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Die Ampelmänner

Bankenkanzler & Co. KG

Die Ampelmänner: Bankenkanzler & Co. KG
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Nach spektakulären Raubzügen in der Welt des Geldes und Totalversagen der deutschen Bankenaufsicht wird der Finanzminister zum Regierungschef. Seine rechte Hand, früher in Spitzenposition bei Goldman Sachs, betont die konsensuale Gesetzgebung mit der Lobby.

Eigentlich hatte er schon genug Geld für die Familie und ein schönes Haus, verrät der Aktienhändler. Doch 2011 hatte Sanjay Shah das Gefühl: "Let's roll the dice one more time." (Lasst uns noch einmal die Würfel rollen) Heute residiert er in einer noch schickeren Villa auf einer der Palmeninseln in Dubai, nichts für kleine Geldbeutel. Hunderte Millionen Euro, womöglich mehr als eine Milliarde, soll der Unternehmer aus Steuergeldern erbeutet haben – wie viel genau, "ist schwierig zu sagen, weil ich den Überblick verloren habe."

Shah gilt als einer, der es besonders doll getrieben hat mit Cum-Ex-Geschäften, dem größten Raubzug auf Staatskosten in der Geschichte. Doch er hält sein Handeln nicht für illegal, erzählt er dem ARD-Format "Panorama". Redselig plaudert der Branchenkenner, der das Video zum Gespräch auch auf seinem Youtube-Kanal hochgeladen hat, wie der Trick funktionierte. Wie alle "großen Player" – Deutsche Bank, Barclays, Goldman Sachs etc. – Bescheid wussten und mitmachten. Und wie er sich "ziemlich sicher" ist, "dass das Ganze noch weiter läuft". Eine Schande sei das, sagt Shah. "Aber gebt doch nicht mir die Schuld." Denn "wenn da ein großes Schild steht und sagt: 'Bitte bedienen Sie sich!' – dann werden ich und andere zuschlagen." Vieles davon sei durch simple Gesetzesänderungen leicht zu beheben, gibt der Insider preis. Den fuchsteufelswilden Leuten, die sich für fremden Reichtum krumm und bucklig arbeiten, rät er also: "Warum fragt ihr nicht eure Regierung, warum sie die Schlupflöcher nicht geschlossen hat?"

Klage soll Transparenz schaffen

Die Bürgerbewegung Finanzwende attestiert Olaf Scholz eine "sonderbare Gedächtnislücke beim größten Steuerraub der deutschen Geschichte". Vorstand Gehard Schick, bis 2018 finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, nannte es "ein starkes Stück", dass Scholz mit einem Tatverdächtigen des größten Finanzskandals der deutschen Geschichte "mehrfach einfach so geplaudert hat". Also hat die Finanzwende beim Finanzministerium eine Liste von Scholz' Lobbytreffen angefragt. Immerhin sei Cum-Ex nicht der einzige Skandal, der in seine politische Vita fiel, "es sei nur an Wirecard erinnert". Doch das Ministerium verweigerte die Auskunft. Nachdem ein offener Brief an Scholz mit der Bitte, Transparenz zu schaffen, unbeantwortet blieb, hat die Finanzwende Anfang November angekündigt, die Informationen einklagen zu wollen.  (min)

Einer, der Antworten geben könnte, gibt sie höchstens scheibchenweise. Als Rot-Grün-Gelb am 24. November den neuen Koalitionsvertrag für die Bundesrepublik präsentierte, wollte ein Journalist von Olaf Scholz wissen, warum die in Cum-Ex verstrickte Warburg-Bank in seiner Zeit als Erster Bürgermeister von Hamburg einen Steuernachlass von 47 Millionen Euro geschenkt bekam, wo doch "deutsche Richter die beteiligten Personen als organisierte Kriminelle gebrandmarkt haben". Der alte Finanzminister und neue Bundeskanzler zog es vor, nicht auf die Frage einzugehen. Das passt zur Scholzschen Auskunftsstrategie bei den Befragungen im Finanzausschuss des Bundestags: Erst hat der Sozialdemokrat Treffen mit hohen Tieren der Bank verschwiegen, als diese durch Tagebucheinträge von Warburg-Mitinhaber Christian Olearius publik werden, hat er "keine konkrete Erinnerung an den Inhalt der Gespräche" – betont aber, dass er "nicht mit dem Steuerverfahren" befasst gewesen sei.

Das Gegenteil ist nicht bewiesen. Allerdings zitieren NDR und "Zeit" aus Olearius' Tagebuch, in dem von einem Treffen mit Scholz am 26. Oktober 2016 die Rede ist. Bei der Gelegenheit habe der Bankier ein siebenseitiges Papier übergeben, in dem dargelegt ist, weswegen der Warburg die Cum-Ex-Gelder zustünden und dass deren Rückforderung "zu einer Existenzgefährdung" des Unternehmens führen würde (eine nachweisliche Falschbehauptung). Scholz "fragt, hört zu, äußert keine Meinung. Lässt nicht durchblicken, was er denkt und ob und wie er zu handeln gedenkt", heißt im Tagebuch. Ein weiterer Eintrag verrät, dass Scholz sich am 9. November 2016 telefonisch gemeldet und mitgeteilt habe: "Schicken Sie das Schreiben ohne weitere Bemerkung an den Finanzsenator." Den weiteren Werdegang schildert die "tagesschau" so: "Eine Woche später, am 17. November 2016, berieten Vertreter der Hamburger Finanzbehörde und Beamte des Finanzamts gemeinsam über den Cum-Ex-Fall Warburg. Sie entschieden, dass die Stadt darauf verzichtet, die 47 Millionen Euro aus Warburgs Cum-Ex-Geschäften im Jahr 2009 von der Bank zurückzufordern."

Seid nett zueinander: Eine Hand wäscht die andere

Ein Jahr darf sich die SPD über Spenden der Warburg-Bank freuen, und eine zentrale Rolle dabei spielt Johannes Kahrs, bei dem wenige Tage nach der Bundestagswahl eine Razzia durchgeführt worden ist. Bis Kahrs 2020 von allen politischen Ämtern zurücktrat, war er haushaltspolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Bundestag und hielt sich selbst für einen "hervorragenden Kreisvorsitzenden" in Hamburg – während ihm KritikerInnen ein "sektenartiges" System persönlicher Abhängigkeiten unterstellten. Hervorragend war er unbestritten beim Eintreiben von Geldern, und so berichtet der "Kölner Stadt-Anzeiger", dass seitens der Warburg-Bank die Zusage für eine finanzielle Zuwendung an Kahrs' Kreisverband erfolgt sei, nachdem klar war, dass die hanseatische Finanzbehörde das Cum-Ex-Geld im Jahr 2016 nicht zurückfordern wird. Im Gegenzug solle sich Kahrs zudem bei der Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) und beim Bundesfinanzministerium für die Belange der Bank einsetzen.

"Gesinnungsstrafrecht"

"Die Geschäfte erfüllen ohne jeden Zweifel den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung", polterte der Jurist und FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki im Juni 2013. Seine Rechtsauffassung änderte sich schlagartig, als er wenige Monate später die Verteidigung von Rechtsanwalt Hanno Berger übernahm, der als einer der führenden Köpfe und Initiatoren von Cum-Ex gilt. In der Folge sprach Kubicki von "Gesinnungsstrafrecht", denn der "eigentliche Skandal" sei, dass der Fiskus sein "eigenes Versagen" , nämlich das Zulassen einer Gesetzeslücke, auslagern wolle. Das Mandat hatte Kubicki noch inne, als er am 24. Oktober 2017 zum Vizepräsidenten des Bundestags gewählt wurde – erst 2020 hat er die Verteidigung laut Recherchen des "Handelsblatt" ohne Angabe von Gründen abgegeben. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Präsident des Kölner Finanzgerichts die Cum-Ex-Geschäfte bereits als "kriminelle Glanzleistung" bezeichnet.  (min)

Bei einem Treffen zwischen Kahrs und Olearius gab es allerdings noch einen Dritten im Bunde, dessen politischer Einfluss seitdem nicht nur ungebrochen, sondern beträchtlich erweitert ist: Jörg Kukies, von dem das "Handelsblatt" aktuell schreibt: "Er kennt wie kein zweiter Sozialdemokrat die Finanzwelt – und ihre Abgründe." 17 Jahre lang war Kukies bei Goldman Sachs, zuletzt als Co-Chef der deutschen Niederlassung, mit den Tricks der Branche dürfte er bestens vertraut sein. Nun wurde er zum Leiter der Abteilung Finanz- und Wirtschaftspolitik im Kanzleramt, nachdem er Olaf Scholz schon seit 2018 als rechte Hand behilflich ist. Dabei sollte er als Staatssekretär im Finanzministerium an der Regulierung des Finanzmarktes arbeiten. Als er wenige Monate vor seinem Amtsantritt von der "Wirtschaftswoche" auf den hohen Anteil von ehemaligen Goldman-Sachs-Leuten in der Regierung von Donald Trump angesprochen wurde und es um eine mutmaßlich bankenfreundliche Politik ging, gab Kukies zu Protokoll: "Die Annahme ignoriert die Tatsache, dass schon große Teile der bisherigen Regulierung nicht gegen die Banken, sondern im Konsens mit ihnen entstanden sind."

Das gilt freilich nicht nur für die USA. In einem Cum-Ex-Verfahren vor dem Landgericht Bonn berichtete ein Zeuge im Oktober 2019, dass in der Bundesrepublik ein Gesetzesvorschlag der Bankenlobby übernommen wurde, "eins zu eins, ohne dass ein Komma geändert wurde". Das Portal "Abgeordnetenwatch" hat die relevanten Dokumente analysiert – "und tatsächlich: Entscheidende Passagen aus Lobbyschreiben des Bundesverbandes deutscher Banken wurden in den folgenschweren Gesetzentwurf übernommen". So habe der Verband 2003 einen selbst verfassten "ersten Entwurf eines steuergesetzlichen Formulierungsvorschlags" versendet. Und der wurde 2007 fast wortgleich zu geltendem Recht. Die Auswirkungen waren fatal, wie der Zeuge in Bonn schildert. "Es war gedacht zur Eindämmung von 'Cum-Ex'. Aber es war ein Brandbeschleuniger." Und das, obwohl Landesbehörden gewarnt hatten, dass "keine rechtlichen Gründe für die vorgeschlagenen Änderungen ersichtlich" seien, wie das Finanzministerium von Nordrhein-Westfalen 2005 betonte: "Mit den komplizierten Regelungen soll offenbar lediglich die bisherige Bankenpraxis (...) legalisiert werden."

Auf ein Neues: Der Steuerraub geht weiter

Gesetzesänderungen von 2012 und 2016 sollten Cum-Ex- und die wesensverwandten Cum-Cum-Geschäfte unmöglich machen. Doch ein investigatives Recherchenetzwerk unter Leitung von "Correctiv" ist auf Alarmsignale gestoßen, die nahelegen, dass die milliardenschweren Steuergeschäfte zulasten des Allgemeinwohls weitergehen international, aber auch in Deutschland. "Wir haben einen Anfangsverdacht, dass es neue Modelle gibt", berichtet die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. Mit über 100 Mitarbeitenden treibt sie die Aufklärung des Steuerraubs voran und verweist auf weiterhin auffällig hohe Ausschläge bei Aktien-Transaktionen rund um den Dividendenstichtag – "ganz ähnlich wie zu den Hochzeiten von Cum-Ex", bilanziert "Correctiv". Im Oktober 2020 forderte zudem der Bundesrechnungshof dazu auf, ein "Schlupfloch für Steuerbetrug zu schließen", und legte auf 23 Seiten dar, welche Praktiken in Deutschland weiterhin möglich seien. Und auch der Mannheimer Wirtschaftsprofessor und Cum-Ex-Experte Christoph Spengel ist im Gespräch mit "Correctiv" überzeugt, dass steuergetriebene Geschäfte in Deutschland weiterhin möglich sind: "Das glaube ich nicht, das ist so." Die BaFin aber glaubt es nicht.

Entgegen der in Teilen der Bankenbranche verbreiteten Rechtsauffassung, dass der Steuerraub durch das Ausnutzen vermeintlicher Schlupflöcher völlig legal sei, haben mehrere Gerichte das Vorgehen inzwischen als rechtswidrig verurteilt. Im Cum-Ex-Verfahren vor dem Landgericht Bonn sind die Angeklagten im März 2020 schuldig gesprochen worden. Es ist das erste Grundsatz-Urteil gegen die Cum-Ex-Praxis, wobei der früheste Fall einer Anwendung schon für 1990 dokumentiert ist. Dass die Politik diese Geschäfte lange Zeit nicht unterbunden habe, ändere laut Richter Roland Zickler "nichts daran, dass man Sachen, die man nicht machen darf, nicht macht". Und er fragte: "Wollen wir in einer Welt leben, in der jeder jeden bescheißt?"

Ausgabe 529, 19.05.2021

Die Bundesanstalt für Finanzbetrug

Der deutschen Banken- und Finanzaufsicht glückt ein kaum für möglich gehaltenes Kunststück. Sie hat noch mehr Skandale zu verantworten als der Verfassungsschutz. Statt kriminelle Machenschaften aufzudecken, steht sie bei Raubzügen Schmiere.

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Im Juli 2021 sprach auch der Bundesgerichtshof in höchster Instanz von einem kriminellen "Griff in die Steuerkasse" – was als Triumph der Justiz gefeiert wurde. Fraglich bleibt allerdings, wie viele der beteiligten Täter tatsächlich zur Rechenschaft gezogen und wie viele überhaupt identifiziert werden können. Gegen den Unternehmer Sanjay Shah laufen mittlerweile mehrere Ermittlungsverfahren, es liegen internationale Haftbefehle vor. Sein Vermögen von etwa 500 Millionen Euro ist eingefroren – er darf daraus nur noch seinen Lebensunterhalt und seine Anwaltskosten begleichen (wofür er nach eigenen Angaben schon mehr als 50 Millionen Euro ausgegeben hat). Es gilt allerdings als unwahrscheinlich, dass ihn die Behörden in Dubai, wo er sich frei bewegen darf, ausliefern und so hat er wohl wenig zu befürchten, solange er das Land nicht verlässt. Wenn er könnte, sagt Shah gegenüber "Panorama", würde er sofort wieder ins Geschäft einsteigen. "Und genau das ist auch mein Plan." Leider ziehe Geld kluge Leute an und Regierungen "können es sich nicht leisten, die Raketenwissenschaftler anzuheuern, die Investmentbanken engagieren. Wir sind in einem Katz- und Maus-Spiel. Und die Banken sind immer einen Schritt voraus".

Erschwerend kommt hinzu, dass die organisierte Finanzkriminalität in der Bundesrepublik traditionell eher halbherzig bekämpft wird. "Es gibt wohl – leider – kaum eine Finanzaufsicht in den Industrieländern weltweit, unter deren Augen in den letzten 15 Jahren derart viele Finanzskandale stattgefunden haben und bei denen die Finanzaufsicht insgesamt ein so schlechtes, ja teilweise dysfunktionales Bild abgegeben hat, wie die deutsche BaFin." So stand es im September 2021 ausgerechnet in einem internen Gutachten der Deutschen Bank, die ihrerseits in rekordverdächtig viele der genannten Skandale verstrickt war. Das Lieber-nicht-so-genau-Hinschauen und Bloß-nicht-zu-hart-Durchgreifen hat eine traurige Kontinuität. "Ein deutscher Finanzminister ist ein deutscher Finanzminister, da spielt die Parteizugehörigkeit keine Rolle", sagte der inzwischen amtierende Bundeskanzler 2018 im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Damals bekundete Olaf Scholz, dass er die Politik seines konservativen Vorgängers Wolfgang Schäuble ohne nennenswerten Bruch fortsetzen wolle. Vielleicht nimmt das manchen ja wenigstens die Angst, dass es unter Christian Lindner noch arg viel schlimmer kommen kann.


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1 Kommentar verfügbar

  • Manfred Fröhlich
    am 16.12.2021
    Antworten
    Danke. Meine Ängste zu den "Cum-EX-Geschäften" sind weg. Die Ampel hat den Königsweg gefunden. Alles wird für alle gut. Frohe Weihnachten
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