KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Abtreibungsrecht

Zweiheit in Einheit

Abtreibungsrecht: Zweiheit in Einheit
|

Datum:

Der Paragraf 219a, der ÄrztInnen Informationen zum Schwangerschaftsabbruch bei Strafe untersagt, wird abgeschafft. Der Paragraf 218 bleibt weiter bestehen – auch weil sich in der Union sofort Widerstand formieren würde. Trotz Jahrzehnten quälender Debatten.

"Nach 22 Tagen beginnt das Herz des Kindes zu schlagen, mit acht Wochen hat es ein Gesicht und nimmt Töne und Berührungen wahr, mit neun Wochen kann es bereits Fäuste machen und nach zehn Wochen schon am Daumen lutschen", sagt Isabell Huber. Fast hätte die Generalsekretärin der baden-württembergischen CDU die Landtagsdebatte zu den Plänen der Ampelkoalition zurück in die 1970-er katapultiert. Die Beschreibung, die Wortwahl, die Argumentation erinnern an Zeiten, da ihre Parteifreunde das ungeborene Leben meinten schützen zu müssen vor Schwangeren, denen der Gang zum Abtreibungsarzt vermeintlich nicht schwerer fiel als der zum Zahnarzt. Immerhin erkannte Huber an, dass "sich keine Frau, die ungewollt schwanger ist, die Entscheidung leicht macht, ob sie dieses Kind zur Welt bringen soll". Und: "Das Lebensrecht des Kindes kann nur mit und durch die Mutter erfüllt werden, nicht gegen sie."

Die richtigen Schlüsse daraus kann oder will die 34-Jährige nicht ziehen. Im Gegenteil: Sie stellt "explizit (…) auch als Frau" in Abrede, dass der Paragraf 219a, der in der vorliegenden Fassung ÄrztInnen medizinische Informationen zum Schwangerschaftsabbruch bei Strafe untersagt, "eine strukturelle Benachteiligung von schwangeren Frauen darstellt". Und sie wird schnell spitz. Die Tübinger Sozialdemokratin Dorothea Kliche-Behnke beklagt, dass nach der aktuellen Aufstellung der Bundesärztekammer in Baden-Württemberg nur noch ganze 13 Arztpraxen Schwangerschaftsabbrüche durchführen und schon allein deshalb Informationsmöglichkeiten für Betroffene fehlen. "Da hilft googeln", lautet Hubers schnippische Empfehlung.

Im Koalitionsvertrag der Landesregierung, der eine ganze Reihe bemerkenswerter Zugeständnisse der CDU an den grünen Koalitionspartner enthält, trägt sie sogar die Formulierung mit, "dass ungewollt Schwangere schnelle, fachliche Information und Beratung zu operativen und medikamentösen Abbrüchen benötigen". Für ein gemeinsames Ja im Bundesrat zur Streichung des 219a würde das trotzdem wohl nicht reichen. Aber der muss sein Plazet auch gar nicht geben – eine Mehrheit im Bundestag reicht. Die Bundesregierung kann allein agieren.

Sich im Netz informieren? Selbstverständlich!

Der Referentenentwurf aus dem FDP-geführten Bundesjustizministerium sieht vor, dass sich ungewollt Schwangere künftig niedrigschwellig im Netz darüber informieren können, wo es in ihrer Nähe eine Praxis oder eine Klinik gibt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Sie können dann auf der jeweiligen Webseite Details zu den dort angewandten Methoden abrufen, zu Ablauf, Kosten und organisatorischen Fragen.

Diese Informationen, heißt es in einer Stellungnahme von Pro Familia Baden-Württemberg, "sollten eigentlich selbstverständlich sein." Bisher seien sie aber durch den Strafrechtsparagrafen als Werbung eingestuft und bestraft worden. Dessen Abschaffung kann aber nur der Anfang sein. "Die Streichung des Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch ist ein wichtiger Schritt zur Informationsfreiheit der Ratsuchenden", stellt auch Dörte Frank-Boegner fest, die Vorsitzende des Pro-Familia-Bundesverbands. Deshalb unterstützt dieser die im Koalitionsvertrag vorgesehene Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung, um eine Neuregelung des Paragrafen 218 auf den Weg zu bringen.


Ampel will AbtreibungsgegnerInnen Einhalt gebieten

Der Kulturkampf ist programmiert. Wenn die LebensschützerInnen der Möglichkeit beraubt sind, ÄrztInnen, die über den Abbruch informieren, erfolgreich zu verklagen, werden sie erst recht gegen Schwangere mobil machen. Kurz vor Weihnachten hatte der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim die Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zugelassen, das der Stadt Pforzheim recht gab. Die hatte der Initiative "40 Tage für das Leben" untersagt, in Sichtweite der Beratungsstelle von Pro Familia zu demonstrieren. Jetzt kämpfen die AbtreibungsgegnerInnen weiter dafür, Frauen auf dem Weg zur Beratung einem Spießrutenlauf aussetzen zu dürfen.


Auch dem will die Ampel ein Ende setzen: "Sogenannten Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen." Das Netz wird explodieren. Schon jetzt überschlagen sich zahlreiche Organisationen und Vereine. Es wird verleumdet und gehetzt, gelogen und agitiert, weshalb so wichtig wäre, dass die Union sich grundsätzlich davon distanziert. Das allerdings würde bedeuten, dass sie sich zum endgültigen Abschied von überkommenen Positionen durchringen müsste.

Am Abtreibungsrecht wird herumgedoktert

54 Jahre, nachdem im Reichsstag der Weimarer Republik erstmals, aber noch folgenlos über ein Gesetz zur Abschaffung der Paragrafen 218 und 219 diskutiert wurde, beschlossen die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt und eine knappe SPD-FDP-Mehrheit im Bundestag am 26. April 1974 gegen die Stimmen der Union die sogenannte Fristenlösung: Diese erlaubt in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten eine Abtreibung ohne Angabe von Gründen. Sie wurde jedoch schon im Februar 1975 vom Bundesverfassungsgericht, genauer gesagt von sechs Männern des achtköpfigen Ersten Senats, wieder gekippt. Zementiert wurde die Einschätzung des Embryos – siehe oben – als eigenständiges menschliches Wesen, dessen Recht auf Leben über dem der Selbstbestimmung der Mutter stehe. Die "Zeit" kritisierte "die Sittenwächter der Nation" und ihre "apodiktische Parole vom Feldherrnhügel des Naturrechts" damals scharf.


Seither wird am Versuch, den Abbruch zu entkriminalisieren, herumgedoktert. Die geltende Regelung seit 1993 ist de facto eine Fristenlösung in den ersten drei Monaten, aber mit verpflichtender Beratung und ohne die sogenannte soziale Indikation. Als widerspruchsfrei lässt sie sich nicht bezeichnen, denn ihr zufolge ist eine Abtreibung zwar rechtswidrig, zugleich aber straffrei. Alle Bemühungen, Klarheit zu schaffen und den Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen sind gescheitert.

Dabei hätten 1975 Wiltraut Rupp-von Brünneck, damals die einzige Richterin am Bundesverfassungsgericht, und ihr Richterkollege Helmut Simon den Weg gewiesen mit ihrer Formulierung von der "Zweiheit in Einheit". Der Schwangeren werde nicht nur abverlangt, eine Tötungshandlung zu unterlassen, sondern sie solle auch das Heranwachsen der Leibesfrucht in ihrem Körper dulden und später jahrelang mütterliche Verantwortung übernehmen. Dieser ganz besonderen Konstellation werde gerade die Fristenregelung gerecht, die einen abgestuften Schutz des Fötus mit dessen zunehmender Entwicklung zum selbstständigen Leben anerkenne, hieß es im Sondervotum der beiden.


18 Jahre später wollten die Verfassungsrichter Bertold Sommer und Ernst Gottfried Mahrenholz erfolglos der Erkenntnis zum Durchbruch zu verhelfen, dass es stets Frauen sind, die die Konsequenzen zu tragen haben, wenn Sexualität und Kinderwunsch wie so oft nicht übereinstimmen. Die Mehrheit verkenne hier die Rechtsposition der Schwangeren, hieß es 1993 ebenfalls erfolglos in einem weiteren Sondervotum. Die Kollision der Würde des Embryos mit der Würde der Schwangeren in der "Zweiheit in Einheit" müsse verhältnismäßig aufgelöst werden. Deshalb habe in der Frühphase der Schwangerschaft die Frau "das Letztentscheidungsrecht, wenn sie zuvor eine Beratung aufgesucht hat".

Es fehlen ÄrztInnen, die Abbrüche vornehmen

Beratungsstellen sind vorhanden, und die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP will die Online-Beratung ermöglichen. Was aber zunehmend fehlt, sind – erst recht nach den einschlägigen Gerichtsurteilen – MedizinerInnen, die den Eingriff vornehmen. "Die politisierten Ärzte und Ärztinnen gehen in Rente", sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier. 2018 hat sie gegen einen neuerlichen, aber verwässerten Kompromiss der damaligen Großen Koalition im Bund gestimmt, mehr Informationen zuzulassen und vor allem im Studium dem Thema Schwangerschaftsabbruch den ihm gebührenden Platz einzuräumen. "Wir stellen Versorgungssicherheit her", schrieben nun die drei Regierungsparteien in den Ampel-Koalitionsvertrag.


Das jedoch wird dauern. Die baden-württembergische Landesregierung steht in der Verantwortung, "ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen, damit ein gesicherter, zeit- und wohnortnaher Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch möglich ist", verspricht die grüne Landtagsabgeordnete Stefanie Seemann, die an das legendäre "Stern"-Cover von 1971 ("Wir haben abgetrieben") erinnert. Für ihre Partei ist die Streichung des Paragrafen 219a ebenfalls nur der erste Schritt. Die Grünen haben sich der Abschaffung des 218 sogar im neuen Grundsatzprogramm ("Veränderung schafft Halt") verpflichtet, in dem für "selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche", plädiert wird, "die nichts im Strafgesetzbuch verloren haben und deren Kosten grundsätzlich übernommen werden müssen."

Die Südwest-CDU will dagegen von Weiterentwicklung oder gar von Streichung nichts wissen. "Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 entschieden, dass das Grundgesetz den Staat verpflichtet, menschliches Leben – auch das ungeborene – zu schützen", hat Generalsekretärin Isabell Huber im Landtag gar keine Probleme damit, ein bald 30 Jahre altes Urteil zum Maßstab des Vorgehens zu machen. Sie ist in großer Gesellschaft und keineswegs die Einzige, die es sich zu leicht macht mit dieser Aussage und ihrer einseitigen Anwendung auf schwierige rechtliche und moralische Probleme. Vor allem, weil diese Auffassung ganz und gar nicht zum Tragen kommt, wenn es um das geborene Leben geht, in den Schlauchbooten im Mittelmeer oder das der Ortskräfte in Afghanistan.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!