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Kommunistischer Wahlsieg

Graz erhört die Signale

Kommunistischer Wahlsieg: Graz erhört die Signale
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"Dass Wohnen keine Ware ist, die der Markt automatisch regelt", war für die Kommunistin Elke Kahr stets zentral bei ihrer politischen Arbeit. Jetzt hat die bald 60-Jährige beste Chancen, Stadtoberhaupt in Graz zu werden. Bürgerliche reiben sich die Augen. Und Linke könnten viel von diesem Erfolg lernen.

"Und wie heißen die jetzt, für die sie kandidiert hat?", will ein SPD-Abgeordneter dieser Tage im Stuttgarter Landtag wissen. "Kommunistische Partei Österreichs," schallt es ihm entgegen. Dem Genossen steht die Verwunderung ins Gesicht geschrieben: "Und mit sowas kann man Wahlen gewinnen?" Man vielleicht nicht, aber Elke Kahr schon, als Gemeinderätin lange Jahre zuständig für den Wohnungsbau in der Grazer Stadtregierung. Wortspiele wie "Graznost" oder "Stalingraz" machen seit dem Erfolg am letzten Septembersonntag über die Grenzen Österreichs hinaus die Runde in der internationalen Presse bis hin zur "Washington Post".

Karoline Edtstadler, eine der engsten Vertrauten von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit dem hochtrabenden Titel Verfassungsministerin, schlägt von der unrühmlichen Wahlniederlage ihrer eigenen Partei unverfroren einen Bogen hin zu "Kommunismus und Faschismus". Diese Ideologien hätten "Millionen von Menschen das Leben gekostet", sagt sie und dass sie geglaubt hatte, sie seien "ins Geschichtsbuch verbannt". Die knapp 29 Prozent für die KPÖ nennt Edtstadler erst noch maßvoll "durchaus befremdlich" – und fügt dann schon derber hinzu: "Da kriege ich als Verfassungsministerin alle Zustände." Jedenfalls müsse sich Elke Kahr von Regimen wie Kuba, China oder Nordkorea distanzieren.

Zu den Markenzeichen der Wahlsiegerin gehört, dass sie sich durch solche Angriffe nicht auf die Palme bringen lässt. Seit 1979, "seit ich in der KPÖ Graz dabei bin, haben wir uns von den Verbrechen Stalins distanziert", kontert die Wahlsiegerin, "und jeder, der guten Willens ist, kann das nachlesen." Sie arbeite seit vielen Jahren konkret für die Menschen vor Ort: "Vor uns fürchtet sich keiner." Außer der ÖVP eben, die vieles versucht, um den "Kummerln", wie die KommunistInnen im Nachkriegsösterreich hießen, das Wasser abzugraben. Als die Herausforderin, die in einer Arbeiterfamilie ausgewachsen ist, den seit 18 Jahren regierenden ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl Anfang September in einer Umfrage bei den Sympathiewerten überholte, wurde von den Konservativen die Strategie "Jagd auf Roter Oktober" ausgepackt. Nur hatte die schon vor zwei Jahrzehnten eher den kommunalpolitischen Aufstieg der KPÖ mit befördert. Und diesmal stürzten die Schwarzen um beinahe zwölf Punkte ab.

Graz macht – heute – vieles richtig

Nicht nur TouristInnen zeigt Graz ein besonders liebenswürdiges Gesicht. Die Altstadt ist UNESCO-Kulturerbe. Vorbei am Zentrum, über das vom Schlossberg der Uhrturm wacht, fließt die Mur. Der Steiermärkische Landtag, in dem zwei Kommunisten sitzen, debattiert im barocken Sitzungssaal eines Renaissancebaus mit dem vermutlich sehenswertesten Arkaden-Innenhof nördlich der Alpen. Das Pro-Kopf-Einkommen ist stattlich. Es gibt sechs Hochschulen. Seit 1992 gilt Tempo 30 überall, außer auf wenigen Vorrangstraßen. 40 Prozent der Fläche sind begrünt.

Zur Geschichte im 20. Jahrhundert gehört allerdings, wie in der heute 300.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt schon am Tag eins nach Adolf Hitlers Einmarsch in Österreich – wiewohl die NSDAP bis dahin verboten war und das Zeigen von Symbolen verfolgt wurde – Hakenkreuz-Fahnen in Sonderzahl gehisst wurden. "Eine beträchtliche Zahl von Polizisten, Gendarmen und Militärs gehörte nationalsozialistischen Gliederungen an", schreibt das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, "gerade Akademiker und Studenten waren – gemessen an ihrem gesellschaftlichen Anteil an der Bevölkerung – in der NSDAP überrepräsentiert."

Nach 1945 stellte die lange Zeit Moskau-treue KPÖ bis 1959 Mandatare im österreichischen Nationalrat, in Wien sogar den Stadtrat für Kultur und Volksbildung. Anders als in anderen österreichischen Bundesländern saß sie bis in die Siebziger im steierischen Landtag – und seit 2005 wieder. Der Neustart in Graz begann schon 1983 bei weniger als zwei Prozent und, weil es keine Prozenthürde gibt, aus dem Gemeinderat heraus. Europäische Vorbilder waren rar, die kommunalpolitischen Erfolge der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) vielerorts Geschichte, selbst die Stadt Bologna wurde ihrem Ruf als "la rossa" nicht mehr wirklich gerecht. Wie später Kahr griff KPÖ-Politiker Ernest Kaltenegger ab 1998 nach der Zuständigkeit für den Wohnungsbau in Graz und verfolgte hartnäckig die Linie, immer neuen Liberalisierungswellen zu widerstehen. Auch mit Hilfe von Volksbefragungen, die schon dadurch Druck erzeugten, dass sie gestartet wurden. Nur 15.000 Unterschriften genügten, um eine sogenannte Mietzuzahlung durch die Stadt zu etablieren.

Die Geschichte des Erfolgs ist jedenfalls eine längere und eng verknüpft mit dem heute in so vielen Städten dominanten Thema. Eine erste Großtat von internationaler Beachtung war das Projekt "Nasszellen" 2003, als Graz europäische Kulturhauptstadt wurde. Eine solche dürfe sich Substandardwohnungen nicht leisten, so Kalteneggers Credo. Also floß auf sein Betreiben viel Geld nicht nur in Kultur und in ein futuristisches Kunsthaus, sondern auch in Wohnungssanierungen. Inzwischen baut die Stadt wieder selbst. Noch zu wenig, stellt Kahr fest und verspricht, das zu ändern.

Das Gehalt wird geteilt

Nachdem die KPÖ nun bei den Grazer Gemeinderatswahlen vom 26. September zur stärksten Fraktion wurde, stehen ihr jetzt sogar drei Ämter in der siebenköpfigen Stadtregierung zu. Längst etabliert ist ein 1998 ins Leben gerufener Sozialfonds, in den PolitikerInnen mit dem tiefroten Parteibuch einen wesentlichen Teil ihres Gehalts stecken und damit eine frei zugängliche Sozialberatung für Menschen in Not finanzieren, Direktzahlungen inklusive. "Damit ergibt sich die einfache Rechnung, dass mehr Leuten direkt geholfen wird, je mehr kommunistische Stadträte Graz hat, echte soziale Politik ist spürbar in der Gesellschaft und dadurch auch bei Wahlen", schreibt das Nachrichtenmagazin "profil".

Und die rechtspopulistische FPÖ – sonst in Österreich gern Gewinnerin, wenn die Schwarzen einbrechen – kommt auf für die Alpenrepublik magere zehn Prozent. "Die KPÖ Graz offenbart, dass das langfristige Verknüpfen von Kapitalismuskritik mit Themen, die allgemeine Interessen konkret berücksichtigen, zu Wahlerfolgen und zum Erreichen inhaltlicher Ziele führen kann", heißt es in einer der vielen Analysen, im konkreten Fall vom ORF. Das Beispiel belege, wie der Niedergang des politischen Zentrums nicht automatisch die rechten Ränder begünstigen müsse.

Die zu schwächen ist der ÖVP nicht erst seit dem Amtsantritt von Kanzler Sebastian Kurz weit weniger wichtig, als Linken auf möglichst vielen Ebenen das Leben schwer zu machen. Elke Kahr etwa musste in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode das Wohnbauressort entgegen der Gepflogenheiten, aber auf Druck der Schwarzen an die FPÖ abgeben – und wurde für den Verkehr zuständig. Der Plan des Manövers, die populäre Kommunistin zu schwächen, ging nicht jedoch auf. Kahr plädiert erfolgreich für mehr Radverkehr, für mehr nachhaltige und sanfte Mobilität. An ihrer Seite stehen etliche Bürgerinitiativen. Die ÖVP habe gedacht, das Wohnbauressort sei das Geheimnis ihres Erfolgs, schreibt das "profil". Und weiter: "Was für ein Irrtum."

Tatsächlich sind die Trümpfe Beharrlichkeit, die konsequente, konkrete und lebenslange Politik für die Einkommensärmeren, das offensive Bekenntnis zur Umverteilung und, nicht zu unterschätzen, der Lebensstil der AkteurInnnen. Gerade als Bürgermeisterin, nach deutschem Sprachgebrauch Oberbürgermeisterin, will die frühere Bankangestellte ebenfalls höchstens ein Drittel ihrer Bezüge behalten. Der große Rest fließt in den Fonds. Die politischen KonkurrentInnen deuten dergleichen zum "Stimmenkauf" um.

China und Weißrussland sind keine Vorbilder

Behalten wird die Grazer KPÖ auch ihren Namen. "Alles andere wäre Etikettenschwindel", wundert sich die Mutter eines erwachsenen Sohns über entsprechende Ansinnen. In der Stadt werde sie nur selten auf die UdSSR, Kuba oder China angesprochen. "Wir haben eine klare Abgrenzung zu den negativen Seiten der kommunistischen Bewegung vorgenommen", sagt Kaltenegger, "und beweisen seit Jahrzehnten, dass wir eine demokratische und sozial orientierte Kraft sind, die sich auf die arbeitende Bevölkerung stützt."

Aktuell ist dennoch Weißrussland Thema: Wenige Tage nach der Gemeinderatswahl tauchte ein Video im Netz auf, in dem einer ihrer Parteifreunde das Unterdrückungsregime von Alexander Lukaschenko verteidigte. Sofort distanzierte sich Elke Kahr von dem Landtagsabgeordneten und er sich inzwischen auch von sich selbst. Dennoch wird die 1918 gegründete KPÖ nachlegen müssen. Denn, wer die Rathauschefin in der zweitgrößten Stadt Österreichs stellt, rückt zwangsläufig ins überregionale Scheinwerferlicht. "Dass es in Österreich viele verdienstvolle Kommunisten gegeben hat, die sich etwa im Widerstand gegen den Nationalsozialismus auszeichneten", stehe für ihn außer Zweifel, sagt der Wiener Zeitgeschichtler Wolfgang Mueller. Die Vergangenheitsbewältigung sei dennoch "in großen Bereichen noch defizitär".

Dass Kahr, nach den in der Steiermark geltenden Regeln, vom Gemeinderat gewählte Bürgermeisterin wird, ist ziemlich sicher. In den Statuten der Stadt ist klar geregelt, dass im fünften Wahlgang eine relative Mehrheit reicht. Ohnehin kann sie sich vorstellen, ohne Arbeitsabkommen mit SPÖ und Grünen zu arbeiten und sich stattdessen, je nach Sachfrage, immer neue Verbündete zu suchen – womit sie das PR-Motto des Bundeskanzlers kopiert, der versprochen hat, in seiner Bundesregierung mit den Grünen "das Beste aus beiden Welten" zusammenzuführen. Die Kommunistin könnte das Beste aus allen Welten zusammenführen - und das aus dem Blickwinkel Ärmerer und Ärmster in der Gesellschaft, "die auf unsere Solidarität vertrauen können".


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