Tilman Kuban will es auf einmal nicht mehr gewesen sein. Der Bundesvorsitzende der Jungen Union beteuert, er habe doch gar keinen deutschen Kurz gefordert, sondern bloß darauf hinweisen wollen, dass und wie der seine ÖVP auf Platz eins bei den Jungwählern in Österreich gebracht hat. Auch Manuel Hagel, der neue CDU-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, sonnte sich 2020 beim Neujahrsempfang der CDU Teck in der Begrüßung als "unser Sebastian Kurz von Baden-Württemberg".
Aber nicht nur junge weiße Männer lassen sich beeindrucken von dem 35-Jährigen. Seine extrem hohen Beliebtheitswerte hat Kurz auch seiner Sechziger-Jahre-Schwiegersohn-Performance zu verdanken. Verständliche Sprache, (scheinbar) gute Manieren, dieses bei jeder Gelegenheit anzuknipsende Lächeln und vor allem der unaufhaltsame Aufstieg machten und machen mächtig Eindruck: mit 24 Jahren Integrationsstaatssekretär, mit 27 Außenministerium, mit 32 Bundeskanzler.
Die langen Schatten blendeten Bewunderer hierzulande über Jahre konsequent aus. Dabei sind seine durchaus rüden Methoden in mehreren Büchern ausführlich beschrieben. Darunter in dem von Reinhold Mitterlehner mit dem beziehungsreichen Titel "Haltung". Der Oberösterreicher war ÖVP-Vorsitzender, Vizekanzler und Kurz' erstes Opfer in den Reihen eigener Parteifreunde. In seinem Buch beschreibt er, wie rabiat der damalige Außenminister Kurz unentwegt die Koalition mit der SPÖ torpediert, und wie strategisch er mit seinem Netzwerk die Umfärbung der Volkspartei von schwarz auf türkis durchzieht, samt anschließendem Machtwechsel hin zu einer Koalition aus ÖVP und rechtspopulistischer FPÖ. "Ich sollte für ihn die Zusammenarbeit aufkündigen und den Schwarzen Peter übernehmen, damit er unbefleckt in Neuwahlen gehen konnte", schreibt Mitterlehner über das "Projekt Machtübernahme".
Gefakte Umfragen und ein "Oarsch"
Aus den seit vergangener Woche bekannten staatsanwaltschaftlichen Unterlagen geht hervor, wie perfide Kurz agierte: Gefakte Umfragen, höchstwahrscheinlich bezahlt mit Staatsgeld, stellten die Lage der ÖVP schlechter dar, als sie war, um die damalige Parteispitze um Mitterlehner in ein mieses Licht zu rücken und zum Abdanken zu nötigen. Im Spätherbst 2016 liegt die Partei bei vielen Demoskopen deutlich über 20 Prozent, im Dezember aber erstmals bei einem einzigen Institut darunter. Kurz chattet mit seinem langjährigen Vertrauten Thomas Schmid, der mitteilt: "ÖVP 18". Antwort: "Danke Dir! Gute Umfrage, gute Umfrage." Als Mitterlehners Buch erscheint, mokieren sich Kurz und Schmid über den "Oarsch" und den "alten Depp".
Schmid ist Dreh- und Angelpunkt der Ermittlungen, die inzwischen ein erschütterndes Sittengemälde zeichnen. Der langjährige Weggefährte meinte 2019, erfolgreich alles Verräterische bei Whatsapp gelöscht zu haben und schickt seine Nachricht, was sonst, an seine Assistentin. Er irrte. 300.000 Chats sind wiederhergestellt, außerdem berichtete die Wochenzeitung "Falter", dass bei einer früheren Hausdurchsuchung eine Festplatte mit Sicherungskopie sichergestellt wurde.
Seither werden immer neue Ungeheuerlichkeiten von Kurz und aus seinem engsten Umfeld bekannt. Längst geht es nicht mehr nur um mögliche Falschaussagen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, sondern auch um Bestechung und Bestechlichkeit und um mehr als eine Million Euro an Steuergelder, die in bezahlte Jubel-Berichterstattung geflossen sind. Eine erste Schlüsselfigur ist festgenommen.
Jung-CDUler distanzieren sich – spät
Kein Wunder, dass im großen Nachbarland JU-Chef Kuban, CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn oder Hamburgs aufstrebender CDU-Chef Christoph Ploß jetzt von ihrem "Vorbild" (Manuel Hagel) abrücken. Der späte Zeitpunkt sagt jedoch viel aus über die Bewunderer. Denn die sahen keinen Grund zur Distanz, als Kurz im Herbst 2017 die rechtsnationale FPÖ in seine erste Regierung holte, obwohl es Alternativen gegeben hätte. Hagel damals: "Sebastian Kurz hat mit seinem jungen, frischen Politikstil geschafft, die Herzen der Menschen zu erreichen." Oder 2019, nachdem der Ibiza-Skandal nicht nur Österreich erschütterte und Kurz die nächste Wahl ebenfalls herausragend gewann. Ploß dazu: "Das zeigt in vielerlei Hinsicht ein Erfolgsmodell, das wir auf Deutschland übertragen können: Wenn eine bürgerliche Partei mit einem sympathischen Spitzenkandidaten klare, liberal-konservative Positionen bezieht, honorieren das die Wähler."
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