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Winfried Hermann und der Krieg

"Ich gehe als Pazifist ins Grab"

Winfried Hermann und der Krieg: "Ich gehe als Pazifist ins Grab"
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Die Grünen haben einst für sich beansprucht, eine Friedenspartei zu sein. Jetzt marschieren sie vorneweg. Mit dem Ruf nach immer mehr Waffen für die Ukraine. Widerspruch ist unerwünscht. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann hält sich nicht daran. In Kontext sagt er, warum.

Kommando Spezialkräfte: Anton Hofreiter (52) trägt eine Panzerfaust auf der Schulter, Robert Habeck (52) einen Helm, Annalena Baerbock (41) eine schusssichere Weste und eine verwelkte Sonnenblume in der Hand. "Die Olivgrünen" titelt der "Spiegel" und konstatiert eine "Mobilmachung" der Ökopartei. Das Heft liegt auf dem Schreibtisch eines Urgrünen, der milde lächelt. "Vor mehr als 20 Jahren haben sie dasselbe geschrieben", erinnert sich Minister Winfried Hermann, als die Grünen dem deutschen Einsatz in Afghanistan zustimmten.

Soll heißen: Für mich nichts Neues, das Magazin pflegt eben wieder den Gründungsmythos der organisierten Friedensengel, die zwar höchst selten hochflogen, im Kampfanzug aber eine Supergeschichte hergeben. "Die Presseleute haben immer noch Petra Kelly im Kopf", sagt der 69-Jährige, "und vergessen dabei die Jungs vom Sieg im Volkskrieg, also die vielen ehemaligen Maoisten, die nie Pazifisten waren." Gemeint sind Winfried Kretschmann, Reinhard Bütikofer, Jürgen Trittin, Ralf Fücks et al., die ihre K-Gruppen-Vergangenheit mit zu den Grünen genommen haben.

Damals stand ein Porträt der verteidigungspolitischen Sprecherin Angelika Beer in der "Spiegel"-Ausgabe 46/2001, das die Überschrift "Die Olivgrüne" trug. Zu lesen war, dass die Wehrexpertin früher einmal die Truppe abschaffen, raus aus der Nato wollte und ihr "friedliche Lösungen am Herzen" gelegen seien. So wurde Hermann zitiert. Nun plädierte Beer für deutsche Bodentruppen in Afghanistan, gegen einen Bombenstopp der US-Armee, und für die Schlussfolgerung, dass es keine Alternative gebe. Es packe einen das "Grauen", wenn man die Frau im Fernsehen erlebe, zitiert "Spiegel"-Autorin Barbara Supp eine 88-jährige Grüne, und findet noch heraus, dass Beer früher Mitglied im "Kommunistischen Bund" war. Afghanistan war verheerend.

Im Bundestag ist Hermann der böse Pazifist

Für Hermann sind das die "schlimmsten Phasen" seiner politischen Karriere. "Ich war für nicht wenige der böse Pazifist", sagt er, und versteht erst später, warum. Er hatte mit den "Ursprungsideen" der Grünen argumentiert und damit bei seinen Parteifreunden im Bundestag den Eindruck erweckt, er erhebe sich moralisch über sie, die im Zweifel die realpolitische Drecksarbeit machten. Für den Schutz vor Völkermord, die Wahrung von Menschenrechten, mit dem Militär als ultima ratio. In den "Dauerkonflikten" um die Auslandseinsätze der Bundeswehr fühlt er sich gebrandmarkt, wechselweise als notorischer Abweichler, charakterloser Geselle oder Vaterlandsverräter abgewatscht, beharkt von den Oberrealos um Fritz Kuhn, Rezzo Schlauch und Cem Özdemir. Er fragt sich, was er in dieser Partei noch soll? Als Pazifist hat er mit Nein gestimmt.

Aufgewachsen im schwäbischen Rottenburg, einer Kleinstadt am Neckar, deren Kern der Bischofssitz ist, weiß der junge Winfried um die Anfälligkeit der Gläubigen bei Gewissensprüfungen. Wer hat Schuld auf sich geladen? Wer hält die Backe hin? Sein Vater kommt aus dem Krieg zurück, spricht nicht viel ("das willst du nicht wissen"), wird Geschäftsführer einer Druckerei, die Heiligenbildchen herstellt, die bekommt, wer Verlockungen widersteht. Der Sohn geht sonntags ins "Domstüble" statt in den Dom und sagt, er werde "nie in den Krieg ziehen", weil er niemanden töten wolle. Die USA bomben in Vietnam. Er verweigert den Dienst an der Waffe, muss dennoch vier Monate zur Truppe nach Ulm, bis er anerkannt wird.

Die weltliche Grundlage bietet der Geislinger Politologe Dieter Senghaas ("Kritische Friedensforschung"), die religiöse entstammt der Bergpredigt ("Gebot der Feindesliebe"), und beide gelten ihm bis heute. Natürlich ist er bei den Blockaden in Mutlangen, bei der Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm, bei der Großdemo im Bonner Hofgarten dabei, später bei den Grünen, die ihm als erste Adresse für Antimilitarismus und Pazifismus erscheinen.

Post vom Professor: Kriegstreiber stoppen

Heute sitzt er im obersten Stock des Stuttgarter Verkehrsministeriums im Dorotheen Quartier, einem sauteuren Bau im Breuninger-Reich, viel Chrom, viel Glas. Er hat einen Brief von dem emeritierten Tübinger Sportprofessor Helmut Digel bekommen, der ihm persönlich und politisch nahe steht. Beide loben die Ruhe von Kanzler Olaf Scholz. Der 78-Jährige war auch einmal Leichtathletikpräsident, Unterstützer der Ostpolitik von Willy Brandt, also für den Ausgleich mit der Sowjetunion, und Bundeswehr-Offizier. Hermann hat Leibesübungen studiert, gelehrt (unter anderem Stuttgarts OB Frank Nopper) und die Grünen als Sprecher vertreten. Die Rollschuhe, auf denen er 1984 in den Landtag gefahren ist, sind quasi historisch. Die von ihm gestützte Bewegung "Sportler für den Frieden" ist es auch.

Emeritus Digel hält die aktuelle Politik der Grünen für "falsch und gefährlich". Er schreibt, er wundere sich doch sehr, wenn er ihre Führungskräfte über Waffensysteme reden höre, die über "keine militärische Kompetenz" verfügten und die Folgen ihrer Vorschläge nicht zu beurteilen wüssten. Dabei müsste auch für "Kriegstreiber" einsichtig sein, dass eine Lösung des Konflikts nicht mit einer weiteren Aufrüstung erwartbar sei. Der "liebe Winne", schließt Digel, möge sich doch für einen "modernen Pazifismus" in seiner Partei einsetzen.

Danach hat sich der Minister gefragt, ob er der Bitte entsprechen sollte, wohlwissend, dass er vermintes Gelände betreten würde. Die Luft im Land riecht nach Falken. Hermann wagt es, spricht lange mit Kontext, wehrt sich dagegen, dass alle Einsichten und Erfahrungen plötzlich als "naive Irrtümer" gelten. Es wären auch seine. Auf den Müllhaufen der Geschichte mit ihnen?

Ein Blindfisch, wer gegen Waffen ist

Wer heute bekennt, ein Pazifist zu sein, bekommt als Nettestes noch zu hören, Anhänger eines "fernen Traums" (Habeck) zu sein. Gängiger ist der Vorwurf der "intellektuellen Traurigkeit" (FDP-Theurer) oder gleich ein "selbstgerechter Lump" zu sein, den der Kolumnist Sascha Lobo wohl am liebsten sofort dem Haftrichter vorführen würde.

Wie sich das anfühlt, könnten die 28 Prominenten, von Lars Eidinger über Alice Schwarzer bis Martin Walser, erzählen, die einen offenen Brief an Scholz geschickt haben, in dem sie fordern, die "vorherrschende Kriegslogik durch eine mutige Friedenslogik" zu ersetzen.

Ein Blindfisch zu sein ist noch die harmloseste Schmähung im Konzert militarisierter Politik und Medien. Die "fünfte Kolonne Putins", eine in FDP-Kreisen beliebte Positionsbeschreibung von Friedensbewegten, könnte folgen.

Verkehrsminister Hermann, S-21-gestählt, weiß um diese Mechanismen des Mainstreams, aber auch um dessen gedankliche Begrenztheit. "Der Schwarm ist nicht immer intelligent", sagt er und meint damit die scheinbar einhellige Meinung, dass Frieden nur mit Waffen geschaffen werden kann. Rheinmetall lässt grüßen.

Der Antimilitarist will raus aus der Gewaltspirale

Hermann nennt das eine "fatale Verengung des öffentlichen Diskurses", am besten zu beobachten in den Talkshows der Bellizisten, denen Panzer nicht schnell genug geliefert werden können, um mit den Panzern Putins gleich zu ziehen und so auf Augenhöhe zu sein, sollte es zu Verhandlungen kommen. Mit einem Gegenüber, dem Regeln angeblich gleichgültig sind, der dummerweise aber auf den Atomknopf drücken kann. Für den Antimilitaristen dreht sich hier eine irrationale "Gewaltspirale", der es schleunigst zu entkommen gilt, auf dass "Reflektionsräume" eröffnet werden können, in denen über Alternativen nachgedacht wird. "Das erwarte ich von meiner Partei", betont er.

Um Fehldeutungen vorzubeugen: Hermann ist nicht Jürgen Grässlin, der zivilen Ungehorsam vor anrollenden Panzern vorschlägt. Er verstehe die ukrainischen Männer, die mit Waffen in den Krieg zögen, gegen den "brutalen Aggressor Putin", dem Menschenrechte nichts bedeuteten, sagt er. Aber wäre es nicht mindestens genauso wichtig, miteinander zu sprechen, dem Diktum des Philosophen Jürgen Habermas zu folgen, der die Lösung von Konflikten nur in der Kommunikation der Konfliktparteien sieht? Warum nicht auch von Partnerstadt zu Partnerstadt? Und was ist mit dem Hunger in der Welt, dem Klima, dem Umweltschutz? Werden hier keine Menschenrechte berührt? Sind wir wirklich die Guten? Ist es vielleicht leichter, schwere Waffen zu fordern als ein Tempolimit? Wenn plötzlich 100 Milliarden für die Bundeswehr da sind. Auch auf solche Fragen möchte er von Baerbock, Habeck und Hofreiter Antworten haben, im präventiven, friedensstiftenden Sinn.

Daran wird abzulesen sein, wie es die Partei künftig mit dem Pazifismus hält. Schwierig. Das Thema triggert bei den jungen Grünen nicht, die Linken sind weitgehend raus, das Spitzenpersonal kennt den Bonner Hofgarten, die Mutlanger Pressehütte, die Waldheide Heilbronn nur aus dem Archiv, die Nato ist längst kein Feindbild mehr, die Zumutungen für Friedensfreunde werden mehr. Und trotzdem: Der grünlinke Großvater will keine Ruhe geben. "Ich gehe als Pazifist ins Grab", sagt Hermann und packt "Die Olivgrünen" weg.


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75 Kommentare verfügbar

  • Jörg Tauss
    am 11.05.2022
    Antworten
    Erfreulich, dass es in den Reihen grüner Kriegstreiber doch noch die eine oder andere Stimme der Vernunft gibt.

    Kretschmann gehört dem gegenüber zur russophoben Riege der Ex - Maoisten , für die schon die alte SU wie heute Russland ein tief verankertes Feindbild ist. Das hinderte den guten…
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