine Kampfabstimmung vermieden werden konnte. Die Frage war ebenfalls leicht verständlich: "Sind Sie dafür, dass die Stadt Eberbach im Gewann 'Hebert' das städtische Grundstück Flst.-Nr. 8641 der Gemarkung Eberbach entsprechend den in einem Interessenbekundungsverfahren ausgehandelten Konditionen dem Bieter BayWa r.e. Wind GmbH zur Errichtung und zum Betrieb von Windkraftanlagen zur Verfügung stellt?" Bei einer Beteiligung von gut 42 Prozent der Wahlberechtigten stimmten 61,4 Prozent mit Ja. Der parteilose Bürgermeister Peter Reichert begrüßte das Ergebnis samt seiner befriedenden Wirkung. Deutlich mehr als die 13.500 Einwohner:innen sollen künftig mit Strom versorgt werden. Und vielleicht sind Skeptiker damit zu überzeugen, dass es in der Stadtkasse klingelt: BayWa muss nämlich Pacht zahlen. Fast 1,5 Millionen Euro Jahr für Jahr.


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