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Bundestagswahl Steuerpolitik

Kassieren oder blamieren

Bundestagswahl Steuerpolitik: Kassieren oder blamieren
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Wenn es Steuerpläne in den öffentlichen Diskurs schaffen, von denen ausnahmsweise nicht die Minderheit der Reichen profitieren würde, reagiert der politisch-mediale Komplex mit Beißreflexen. Dabei drohen gerade die windigen Reformvorhaben von CDU und FDP ein riesiges Loch in die Staatskasse zu reißen.

Der deutsche Südwesten ist nicht gerade als Region bekannt, in der Reiche und Vermögende gnadenlos schikaniert würden. Das quirlige Baden-Baden, das schöne Heidelberg und das nicht ganz so schöne Stuttgart gehören zu den bundesweit beliebtesten Wohngegenden für Einfach- und Multimillionäre. Wo Steuerpläne drohen, diesen fleißig zusammengesparten oder auch mühsam geerbten Reichtum zu schmälern, können sie auf den Beistand eines grünen Ministerpräsidenten vertrauen. "Winfried Kretschmann ist die Hoffnung der Firmenerben", titelte die Springer-Zeitung "Welt" im September 2016, als der Rächer der um ein Haar Enterbten behilflich war, im Bundesrat einen Kompromiss zu finden, mit dem sich auch der Nachwuchs umsatzstarker Familienunternehmen arrangieren konnte. Soll heißen: Eine Erbschaftssteuer mit spürbaren Auswirkungen wurde erfolgreich verhindert.

Dass die Medien aus dem Hause Springer allerdings nicht nur Gutsle an die Braven verteilen, sondern auch zur Peitsche greifen, wo Unbotmäßigkeiten zu ahnden sind, hat hingegen erst kürzlich Kretschmanns Parteifreund Danyal Bayaz erfahren. Er war dreist genug, in Baden-Württemberg eine digitale Meldeplattform für Hinweise auf Steuerhinterziehung einzurichten. Was die "Bild"-Zeitung dem auf seinem Posten noch unerfahrenen Finanzminister so natürlich nicht durchgehen lassen konnte. Den Online-Pranger geißelt sie als "Steuer-Stasi" und querbeet von CDU, FDP bis zur SPD finden sich Stimmen, die bei diesem Schmierentheater mitspielen und Begriffe wie "Denunziantentum" oder "Blockwart-Mentalität" in alle Welt heraustrompeten.

Sogar mutmaßlich um Seriosität bemühte Organe wie die "FAZ" überschreiben ihre Artikel über die Option, auf einer Online-Plattform Betrug zu melden, mit "Anschwärzen beim Finanzamt" oder, im Fall der "Stuttgarter Nachrichten", mit "Digitales Petzen leicht gemacht". Sie suggerieren also, bei der Straftat, die das Allgemeinwohl in der Republik Jahr für Jahr um mehrstellige Milliardenbeträge erleichtert, handle es sich um eine Art Lausbubenstreich, bei dem man schon mal beide Augen zudrücken könne. Wer der eigentliche Übeltäter ist, muss allen klar sein, es lässt sich auf jedem Schulhof verifizieren – niemand mag Petzen.

Vielleicht ist die große Abneigung gegenüber Nachforschungen, wer seine Abgaben ordentlich zahlt, auch durch kulturelle Prägung bedingt. Immerhin wurden in der Bundesrepublik schon Steuerfahnder wegen einer "paranoid-querulatorischen Entwicklung" zwangspsychiatrisiert, weil sie sich, angeblich unheilbar, ein Wahnkonstrukt krimineller und betrügerischer Bankerbanden, die gezielt den Staat ausplündern, zusammengezimmert hätten – was sich spätestens durch die Cum-Ex- und Wirecard-Enthüllungen als allzu real erweisen sollte.

Die Reichen gibt es gar nicht wirklich

Aber selbst wenn ein aufgeflogener Skandal wie der um die Panama Papers enthüllt, dass die Steuervermeidung eher eine Sache der gut Betuchten als eine der Armen und Mittellosen ist, kann die wohlhabende Klientel auf Milde, Verständnis, ja sogar unverhohlene Anerkennung im konservativen Spektrum der Publizistik hoffen. "Die Superreichen sind nicht nur viel vermögender als der überwältigende Rest", schreibt eine Autorin in der "FAZ"– und lobt: "Sie sind auch deutlich besser darin, ihr Geld von den gierigen Händen der Steuerbehörden fernzuhalten." Insgesamt "entgingen dem Staat nur rund 3 Prozent der geschuldeten Steuer", so die Zeitung. "Ganz anders sah es jedoch in der Gruppe der Superreichen aus: Die wohlhabendsten 0,01 Prozent in der Bevölkerung, also jene mit einem Nettovermögen von mehr als 40 Millionen Euro, schafften satte 30 Prozent ihrer Steuern an den Behörden vorbei."

Bemerkenswert ist das auch, weil die deutschen Steuergesetze, selbst wenn alle bezahlen würden, ohnehin schon extrem reichenfreundlich sind. Der Spitzensteuersatz, den die ja ach so radikale Linkspartei in ihrem Programm zur Bundestagswahl fordert, entspricht dem Spitzensteuersatz, der in der Bundesrepublik erhoben wurde, als Helmut Kohl (CDU) Kanzler geworden ist. Seitdem hat es nicht eine Reform gegeben, die zu Ungunsten der Oberschicht gewesen wäre. Eine Zwischenbilanz hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW im September 2016 gezogen. Mit dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Steuerbelastung in der Bevölkerung seit 1998 um 0,1 Prozent zugenommen hat. Die obersten zehn Prozent der Einkommensskala wurden hingegen um 2,3 Prozent entlastet, und das eine Prozent an der Spitze sogar um 4,8 Prozent. Alle müssen mehr zahlen, damit sich die Reichen mehr leisten können.

Die staatliche Treue geht so weit, dass in einer Republik, in der die durchschnittliche Akte eines Hartz-IV-Beziehers 650 Seiten umfasst, keine verlässlichen Informationen über die Reichtumsverteilung existieren, weil sie teils gar nicht erhoben werden. So listet die Bundeszentrale für politische Bildung bei ihren Daten zur Einkommensverteilung, Stand Dezember 2020, als höchste Klasse solche Haushalte auf, die über ein monatliches Nettoeinkommen von 5.000 bis unter 18.000 Euro verfügen. Was aber ist mit denjenigen, die mehr verdienen? Sie tauchen in der Statistik nicht auf, da diese auf Basis freiwilliger Angaben entsteht. Allerdings nehmen "Milliardäre und Millionäre ungern an repräsentativen Umfragen teil", wie die "Süddeutsche Zeitung" dazu schreibt – ohne allerdings den logischen Schluss auszuformulieren, dass die Umfragen dann eben nicht mehr repräsentativ sind.

45 haben so viel wie 40.000.000

Aussagen über den Reichtum der Reichsten stehen also immer unter Vorbehalt. Wobei ihr Vermögen tendenziell viel größer zu sein scheint als allgemein angenommen wird und die Ungleichheit längst bis ins Groteske aufgebläht ist. So geht das DIW auf der Grundlage von Schätzungen davon aus, dass die 45 reichsten Individuen in der Bundesrepublik so viel Vermögen besitzen wie die 40 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die zur ärmeren Hälfte der Bevölkerung gehören.

Diese Ungleichheit fällt nicht vom Himmel, wie der Werdegang der Vermögenssteuer, deren Wiedereinführung Linke, Grüne und SPD im aktuellen Wahlkampf fordern, exemplarisch verdeutlicht. 1995 wurde sie vom Bundesverfassungsgericht in der bestehenden Form für grundgesetzwidrig erklärt, weil Immobilienbesitz in der damaligen Regelung zu stark bevorzugt sei. Statt den naheliegenden Schritt zu gehen und Immobilien genau so stark zu besteuern wie anderes Vermögen, entschied sich die Politik, lieber ganz auf die Einnahmequelle zu verzichten – obwohl Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde schon in seinem Votum vor mehr als 25 Jahren explizit betonte, es bestehe "die Gefahr, daß sich die Ungleichheit ungezügelt potenzieren kann und sich darüber die freiheitliche Rechtsordnung selbst aufhebt".

Doch die besagte Ungleichheit wird immer maßloser. Wenn nun einmal zaghafte Vorschläge in den Diskurs eingebracht werden, eine neue Vermögenssteuer zu erheben, hilft eine informelle Faustregel, die Debatte vorwegzunehmen: Wo immer der Reichtum der Reichsten geschmälert werden könnte, lässt sich ein Institut auftreiben – vielleicht auch nur ein Präsident, Direktor oder Head of Research, der mit einem guten Namen hausieren geht –, um vor den angeblich dramatischen Konsequenzen für die Volkswirtschaft zu warnen, nachdem ein beliebiger Lobbyverband den entsprechenden Auftrag erteilt hat.

Was ein ifo-Präsident für wahr hält, muss falsch sein

Tarnkappen e.V. 

Hinter dem Label "Familienunternehmen" verbergen sich nicht nur Traditionsbäckereien in vierter Generation. Sondern auch schillernde Namen wie Karl Friedrich Fürst von Hohenzollern oder der von Milliardärin Nicola Leibinger-Kammüller, die dem Maschinenbauer Trumpf mit seinen 14.300 MitarbeiterInnen vorsitzt. Beide sind sie im stark männerdominierten Kuratorium der Stiftung Familienunternehmen, wo überwiegend solche Leute sitzen, für die eine Vermögenssteuer durchaus unschöne Konsequenzen haben würde. Die Familienunternehmen, die sie repräsentieren sollen, heißen zum Beispiel Stihl (18.200 Beschäftigte; 4,6 Mrd. Euro Umsatz), Mann und Hummel (21.149 Beschäftigte; 3,96 Mrd. Euro Umsatz), Merck (58.096 MitarbeiterInnen; 17,5 Mrd. Euro Umsatz) und Henkel (52.950 Beschäftigte; 19,3 Mrd. Euro Umsatz). Die gemeinnützige Stiftung, die vor allem für Kampagnen gegen Erbschafts- und Vermögenssteuer bekannt ist, steht regelmäßig in der Kritik. Im "Spiegel" verglich der Wirtschaftsjournalist Wolfgang Münchau den Einfluss dieser "Familienunternehmer" mit dem von russischen Oligarchen und forderte eine Zerschlagung. (min)

Aktuell hat die Stiftung Familienunternehmen Clemens Fuest, den Präsidenten des sehr arbeitgebernahen ifo-Instituts, engagiert, sich mit den möglichen Folgen einer neuen Vermögenssteuer auseinanderzusetzen. Ergebnis: Es wäre eine große Gefahr. Denn das "Bruttoinlandsprodukt, so zeigt eine Simulationsrechnung, wäre nach acht Jahren mit Vermögensteuer um bis zu 6,2 Prozent niedriger als ohne Vermögensteuer". Potzblitz! Die konjunkturelle Entwicklung über Jahre hinweg bis auf die Nachkommastelle genau vorwegnehmen – um sich das zuzutrauen, braucht es schon eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein. Zumal sich die Prognosen des ifo-Instituts über deutlich kürzere Zeiträume bereits als stark fehleranfällig erwiesen haben.

Jahr für Jahr liegen die Vorhersagen zur BIP-Entwicklung daneben, was das Institut auch regelmäßig selbst feststellt, da es "kritisch die Güte der eigenen Konjunkturprognosen" beleuchtet. So senkten sie im vergangenen Dezember die Vorhersage auf nur noch 4,2 Prozent Wachstum für 2021, nachdem sie dort zuvor von 5,1 Prozent ausgegangen waren. Die Vorjahres-Prognose erlitt ein ähnliches Schicksal: "Die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland im Jahr 2019 verlief zögerlicher, als in der ifo Dezemberprognose 2018 vorausgeschätzt worden war." Im Jahr davor lautete die leichte Variation: "Die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland im Jahr 2018 verlief deutlich ungünstiger, als in der ifo Dezemberprognose 2017 vorausgeschätzt worden war." Bei einer Prognosequalität, deren Verlässlichkeit hinter Tarotkarten und Horoskope zurückfällt, hat es sich als gewinnbringende Strategie erwiesen, grundsätzlich vom Gegenteil der Befunde auszugehen.

Konservative können nicht mit Geld umgehen

Auch in Krisenzeiten auf Vermögensteuern verzichten, dafür aber Steuersenkungen für Milliardäre durchdrücken zu wollen (wie es etwa CDU und FDP vorschwebt), wird oft durch die Annahme begründet, dass von dieser Entlastung letztendlich alle profitieren würden, da das Wachstum durch zusätzliche Investitionen angekurbelt werde und der Wohlstand der Reichsten Schritt für Schritt bis zu den Armen durchsickere. Allerdings bezweifeln namhafte Ökonomen wie die Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Paul Krugman, dass die sogenannte Trickle-down-Theorie auch nur ein Fünkchen Wahrheit enthält, wobei letzterer bereits 2008 konstatierte: "Wir warten auf diesen Trickle-down-Effekt nun seit 30 Jahren – vergeblich."

Die gesammelte Empirie spricht eher für das naheliegende Gegenteil. So stellte der (nicht gerade linke) Internationale Währungsfonds 2015 fest, dass die ökonomische Ungleichheit in den wohlhabenden Industrienationen so groß ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Was das wirtschaftliche Wachstum keineswegs befördert, sondern gebremst habe. In unmissverständlicher Deutlichkeit schreiben die ForscherInnen: "Die Armen und die Mittelschicht sind am wichtigsten für das Wachstum; sie sind sein Motor." Es wäre schön, wenn sich dieser Befund herumspräche.

Bis dahin ist vielleicht noch Zeit, mit einem anderen Irrtum aufzuräumen. Nämlich dem, dass Linken schnell das Geld anderer ausgehe, wie die neoliberale Ikone Margareth Thatcher einmal befunden hat. Auch diese Aussage gehört auf den Prüfstand, zumindest legt das eine Untersuchung des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung nahe. Dort haben Forscherinnen und Forscher im Auftrag der "Süddeutschen Zeitung" durchgerechnet, welche finanziellen Auswirkungen die Reformvorschläge der Bundestagsparteien hätten, wenn sie denn verwirklicht würden. FDP, CDU und AfD würden demnach mit ihren Vorhaben ein Loch von 32,6 bis 87,6 Milliarden Euro in die Staatskasse reißen. Am solidesten hat laut ZEW ausgerechnet die Linkspartei kalkuliert: So bliebe dem Bundeshaushalt nach Verwirklichung ihrer Vorhaben ein Überschuss von 36,8 Milliarden Euro.


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7 Kommentare verfügbar

  • D. Hartmann
    am 19.01.2022
    Antworten
    Ja, die Republik entwickelt sich seit bald 40 Jahrzehnten in Richtung eines Vermögens- oder Neofeudalismus'.

    Nur ist mir nicht ganz klar, warum dieser Prozess auch in Deutschland so reibungslos voranschreitet, und niemand von (politischer) Relevanz seit den 80er Jahren des 20. Jhdt. je etwas…
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