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Auswirkungen auf Baden-Württemberg

Ampel mischt die Karten neu

Auswirkungen auf Baden-Württemberg: Ampel mischt die Karten neu
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Die CDU ist neuerdings ziemlich allein zuhaus in Baden-Württemberg. SPD wie FDP hoffen auf einen Bedeutungsschub, weil sie in Berlin mitregieren. Die dortige Ampelkoalition wird Licht und Schatten bis an den Neckar werfen.

Der war gut: Beim Bundesparteitag der SPD am vergangenen Wochenende reagiert Andreas Stoch mit einem frommen Wunsch, weil es eben Zeit werde, „dass auch in Baden-Württemberg endlich wieder die Sozialdemokratie regiert“. Erstens wird sich der Landes- und Fraktionschef der Südwest-SPD noch mindestens viereinhalb Jahre gedulden und zweitens hätten seine Roten eben mehr auf die Waagschale bringen müssen bei der Landtagswahl am 14. März als den Allzeit-Tiefststand von elf Prozent. Zugleich belegt die Äußerung des 52-Jährigen, der sich schon als Spitzenkandidaten für 2026 ausgerufen hat, die neue Gemengelage in The Länd nach dem Machtwechsel im Bund.

Einerseits müssen die Landesverbände sowohl von SPD und FDP als auch der CDU verkraften, dass sie dort bei der Verteilung von Spitzenämtern äußerst bescheiden abgeschnitten haben. Fast nichts ist mehr übriggeblieben von dem Gewicht, das Leute wie Gerstenmaier, Kiesinger, Schäuble, Eppler oder Ehmke einst besaßen. Für PolitikerInnen aus dem Südwesten ist im Kabinett Scholz allenfalls Platz in Reihe zwei, in Gestalt einiger nahezu unbekannter StaatssekretärInnen.

Gerade in der Union stehen Baden-Württemberg und der immer gern etwas großmäulige Nachbar im Osten für die Tragweite der Veränderungen. „Koane Bayern" in der ganzen Bundesregierung, freut sich Markus Feldenkirchen im „Spiegel". Und schreibt den wackeren Freistaatlern ins Stammbuch, dass deren Interessen jahrzehntelang wegen der besonderen Bedeutung der CSU im bundesdeutschen Machtgeflecht mit allzu großer Selbstverständlichkeit allzu sehr bedient wurden. Jüngeres Beispiel: "Dass von Straßenbauförderungen gerade die Wahlkreise der drei CSU-Minister Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer besonders profitierten."

Die Zukunft der Südschiene ist ungewiss

Möglicherweise ist es damit nun vorbei. Fraglich ist obendrein, was aus einer speziellen Konstruktion wird: der sogenannten Südschiene, gebaut aus den (erfolg-)reichen Ländern Bayern und Baden-Württemberg, als es noch ein Naturgesetz zu sein schien, dass in Stuttgart ein CDUler als Regierungschef amtiert. Als der Grüne Winfried Kretschmann an die Macht kam, anno 2011, brach er sie nicht etwa ab - dabei hätte es so manchen Grund dafür gegeben. So hatten einflussreiche Kreise aus Politik und Wirtschaft in Bayern seinen Wahlsieg damals mit allerlei hämischen Äußerungen über Baden-Württembergs nunmehr unvermeidlich gewordenen Niedergang quittiert.

Stattdessen umwarb der Grüne mit Erfolg den zunächst spröden Ministerpräsidentenkollegen Horst Seehofer von der CSU. Und ersuchte 2016, als das Wahldebakel der Südwest-SPD die Fortsetzung von Grün-Rot verhinderte, um Aufnahme in die Riege der Ministerpräsidenten der Union im Bundesrat. Das erwies sich als durchaus vorteilhaft fürs Land, solange die CDU die Kanzlerin stellte. Nach Angela Merkels Abgang und der Wahlpleite ihrer Partei allerdings droht diesem sogenannten B-Lager in der Länderkammer der galoppierende Machtverlust. Denn es ist durchaus möglich, dass gleich drei CDU-regierte Länder - Saarland, Schleswig-Holstein und vor allem Nordrhein-Westfalen - 2022 wieder rot werden. Intern, so wird aus dem Staatsministerium in Stuttgart erzählt, hadert der grüne Regierungschef erheblich mit der Krise seiner schwarzen Weggefährten. Anmerken lassen darf er sich das natürlich nicht. Und so preist er nach außen die "große Chance" durch das Dreierbündnis auf Bundesebene mit den Grünen als zweitstärkstem Partner: "Wir bekommen Gestaltungsmöglichkeiten im Bund, wie wir sie noch nie hatten."

Das stimmt zwar, macht der Grünen Leben aber nicht einfacher. Bisher gehörte Jammern zum Geschäft, wenn es darum ging, warum die Landesregierung hinter den eigenen ambitionierten Zielen gerade im Klimaschutz zurückbleibt. Tatsächlich liegen viele Kompetenzen beim Bund. Der will jetzt "ein Regelwerk schaffen, das den Weg frei macht für Innovationen und Maßnahmen, um Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen". Und weiter schreiben die Ampelpartner: "Wir bringen neues Tempo in die Energiewende, indem wir Hürden für den Ausbau der Erneuerbaren Energien aus dem Weg räumen."

Klimabewegung schaut den Grünen auf die Finger

Die türmen sich zu einem Bürokratieberg, der Kretschmann manchmal die Gelassenheit raubt. Wenn aber die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP in ihren ersten hundert Tagen tatsächlich ein Windkraftanlagenbeschleunigungsgesetz auf den Weg bringen, werden nicht nur die oppositionellen SozialdemokratInnen und Liberalen im Südwesten ganz genau darauf schauen, was die Landesumweltministerin Thekla Walker (Grüne) aus dem neuen Gestaltungsspielraum macht. Erst recht gilt das für die außerparlamentarische Klimabewegung. Schon jetzt wird unter Grünen gemunkelt, dass es so manchen der schwarzen Mitregierenden schon mächtig in den Fingern juckt, gemeinsame Erfolge zu verwässern bei Themen, die traditionell nicht der CDU gutgeschrieben werden.

Und dann ist da noch eine Art ungedeckter Scheck. Denn ob Baden-Württembergs Unions-Innenminister Thomas Strobl es schafft, die Zustimmung der CDU-Verantwortlichen in Städten und Gemeinden zu weitreichenden Entscheidungen im Kampf gegen die Erderwärmung zu erlangen, steht dahin. Eben jene Anbindung an die Kommunen war für Kretschmann ein zentrales Argument gewesen, die bisherige grün-schwarze Allianz fortzusetzen. Strobls Stellung vor Ort erwuchs bisher aber auch aus seiner Position als Vize der Bundes-CDU. Dieses Amt gibt er jetzt zugunsten des Konstanzers Andreas Jung auf, was die Abstimmung in vielerlei Hinsicht erschweren wird. Denn dem fehlt als Bundestagsabgeordneten die direkte Anbindung an die Landespolitik - noch ein wichtiger Draht, der jetzt gekappt ist.

Wie gründlich die Karten neu gemischt werden, zeigt der Umgang mit dem lieben Geld. Der erste Nachtragshaushalt von FPD-Bundesfinanzminister Christian Lindner ist eine Katapultkollision mit der Realität. Denn seine Idee, 60 Milliarden Euro aus dem Coronahilfe- in den Klimarettungstopf zu verschieben, ist umstritten. Vergleichbare Operationen der Landesregierung haben seine liberalen Parteifreunde im Südwesten auf die Palme gebracht. Der FDP-Fraktionschef im Landtag Hans-Ulrich Rülke hat jedoch beschlossen, allein im Vorgehen der Landesregierung bei der Schuldenaufnahme einen Verstoß gegen die Verfassung zu erblicken. Auf Bundesebene würden diese Mittel ausschließlich für Investitionen verwendet werden und keineswegs für die Entlastung anderer Haushaltspositionen, so geht die Rechtfertigung der Finanzexperten der Berliner Ampel. 

Flüchtlingspolitik: Die Landes-Grünen müssen liefern

Einfacher zu durchschauen sind die Auswirkungen der sich abzeichnenden neuen Flüchtlingspolitik auf Bundesebene für den Südwesten. Gerade die Grünen werden liefern müssen. Auf ihrem Landesparteitag in Heidenheim setzte die neue Vorsitzende Lena Schwelling das Thema auf die aktuelle politische Tagesordnung: In ihrer Bewerbungsrede kritisierte sie unverblümt Strobl und CDU-Fraktionschef Manuel Hagel namentlich für ihre hartherzige Haltung im Umgang mit den Flüchtlingen an der polnischen EU-Außengrenze. Die neue CDU-Generalsekretärin Isabell Huber keilte sogleich zurück: Man habe sich gemeinsam auf eine humanitäre Flüchtlingspolitik verständigt, bei der die Bekämpfung von Fluchtursachen ganz vorne stehe. Nicht erinnerlich war ihr wohl dieser Satz aus dem grün-schwarzen Koalitionsvertrag: "Im Einvernehmen mit dem Bund wollen wir ein Landesaufnahmeprogramm umsetzen und dazu beitragen, dass auch Kommunen mehr Möglichkeiten erhalten, um Menschen in Notsituationen aufzunehmen."

Allein aus Afghanistan will die Bundesregierung 25.000 Menschen ins Land lassen. Noch vor Weihnachten muss die CDU Farbe bekennen, schon allein weil zehn Tage vorher eine Aktuelle Debatte im Landtag ansteht. Außerdem sind andere flüchtlingspolitische Fragen, etwa zur Familienzusammenführung oder zum Bleiberecht, seit Monaten unter dicke Stapel anderer Aufgaben im jetzt zuständigen, CDU-geführten Justizministerium gerutscht. Hinter den Kulissen wird um Lösungen mit den Grünen gerungen. Wer – durchaus auch in der schwarzen Anhängerschaft – auf ein offensives Signal der Ressortchefin Marion Gentges hofft, wird bisher enttäuscht. Ihr Haus interpretiert in den Satz zur Flüchtlingspolitik im Koalitionsvertrag ein "lediglich" am Anfang hinein, das da garnicht steht, das aber als Stoppschild aufgestellt wird nach dem Motto: Ohne Bund dürfen wir als Land gar nicht aktiv werden.

Natürlich hätten die Grünen die SPD in dieser Frage an ihrer Seite. Schon allein deshalb, weil im Bund mit Nancy Faeser eine Sozialdemokratin Innenministerin ist. "Dass ausgerechnet der Innenminister einer grün-geführten Landesregierung mit 'Ihr Kinderlein kommet' ein christliches Weihnachtslied bemüht, um seine Ablehnung gegenüber Flüchtlingen zu verdeutlichen, zeigt, wie weit die CDU von Menschlichkeit entfernt ist", sagt Generalsekretär Sascha Binder mit Blick auf die Äußerungen Thomas Strobls, die für so viel Aufregung gesorgt haben, und mahnt die Umsetzung des Koalitionsvertrags an. Denn viele Kommunen in Baden-Württemberg hätten sich bereit erklärt, Geflüchtete aufzunehmen, "die Hilfsbereitschaft ist also da." Die Roten im Landtag werden keine Gelegenheit auslassen, darauf hinzuweisen, dass, hätte Kretschmann sich für eine Ampel auch in Baden-Württemberg entschieden, viel leichter mehr Humanität Einzug halten würde. Und überhaupt: Wie das Land vielfach profitiert hätte. Bis 2026 gilt: hätte, hätte, Fahrradkette.

Ein Glück für die hiesige Sozialdemokratie, dass es Saskia Esken gibt. Und Katja Mast. Denn neben der ihr im Bund einzig verbliebenen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter muss die Südwest-SPD ihre Brücken nach Berlin vor allem über die Bundesvorsitzende Esken bauen und über die neue parlamentarische Geschäftsführerin Mast. Beide waren lange nicht wirklich beliebt in ihrem Landesverband, aber auch diese Zeiten sind vorbei. Die Landes-FDP wiederum stellt mit Michael Theurer nicht nur einen der vier Staatssekretäre – es sind tatsächlich nur Männer! –, sondern auch einen der Lindner-Vizes. Und wenigstens die Südwest-Grünen können an ihre alte Stärke im Bundesvorsitz anschließen. Nicht weniger als 18 Jahre stellten sie mit Fritz Kuhn, Reinhard Bütikofer und danach Cem Özdemir den Parteichef. Jetzt soll eine Chefin folgen: Ricarda Lang. Das allerdings löst im Stuttgarter Regierungssitz, der Villa Reitzenstein, mitnichten vornehmlich Stolz und Freude aus. Denn die 27-Jährige aus dem Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd gehört zum linken Flügel der Grünen. 


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