KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Transparenzgesetz

Spielen auf Zeit

Transparenzgesetz: Spielen auf Zeit
|

Datum:

Hätte es vor 25 Jahren ein gelebtes Informationsfreiheitsgesetz gegeben, wäre Stuttgart 21 wohl gescheitert. Ein Vierteljahrhundert später müssen Behörden Auskunft geben – allerdings machen sie das nicht ausreichend und keineswegs aus freien Stücken.

Elf Monate sind seit der Landtagswahl vergangen, und ein Muster der Wiederauflage von Grün-Schwarz kristallisiert sich heraus. Thomas Strobl, Manuel Hagel und die anderen VerhandlerInnen hatten bei den Koalitionsverhandlungen im Frühjahr 2021 eine Menge Unliebsames unterschrieben, um die drohende grün-geführte Ampel zu verhindern und selbst Regierungspartei zu bleiben. Dazu gehört auch das sogenannte Transparenzgesetz, das die CDU derart unverhohlen verschleppt, dass Stefan Brink, dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI), der Kragen platzte. Hinter den verschlossenen Türen des Ständigen Ausschusses im Landtag machte er aus seiner Vermutung keinen Hehl, dass die Zeit bis zur nächsten Landtagswahl am Ende absichtlich ungenutzt verstreichen könnte.

Es geht um einen Systemwechsel. Denn aus bittstellenden Interessierten sollen informierte BürgerInnen werden, die sich mit ein paar Klicks Einblick in Verwaltungshandeln verschaffen können. Bis hin zur Frage, ob eine windschiefe Hütte an der Grundstücksgrenze aus Nachbars Garten ins eigene Rosenbeet fallen kann? Skurril, aber die Möglichkeiten be- und ausleuchtend ist auch ein Beispiel aus dem Karlsruher Zoo. Ein Bürger interessierte sich für das Zuchtbuch der Orang-Utans. Solche Anfragen sind zu beantworten, das Motiv des Fragenden ist völlig unerheblich. Kommunen, Kreise und das Land sind auskunftspflichtig in vielfältiger Art und Weise.

Bisher auf Antrag. Aber die grün-schwarze Landesregierung steht im Wort, aus der Hol- eine Bringschuld zu machen und das bisherige Informationsfreiheits- zu einem Transparenzgesetz fortzuentwickeln auf Basis bisheriger Erfahrungen. "Die Auswirkungen dieses Gesetzes werden nach einem Erfahrungszeitraum von fünf Jahren durch die Landesregierung geprüft, unter Mitwirkung der kommunalen Spitzenverbände, der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz, der oder des Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit und gegebenenfalls weiterer Sachverständiger", steht unmissverständlich in dem Beschluss vom 17. Dezember 2020 zu lesen. Geschehen ist nichts.

Selbst im Innenministerium reiben sich BeamtInnen einigermaßen verwundert die Augen, denn nicht einmal über den Zeitplan herrscht Einigkeit. "Die Evaluation konnte nach den gesetzlichen Vorgaben erst nach einem Erfahrungszeitraum von fünf Jahren beginnen – und damit frühestens im Jahr 2021", erläutert dagegen Nadia El Almi, die stellvertretende Regierungssprecherin. Jetzt würden "im nächsten Schritt die betroffenen Stellen mittels Fragebogen nach ihren Erfahrungen befragt".

Dieser Fragebogen jedoch hat es in sich. Allen "informationspflichtigen Stellen" ist ein 16-seitiges Papier zugegangen. Ins Auge springt sogleich der Aufwand, mit dem viele Fragen zu beantworten sind. Anfragen müssen knapp 40 unterschiedlichen Bereichen zugeordnet werden, die zuständigen Behörden-MitarbeiterInnen sollen bis zu 30 Mal näher erläutern, warum Anträge auf Information nicht innerhalb der vorgesehenen drei Monate bearbeitet werden konnten. Gut zwei Dutzend Unterkategorien können bemüht werden, um die Ablehnung einer Anfrage zu begründen.

"Zu spät, zu bürokratisch, zu negativ, zu parteiisch", so das harsche Urteil des Landesbeauftragten, der verlangt, wissenschaftliche Expertise beizuziehen. Das Innenministerium versteht unter den zuzuziehenden weiteren Sachverständigen dagegen den LfDI selber, die ohnehin skeptischen Kommunalos und den Normenkontrollrat. Dieses Vorgehen entspreche dem anderer Bundesländer, auch dort seien die Evaluierungen durch das zuständige Ministerium durchgeführt und nicht extern vergeben worden, so El Almi.

Transparenz verändert Verwaltungshandeln

Herzstück der Weiterentwicklung muss nach Brinks Auffassung die Einrichtung eines Transparenzportals sein, auf dem Städte, Gemeinden, Kreise und das Land selber "proaktiv", wie er sagt, Zahlen, Daten, Fakten, Erkenntnisse, Details zu Vorgängen, Behördenwissen von fast jedweder Art also, einstellen müssen. Ausgenommen wären bestimmte Polizeiermittlungen oder Verfassungsschutzdetails. Nicht ausgenommen wären hingegen Entscheidungsgrundlagen, Gutachten oder Kostenberechnungen. Vermutlich wären nicht nur alle Tiefbahnhofpläne, wenn schon nicht im Ansatz, dann doch auf der Wegstrecke rasch gescheitert, sondern auch die LBBW-Wohnungen nie ver- und EnBW-Aktien nie zurückgekauft worden.

"Transparenz verändert Verwaltungshandeln", sagt Brink. Gleichzeitig würden politische Entscheidungen nachvollziehbarer. Und der Gesetzgeber dürfe sich von einem transparenteren Staat die Förderung der demokratischen Meinungs- und Willensbildung in der Gesellschaft, aber auch eine Verbesserung der Kontrolle staatlichen Handelns durch die Bürgerschaft versprechen.

Ungefähr so weit war schon einer der größten Stuttgarter vor mehr als 200 Jahren. Damals befasste sich Georg Wilhelm Friedrich Hegel mit "Publicität" und damit, wie "wenigstens die Darlegung aller Gründe der Regierungsmaßregeln vor die Einsicht des Volkes" gebracht werden könnte. 1807/1808 arbeitete Hegel in Bamberg als Chefredakteur, untersuchte die Chancen einer freiheitlichen Verfassung nach französischem oder ungarischem Vorbild, kam jedoch in Konflikt mit der Zensur und beendete den Ausflug in den Journalismus, von ihm "Zeitungsgaleere" genannt. Was blieb, war die Erkenntnis des Philosophen, dass die Missachtung dieses Prinzips der Publicität "zu Dumpfheit, Mißmut, Gleichgültigkeit gegen alles Oeffentliche, Kriecherei und Niederträchtigkeit führt".

Nach Hegel und erst recht auf Basis des versprochenen Transparenzgesetzes des Landes hätte im Fall von Stuttgart 21 also schon Mitte der 1990er-Jahre breit Auskunft darüber gegeben werden müssen, warum die ursprünglichen vier Varianten, darunter die Züricher mit dem viergleisigen Tief- samt Kopfbahnhof, nicht konkurrenzfähig waren oder weshalb der Antrag der Grünen-Landtagsfraktion auf Gegenüberstellung der Alternativen nicht ernsthaft weiterverfolgt wurde. Viele Berechnungen, Gutachten und Entscheidungsgrundlagen hätten frühzeitig auf den Tisch gemusst, später, wenn es überhaupt so weit gekommen wäre, alle Grundlagen für die finanzielle Beteiligung von Stadt und Land. Kein Wunder, dass sich vor allem die CDU bis heute nicht für kostenlose Informationen an jedermann und jedefrau und damit für – dank Durchblick – entscheidend gestärkte BürgerInnenrechte erwärmen kann.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!