KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Friedensdelegation behindert

Eines Rechtsstaats unwürdig

Friedensdelegation behindert: Eines Rechtsstaats unwürdig
|

Datum:

Sie wollten als Friedensdelegation in kurdische Gebiete und wurden behandelt wie Kriminelle. Manche wurden an der Ausreise gehindert, andere wie der Journalist Alfred Denzinger am Flughafen von Erbil festgehalten und dann abgeschoben. Zurück in Deutschland geht es weiter mit Repressionen.

Ziel der Offensive sei es, "das Mörderpack auszurotten", sagte Recep Tayyip Erdoğan, nachdem das türkische Militär am 24. April begann, die irakischen Kandil-Berge mit Drohnen und Hubschraubern zu bombardieren sowie mit schwerer Artillerie zu beschießen. Dort, in diesem schwer zugänglichen Terrain, soll sich das Hauptquartier der PKK befinden, die von der Türkei und ihren geopolitischen Verbündeten als Terrororganisation eingestuft wird. Auch in der Bundesrepublik ist die kurdische Arbeiterpartei verboten. Allerdings werfen kritische Stimmen dem türkischen Staatsoberhaupt vor, den Kampf gegen den Terrorismus nur als Vorwand zu missbrauchen, sei es, um politische Gegner zu schwächen oder um sein Hoheitsgebiet zu erweitern.

Bereits im Frühjahr 2018 hatten sich die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags mit der Fragestellung auseinandergesetzt, ob sich die Türkei bei militärischen Operationen auf fremdem Territorium auf das Recht zur Selbstverteidigung berufen kann. Damals ging es um eine völkerrechtliche Bewertung der bewaffneten Angriffe auf kurdische Gebiete im Norden Syriens. Grundsätzlich könne eine Selbstverteidigung gegen Terrorismus legitim sein, heißt es in der Untersuchung. Im Fall der Türkei stehe die Argumentation allerdings auf "ausgesprochen 'tönernden' Füßen" und es bestünden "konkretere Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des militärischen Vorgehens" – insbesondere da die Operationen "zu einer dauerhaften Veränderung von Strukturen und Einflusszonen auf fremdem Staatsterritorium führen können".

Damals beteuerte Erdoğan, dass seine Armee "kein Blut von Frauen, kein Blut von Unschuldigen an den Händen hat und das wird auch nie passieren". Doch das ist selbstverständliche Propaganda, da noch kein Krieg ohne zivile Opfer geführt wurde – zumal sich, angesichts von gut 300.000 Menschen, die nach den Angriffen ihre Heimat verloren haben, der Verdacht aufdrängt, dass eine ethnische Säuberung der kurdischen Gebiete die eigentliche Absicht der türkischen Operationen ist.

Wenn es in der Geopolitik um humanitäre Werte ginge, die in jeder europäischen Sonntagsrede beschworen werden, um Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, müsste die deutsche Politik dankbar sein für jedes zivilgesellschaftliche Engagement, das sich gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg eines Despoten einsetzt, der massenweise Regimekritiker inhaftieren lässt und seine Republik in einen autoritären Unrechtsstaat transformiert. Doch als sich eine Delegation am 12. Juni in Richtung der betroffenen Gebiete aufmachen wollte, mit dem erklärten Ziel der friedlichen Verständigung, kam es ganz anders.

Nur die halbe Reisegruppe schaffte es bis Erbil

"Der deutsche Staat ist gut darin, so zu tun, als ob er nicht dabei wäre", sagt die Aktivistin Franziska Schulz. Aber im türkisch-kurdischen Konflikt nehme er nicht nur als Waffenlieferant einen aktiven Teil ein. Wie eine Einmischung aussehen kann, hat sie erst kürzlich aus nächster Nähe mitbekommen. Die Studentin aus Tübingen wollte sich zusammen mit 150 Menschen aus 14 Ländern ein eigenes Bild von der Lage im Nordirak verschaffen – und sie schaffte es immerhin bis nach Erbil, die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, was nur der Hälfte der Reisegruppe vergönnt war. Bereits am Düsseldorfer Flughafen intervenierte die deutsche Bundespolizei und hinderte 19 Menschen – darunter Cansu Özdemir, die Fraktionsvorsitzende der Hamburger Linken – an der Ausreise.

Gegenüber dem NDR äußerte ein Polizeisprecher die Befürchtung, dass die festgehaltenen Personen "das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland schädigen" könnten. In der schriftlichen Ausreiseuntersagung, die den Betroffenen später zuging und der Kontext-Redaktion vorliegt, liest sich die Begründung etwas anders: Unter Verweis auf nicht näher konkretisierte "Veröffentlichungen im Internet" hätten die deutschen Sicherheitsbehörden Kenntnis davon erlangt, dass "PKK-nahe kurdische Vereine" im bewaffneten Konflikt mit "den türkischen Sicherheitskräften" eine "Aktion 'menschliches Schutzschild' gestartet haben". Bei der Flughafenkontrolle wurden laut Bundespolizei "verschiedene Kleingruppen festgestellt", die "nach polizeilichen Erfahrungswerten" im Zusammenhang mit diesen Bestrebungen stehen sollen. Und weiter: "Eine Teilnahme deutscher oder europäischer Staatsbürger an dem Konflikt wird die Beziehungen zur Türkei weiter negativ belasten."

Für die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke ist das Vorgehen der Bundespolizei ein Skandal: "Während hunderte Dschihadisten in den vergangenen Jahren ohne Probleme von Deutschland aus in den Nahen Osten reisen konnten, um sich dort Terrorgruppen wie dem Islamischen Staat anzuschließen, werden Friedensaktivisten bei der Aus- und Einreise von der Bundespolizei drangsaliert", zitiert sie das kurdische Informationsportal ANF. Der Vorwurf einer Beteiligung an einem menschlichen Schutzschild erscheint ihr absurd. Jelpke würde sich sehr dafür interessieren, woher die deutschen Behörden ihre vermeintlichen Erkenntnisse gewonnen haben. "Denn der Verdacht, dass hier trübe Quellen aus dem Umfeld des türkischen Geheimdienstes als Rechtfertigung für das willkürliche Vorgehen der Bundespolizei gegen die Friedensdelegation herangezogen wurden, steht im Raum." Doch auf Anfrage erklärt das Bundesinnenministerium lediglich, dass die getroffenen Maßnahmen "unter Einbeziehung aller verfügbaren Informationen" nicht zu beanstanden wären und dass es keine Kommunikation zwischen deutschen, türkischen und irakischen Behörden in diesem Sachzusammenhang gegeben habe.

Nur wenige Sekunden außerhalb des Flughafens

Mit dabei am Düsseldorfer Flughafen waren auch der linke Bundestagskandidat Ecevit Emre, Wahlkreis Rhein-Neckar, und Alfred Denzinger, Chefredakteur des Online-Portals "Beobachter News". Sie schafften es unbehelligt bis zum Flughafen in Erbil – um einige Stunden später, trotz vorhandenem Visum, wieder abgeschoben zu werden. "Wir haben ein paar Sekunden im Freien, haben es vielleicht 30 Meter weit geschafft", berichtet Denzinger gegenüber Kontext. "Dann wurden wir wieder zurück in den Flughafen gerufen, wo uns ein Mann mit prüfendem Blick gemustert hat, als wollte er unsere Gesichter mit Fotos abgleichen." Er und Emre seien daraufhin in ein Büro geführt worden, wo bereits andere Mitglieder der Delegation festgehalten wurden. Ihre Pässe habe man beschlagnahmt. "Ich habe eine Begründung verlangt", erzählt Denzinger. "Aber das wussten die wohl selbst nicht so genau. Es hieß nur, da gebe es eine Anweisung von oben."

In einer fensterlosen Halle habe man ihnen 12 oder 13 Stunden lang Essen und Trinken verweigert, berichtet Ecevit Emre, der als Delegierter der Linken von seinen Kontakten profitieren konnte. Sein guter Draht zu Bernd Riexinger und dem Parteivorstand machte sich insofern bezahlt, als dass Gregor Gysi eine SMS an Außenminister Heiko Maas versendet habe. "Offenbar hat er sich eingeschaltet", sagt Emre, zumindest sei der Tonfall der Sicherheitskräfte wenig später viel umgänglicher gewesen. An der Abschiebung änderte das freilich nichts. Und so kam der Politiker nach "schrecklichen 48 Stunden ohne Bett und gesunde Ernährung" wieder in der Heimat an. Journalist Denzinger, der bereits mehrfach von der Polizei und Geheimdiensten verleumdet wurde (Kontext berichtete), hat die gleiche Erfahrung gemacht, aber ergänzt noch: "Der eigentliche Skandal ist für mich, dass hier Berichterstattung aus einem Krisengebiet verhindert wurde."

Wie in jedem kriegerischen Konflikt ist der Kampf um die Deutungshoheit erbittert. Wie viele Tote es seit dem Beginn der türkischen Offensive im Nordirak gegeben hat, ist unklar. Vor Ort gibt es kaum neutrale Berichterstattung oder internationale BeobachterInnen. Franziska Schulz hatte so viel Glück, sich ein eigenes Bild machen zu können. "Die Wahrnehmung vom Nahen Osten", sagt sie, "ist hierzulande stark geprägt von Terror und Krieg. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, uns mit der Situation vor Ort zu beschäftigen, Zusammenhänge zu verstehen und sichtbar zu machen." Die Reise war für sie nicht nur Repression, sagt sie. In den ersten Tagen ihres Aufenthalts konnte sie sich noch frei bewegen und viele Gespräche mit unterschiedlichen Parteien, Initiativen und Einzelpersonen führen.

Rabiater Empfang in Frankfurt

Ein prägender Eindruck aus den Unterhaltungen sei, dass, auch unabhängig vom Verhältnis zur PKK, kaum jemand in den kurdischen Gebieten glaubt, dass sich der Krieg primär gegen die militante Arbeiterpartei richte – sondern dass eine Annexion vorbereitet werde. Und nicht wenige würden sich fürchten, weil sie Parallelen zu den frühen Phasen des Völkermords an den Armeniern sehen.

Nach sechs Tagen in Erbil war dann auch für Schulz Schluss mit der Bewegungsfreiheit. Zusammen mit den 80 anderen Delegierten, die es vom Flughafen bis ins Hotel in Erbil geschafft hatten, saß sie fest, weil Mitglieder der kurdischen Peschmerga-Miliz die AktivistInnen hinderten, nach draußen zu gehen. Lohnenswert sei der Aufenthalt dennoch gewesen, sagt Schulz ohne zu zögern. Sie hätten eine breite öffentliche Aufmerksamkeit für die Lage im Nordirak – "beziehungsweise Südkurdistan" – herstellen können und Safeen Dizayee, Chef der Abteilung Außenbeziehungen der kurdischen Regionalregierung, kam für einen Austausch im Hotel vorbei.

Obwohl sie aber die Reise als Erfolg verbucht, sagt Schulz, dass die kurdischen Gebiete weit vom Frieden entfernt seien. Die Aktivistin verweist auf Statistiken, laut denen eine überwältigende Bevölkerungsmehrheit in der Bundesrepublik die deutsche Beteiligung an kriegerischen Konflikten ablehnt. Aber sie würde sich wünschen, dass weniger Leute bei einer passiven Haltung bleiben würden, "weil es notwendig ist, lauter zu protestieren gegen die aktive Unterstützung bei Angriffen auf zivile Ziele".

Ihre Rückreise nach Deutschland verlief ohne nennenswerte Komplikationen – im Gegensatz zu anderen. Am Frankfurter Flughafen wurden die Ankömmlinge rabiat in Empfang genommen. Videoaufnahmen zeigen, wie prokurdische AktivistInnen festgesetzt werden. Laut Schilderung der Betroffenen sei die Polizei "mit offener Gewalt vorgegangen, mehrere Personen wurden ohne Begründung mit dem Kopf gegen die Wand gedrückt und festgehalten", zudem sei Gepäck beschlagnahmt und durchwühlt worden. Eine Anfrage der Redaktion, ob diese Darstellung zutreffend ist und was die Maßnahmen gegen die AktivistInnen begründet hat, ließ die Bundespolizei unbeantwortet.

Dass die Intervention der deutschen Sicherheitsbehörden noch ein juristisches Nachspiel haben könnte, betont die Linkenpolitikerin Cansu Özdemir, die es als "eindeutig rechtswidrig" bezeichnet, dass sie an der Ausreise gehindert wurde. Auch Carola Veit, die sozialdemokratische Präsidentin der Hamburger Bürgerschaft, bezeichnete das Vorgehen der Bundespolizei gegenüber dem NDR als "äußerst befremdlich" und kündigte an, sich um eine Klärung des Vorfalls zu bemühen. Sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach der Verfassung der Hansestadt, betont Veit, dürften Abgeordnete weder verhaftet noch in sonstiger Weise an der Ausübung ihres Mandats behindert werden, "es sei denn, sie werden bei der Ausübung einer Straftat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen".

Wie gut es dem Ansehen der Bundesrepublik wohl tut, sich mit Methoden, die eines Rechtsstaats nicht würdig erscheinen, an die Seite eines kriegstreibenden Despoten geschlagen zu haben?


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Stefan Dreher
    am 01.07.2021
    Antworten
    Guter Artikel, allerdings musste ich schmunzeln, als ich las, Kollege Denzinger habe 48 Stunden kein gesundes Essen gekriegt.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!