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Corona-Lohnfortzahlung

Überzeugen ist besser als Druck

Corona-Lohnfortzahlung: Überzeugen ist besser als Druck
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Geimpft, nicht geimpft, gut, böse, 2G, 3G – die Debatte über den weiteren Umgang mit Pandemiemaßnahmen verschärft sich. Baden-Württemberg hat als eines der ersten Länder beschlossen, dass Nichtgeimpfte im Falle einer Quarantäne keine Lohnfortzahlung erhalten sollen. Arbeitgeberverbände finden das okay, die Gewerkschaften nicht, wie Verdi-Landeschef Martin Gross erläutert.

Herr Gross, seit einer Woche gilt in Baden-Württemberg, dass Nichtgeimpfte keine Lohnfortzahlung bekommen, wenn sie in Quarantäne müssen. Finden Sie das gerecht?

Ich finde das schwierig. Wenn Druck gemacht wird auf die wirtschaftliche Existenz – das ist eine indirekte Impfpflicht, also durch die Hintertür.

Wäre also eine klare Impfpflicht besser?

Wenn die Politik das will, dann soll sie es so entscheiden. Aber nicht den letztlich ungelösten Konflikt in die Betriebe verlagern. Meiner Ansicht nach ergäbe aber eine Impfpflicht nur für bestimmte Berufsgruppen, die nah an Menschen sind, Sinn. Und das gibt es ja auch schon, zum Beispiel die Masernimpfung fürs Gesundheitspersonal. Ich bin bei Corona klipp und klar fürs Impfen. Aber bei den jetzigen Verordnungen, bei denen die Leute vor allem über Druck zum Impfen gebracht werden sollen, habe ich die große Befürchtung, dass Menschen, die vielleicht nur Angst vor einer Impfung haben oder die durch die Verordnungspolitik der vergangenen 18 Monate finden, es sei zu wenig diskutiert und zu viel verordnet worden, noch weiter in Richtung Demokratieverächter gedrängt werden. Und ich will nicht, dass sich noch mehr Leute in die Arme der "Querdenker" begeben.

Wie könnten bislang  nicht Geimpfte denn zum Impfen gebracht werden?

Die Impfung muss zu den Menschen kommen. Die mobilen Impfteams sollen zwar weiter laufen, aber Impfbusse sollen ja demnächst eingestellt werden – das ist doch absurd. Ich habe in den vergangenen Wochen mehrfach erlebt, wie Impfbusse wirklich viele Leute erreicht haben. Die müssen weiterfahren! Wir wissen, dass die Menschen über Gesundheit und Gesundheitsbewusstsein unterschiedlich denken. Es gibt Gruppen, die zu wenig darüber wissen. Und das heißt doch: Bestimmte Gruppen müssen gezielt aufgesucht und angesprochen werden. Neulich war ich in Berlin mit dem Taxi unterwegs, und der türkischstämmige Taxifahrer hatte eine Riesenangst vor Corona und eine Riesenangst vor der Corona-Impfung. Wir sind also mit vier geöffneten Fenstern durch Berlin gefahren, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Aber zur Impfung hat er sich bisher nicht getraut. Mit diesem jungen Mann kann man mit Sicherheit reden. Auch mit Imamen oder anderen Community-Leadern muss mehr gesprochen werden. Ich denke, das passiert bei uns noch zu wenig.

Zurück zu dieser Quarantäne-Regelung ohne Lohnfortzahlung – welche Beschäftigtengruppen würde das treffen?

Vor allem diejenigen, die mit Menschen arbeiten: BusfahrerInnen, LagerarbeiterInnen, VerkäuferInnen, aber auch Leute in der Produktion. Also eher Menschen, die nicht so doll verdienen. Professoren oder Entwickler können ja Homeoffice machen und da geht's mit dem Gehalt normal weiter.

Sind bei Verdi denn schon Anfragen von Mitgliedern aufgeschlagen, die keine Lohnfortzahlung bekommen haben?

Nein, dafür ist die Verordnung zu frisch. Aber es gibt viele Anfragen für den Fall Was-wäre-wenn.

Sollten Betroffene klagen wollen, bekämen die von Verdi Rechtsschutz?

Natürlich. Die Juristinnen und Juristen sind sich ja auch nicht einig, ob diese Verordnung rechtlich hält. Da geht es dann um Verhältnismäßigkeit – das wird noch spannend.

Beobachten Sie abseits dieser Quarantäne-Debatte Konflikte in Betrieben zwischen Geimpften und Nichtgeimpften?

Ich würde sagen, die Stimmung ist nervös. Aber die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung ist schon da, denke ich. Wir als Verdi bekommen ja auch viele Mails von Mitgliedern. Die Hälfte schreibt: Wenn ihr nicht für eine Impfpflicht seid, trete ich aus. Die andere: Wenn Ihr für eine Impfpflicht seid, trete ich aus. Aber kaum jemand schreibt mal, einerseits sehe ich das so, andererseits so und so. Dieses Extreme auf beiden Seiten, dieses Entweder-Oder, das halte ich für gefährlich.

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Rainer Dulger hat sich für Prämien fürs Impfen ausgesprochen – staatlich finanziert. Was halten Sie davon?

Das können die Arbeitgeber gerne machen, also selber zahlen. Aber mit Steuergeldern? Ich meine: Man bekommt kostenlos eine Impfung gegen eine durchaus gefährliche Krankheit – das ist auf der Welt nicht selbstverständlich.

An diesem Mittwoch treffen sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern, um eine bundesweit einheitliche Regelung zu Lohnfortzahlung bei Quarantäne zu finden. Was raten Sie denen?

Nicht von oben herab Verordnungen erlassen, sondern auf die Menschen zugehen und versuchen, sie zu überzeugen. Da ist noch viel Luft nach oben.


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2 Kommentare verfügbar

  • Christian Seefeld
    am 24.09.2021
    Antworten
    Ruby Tuesday: Es geht nicht um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, also z.B. bei Erkrankung an COVID 19. Die erfolgt natürlich wie immer weiterhin über den Arbeitgeber und nach 6 Wochen über die GKV.

    Es geht um Personen, die als Kontaktpersonen ohne Erkankung vom Gesundheitsamt - völlig…
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