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Verkehr und Klima

Es gibt kein Recht auf billiges Parken

Verkehr und Klima: Es gibt kein Recht auf billiges Parken
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Zu lange waren parkende Autos in Städten ein Ärgernis, da sie Platz wegnehmen für schattige Alleen, großzügige Radwege, mehr Lebensqualität. In Zeiten des Klimawandels müssen sie verschwinden, weil mehr Grün vor Hitze schützt. Hohe Gebühren fürs Anwohnerparken können helfen, dieses Ziel zu erreichen. Das wurde nun gerichtlich festgestellt.

Kann gut sein, dass diese Entscheidung im Rückblick als wichtige Weichenstellung im kommunalen Kampf gegen die Erderwärmung gewertet wird. Jedenfalls hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg festgestellt, dass es nicht zu beanstanden ist, "wenn mit der Bewohnerparkgebühr – ebenso wie mit der Parkraumbewirtschaftung – erkennbar auch das Ziel einer Reduktion des Kfz-Verkehrs und der Verringerung des hierdurch bedingten CO2-Ausstoßes verfolgt wird". Ähnlich wegweisend sind die Einlassungen des VGH zur Gebührenerhöhung um das 16-fache sowie seine Gegenrechnung: Die Einrichtung eines öffentlichen Stellplatzes mit einem Kostenaufwand von 30.000 Euro entspricht gegengerechnet nicht weniger als 83 Jahre lang Anwohnerparken. "Daher kann keine Rede davon sein, dass die Bewohnerparkgebühr in einem Missverhältnis zu dem mit ihr verbundenen Vorteil stehe."

Sascha Fieck, der Freiburger FDP-Stadtrat, der eine Eilentscheidung des Gerichts gegen die Gebührenerhöhung erreichen wollte, kann sich den in 182 Punkte gegliederten Spruch hinter den Spiegel klemmen. Und all die anderen, die nicht akzeptieren können, dass sich viel ändern muss in den Städten und Gemeinden. Denn das durchschnittliche Auto ist laut jüngsten Berechnungen aus dem Verkehrsministerium erstens nur mit 1,4 Personen besetzt und steht zweitens 23 Stunden des Tages herum. Und das auch noch allzu oft auf öffentlichem Platz. Auf einem Platz, der so dringend gebraucht wird für mehr Lebensqualität und, wenn die Temperaturen weiter steigen, fürs Überleben in bisher zubetonierten Straßenzügen.

Vor bald 40 Jahren hat der Wiener Mobilitätswendepapst Hermann Knoflacher mit einem "Gehzeug", einer wackeligen Holzkonstruktion von den Ausmaßen eines Mittelklassewagens, getragen mit zwei Seilen über den Schultern, darauf hingewiesen, wie grotesk die Fehlentwicklung in der Stadt- und Verkehrsplanung zugunsten flächenfressender Autos ist. Und wie hartnäckig die öffentliche Meinung das Missverhältnis akzeptiert, weil sich so viele Menschen mit ihrem Wagen identifizieren. Knoflacher: "Es setzt sich im Stammhirn fest, wir glauben, wir sind das Auto und – weil es im Stammhirn ist – denken wir Auto und handeln Auto."

Die Zeiten ändern sich, sogar in der Union, die auf Bundesebene noch in der Großen Koalition dieser Änderung des Straßenverkehrsgesetzes zugestimmt hat, die den Ländern per Verordnung ermöglichte, Kommunen künftig freie Hand zu lassen bei der Gebührenhöhe fürs Anwohnerparken. Neckarsulm, Heidelberg, Weil am Rhein, Biberach, Esslingen, Göppingen, Geislingen, Reutlingen, Ludwigsburg, Tübingen, Freiburg eben und Karlsruhe haben schon Gebrauch gemacht davon. Karlsruhes SPD-OB Frank Mentrup, der sich auf eine stabile grün-rote Allianz stützen kann, will "mehr öffentlichen Raum qualitätsvoller und lebenswerter für alle Menschen gestalten". Seit 1. Januar gelten Anwohnerparkgebühren von pro Jahr 180 Euro anstatt bisher 30,70. Die Verwaltung hat eine Erhöhung ab dem Jahr 2024 auf 360 Euro vorgeschlagen, um der angestrebten Kostendeckung näher zu kommen. Der Gemeinderat lehnte ab. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, im selben Jahr sind Kommunalwahlen.

Andere Städte machen's besser

Es könnte gut sein, dass bis dahin ganz andere Fragen als die Höhe der Gebühren in den Vordergrund drängen. Zum Beispiel, wie zügig und konsequent europäische Vorzeigestädte im Klimawandel kopiert werden könnten. Barcelona beispielsweise kommt sein geometrischer Grundriss der Eixample zustatten oder die Erweiterung vom Ende des 19. Jahrhunderts mit breiten Straßen und abgeschrägten Hausecken. Aufgelegt ist der "Plan del Verde y de la Biodiversidad de Barcelona 2020” für Grün und Artenvielfalt. Danach müssen bis 2030 doppelt so viele Bäume gepflanzt sein und die Grünflächen um zwei Drittel ausgedehnt werden. Erklärtes Ziel ist die Eindämmung des Treibhauseffekts.

Oder Ljubljana: Große Teile des Zentrums sind schon seit Jahren gänzlich autofrei. 2016 verlieh die EU der slowenischen Hauptstadt den Titel "Umwelthauptstadt Europas", weil es in besonderer Weise gelungen sei, "Umweltschutz und wirtschaftliches Wachstum zu einer hervorragenden Lebensqualität ihrer Einwohner zu verbinden". Oder Wien: Die ganze Stadt ist seit wenigen Monaten Kurzparkzone mit saftigen Gebühren, Pendler:innen steigen um auf öffentliche Alternativen, und ganze Straßenzüge können neu bepflanzt werden. Dabei ist die Auswahl der richtigen Bäume gar nicht so einfach, weil sie die Menschen nur dann vor der Hitze schützen und die Temperaturen dank der Verdunstung gerade nachts senken können, wenn sie selber resistent sind gegen zu große Hitze.

Bei einem Fachgespräch auf Einladung der neuen Heilbronner Grünen-Landtagsabgeordneten Gudula Achterberg machte noch ein Beispiel Eindruck: Die dortige rot-grün-rote Koalition hat der Freien Hansestadt Bremen eine Neuerung verordnet mit dem "Ortsgesetz über vorhabenbezogene Stellplätze für Kraftfahrzeuge, Fahrradabstellplätze und Mobilitätsmanagement bei Bauvorhaben", das sich aber ins Gedächtnis der Verantwortlichen auch weiter südlich einprägen sollte. Denn in so sperrigen Formulierungen verpackt ist – erstmals bundesweit – ein Paradigmenwechsel: weniger Auto- und mehr Fahrradstellplätze bei Neubauten, Carsharing und Mobilitätsmanagement zur Kombination und Optimierung der Angebote.

"Das neue Gesetz berücksichtigt die Mobilität aller Menschen", sagt Maike Schaefer, die grüne Bremer Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Die Klimakrise fordere "ein Umdenken weg vom eigenen Auto hin zu einer dynamisch-flexiblen Verkehrsmittelwahl". Baden-Württemberg gibt sich mit einer Landesbauordnung zufrieden, die einen KfZ-Stellplatz pro neue Wohnung vorschreibt und Platz für Fahrräder in "zu erwartendem Bedarf". Nicht nur Architekt:innen beklagen fehlende Konkretisierungen.

Angelika Jäkel, Regionalkoordinatorin des "Bundesweiten Netzwerks Wohnen und Mobilität" in Baden-Württemberg, verwies bei dem Fachgespräch auch darauf, dass keineswegs nur Städte davon betroffen sind, wenn zu viele Parkplätze entstehen. Werden etwa Enkelgrundstücke bebaut und in Ortskernen verdichtet, kann das auch Dörfer massiv verändern, weil vor Häusern keine Bäume gepflanzt werden.

Leute ohne Autos finanzieren Parkplätze mit

Wie Abhilfe möglich ist, zeigen Projekte im Land, darunter die in die Höhe gebaute Quartiersgarage Neckarbogen in Heilbronn. Gefördert durchs Verkehrsministerium, entstehen dort 195 E-Ladeplätze, Paket- und Fahrradstationen, eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und einen Ort, an dem vernetzte Mobilität stattfinden kann, sagt Architekt Jens Wittfoht. Er wirbt für "Parken im Regal", weil der öffentliche Raum im urbanen Umfeld nicht durch Stehzeuge bestimmt werden solle.

Winfried Hermann (Grüne) muss von solchen Lösungen nicht noch überzeugt werden. Der Verkehrsminister hat gerade selber ein Zehn-Punkte-Papier zur Mobilitätswende vorgelegt, in dem die Verknappung von Parkplätzen eine große Rolle spielt. Widerstand ist programmiert. Dabei sind so viele Gegenargumente in Wahrheit Fake-News, insbesondere die These, dass der Einzelhandel leidet, wenn der Individualverkehr beschnitten wird. "Nicht Autos kaufen ein, sondern Menschen", sagt einer von Hermanns Fachleuten. Die FU Erfurt hat sich für die Kampagne "Radsam" – eine Anspielung auf das derzeit grassierende Wort "achtsam" – mit dem Einkaufsverhalten befasst: Radfahrer:innen lassen im jährlichen Durchschnitt 569 Euro in Innenstädten, Fußgänger:innen sogar 725 Euro und ÖPNV-Nutzer:innen 598. Wer hingegen aus dem Auto steigt, gibt nur 477 Euro aus.

Und noch ein gebetsmühlenhaft, vor allem von der FDP wiederholtes Argument, hält einer Überprüfung nicht Stand. Höhere Gebühren und weniger herumstehende Autos im öffentlichen Raum sind mitnichten per se unsozial, weil etwa die Hälfte der ärmeren Haushalte überhaupt kein Auto besitzt, über ihre Steuern oder die Miete die Standflächen der Autos aber mitfinanziert.

Der VGH-Beschluss zur Freiburger Gebührenordnung ist unanfechtbar, die Entscheidung steht aus. Da lohnt der Blick nach Karlsruhe, denn das Bundesverfassungsgericht wiederum hat in seinem Klimaurteil die Latte sehr hoch gelegt und den Gesetzgeber verpflichtet, einen vorausschauenden Plan zu entwickeln, um mit den noch möglichen Restemissionen sorgsam umzugehen. Von dieser Pflicht, Emissionen zu verringern, "ist praktisch jegliche Freiheit potentiell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgaben verbunden (…) sind". Es kann nicht sein, dass ausgerechnet Parken nicht dazu gehört.


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