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Innenminister Strobl

Der populistische Störenfried

Innenminister Strobl: Der populistische Störenfried
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Grün-Schwarz plant im neuen Koalitionsvertrag ein humaneres Bleiberecht für Geflüchtete. Doch schon gibt es die ersten Querschüsse: Innenminister Thomas Strobl (CDU) will Abschiebungen ins kriegszerrüttete Syrien optimieren – obwohl er gar nicht mehr für Migrationsfragen zuständig ist.

Bekanntlich ist nicht alles, was hinkt, ein Vergleich. Aber nur mal angenommen, in den USA wäre ein polnischer Terrorist bei der Vorbereitung eines Anschlags aufgeflogen und als Gefährder eingestuft worden, ohne seine Tat begonnen zu haben. Die begeht aber ein anderer Pole, und ihre alte Heimat will beide nicht zurück. Und dann ersinnen republikanische Innenpolitiker diesen Ausweg: Deutschland, Tschechien, Dänemark oder Österreich könnten doch alle Polen aufnehmen, die die Vereinigten Staaten loswerden wollen. Was für eine absurde Vorstellung.

Doch eine ähnliche Idee wurde vergangene Woche am Rande der Innenministerkonferenz im badischen Rust diskutiert. Turnusmäßiger Vorsitzender ist Thomas Strobl (CDU), der seine Rolle als Gastgeber genutzt hat, um in einem Gespräch mit der dpa einen Stein ins Wasser zu werfen: "Wir müssen uns darüber unterhalten, ob wir die praktischen Möglichkeiten der Abschiebungen nach Syrien optimieren können." Etwa durch Abschiebungen in Drittstaaten, sekundiert Herbert Reul aus NRW (ebenfalls CDU), der anregt, Geflüchtete in Nachbarländer der Nation im Bürgerkrieg zu verfrachten, beispielsweise in die Türkei oder den Libanon.

Der linke Haken folgte umgehend. Zuerst lobte Boris Pistorius (SPD) aus Niedersachsen zwar am Ende der dreitägigen Beratungen "eine der harmonischsten Innenministerkonferenzen", die er je erlebt habe – um dann zu betonen, dass es in Sachen Abschiebungen nach Syrien nicht darum gehe, "wollen zu wollen, man muss auch können können". Natürlich müssten Schwerverbrecher und terroristische Straftäter abgeschoben werden, befindet auch dieser Minister, "aber wenn es nicht geht, dann geht es nicht, und dann muss man nicht ständig darüber reden." Immer neue entsprechende Vorschläge hätten "keine Auswirkungen auf die Wirklichkeit". Und sogar Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) rühmte auf seiner letzten Konferenz dieser Art die Harmonie in den drei Tagen und die 69 Tagesordnungspunkte, bei denen eine Einigung erzielt worden war. Und ließ den Kollegen Strobl mit seinem Syrien-Vorschlag einfach links liegen.

Das Ministerium ist weiter als der Minister

Nach den Bräuchen der vergangenen Legislaturperiode hätten Spitzengrüne in dieser Lage einmal mehr mit den Schultern gezuckt, weil Winfried Kretschmann Störfeuer von den eigenen Leuten austreten will, damit es in Verbindung mit den (regelmäßigen) Störfeuern der Schwarzen keinen Flächenbrand in der Koalition gibt. Zumal es in den ersten Wochen der neuen Landesregierung oberste Pflicht seiner ParteifreundInnen war, die Ohren am besten auf Durchzug zu stellen. Nach dem historischen Debakel für die Südwest-CDU bei den vergangenen Landtagswahlen kennt die neue Koch-Kellner-Hierarchie bei Grün-Schwarz jedoch auch neue Mechanismen. Oliver Hildenbrand, der ansonsten überaus gemäßigt auftretende Co-Vorsitzende der Landespartei und neuerdings Landtagsabgeordneter sowie Fraktionsvize, nahm sich Strobl nach dessen Syrien-Äußerung in bis dato unbekannter Härte zur Brust, wenngleich ohne Namensnennung. Den bundesweiten Abschiebestopp nach Syrien nicht verlängern zu wollen, sei ignorant und gefährlich und aktuell "eine populistische Scheindebatte, die von großer außenpolitischer Unkenntnis geprägt ist".

Angekommen in der neuen Realität ist hingegen Strobls Ministerium. Kontext kann – nach einer Anfrage zu Details über Abschiebungen – "leider nicht mehr" weitergeholfen werden. Dafür sei "nun das Ministerium der Justiz und für Migration zuständig". Aus Zeiten, in denen das Thema noch in Strobls Kompetenzbereich fiel, ist der CDU-Bundesvize als Wiederholungstäter bekannt. Schon im vergangenen Oktober hatte er von der Bundesregierung verlangt, sie solle "sich die Lage in Syrien dringend anschauen und das Lagebild aktuell fortschreiben". Wenn es in Syrien vergleichsweise sichere Gebiete gebe, sollten zumindest Gefährder und Straftäter, die schwere Verbrechen begangen hätten, oder solche, die Machthaber Baschar al-Assad unterstützten, nach Syrien abgeschoben werden können.

Damit das überhaupt vorstellbar wird, müsste die Bundesregierung allerdings erst einmal mit dem Despoten in Damaskus Verhandlungen über ein Rücknahme-Abkommen aufnehmen. "Diejenigen, die jetzt für Abschiebungen nach Syrien plädieren, verschweigen der Öffentlichkeit, dass man dafür in eine direkte Kooperation mit dem Assad-Regime eintreten müsste", sagt Hildenbrand. Wenn dessen harte Kante stilbildend wird, würde sich die zweite Auflage von Grün-Schwarz tatsächlich grundlegend von der ersten unterscheiden. In den nur noch vier Wochen bis zur Sommerpause könnten dann anstelle von Scheindebatten über undurchführbare Abschiebungen sinnvolle und im Koalitionsvertrag festgeschriebene Vorhaben auf den Weg gebracht werden: vom Einstieg ins Klimaschutz-Sofortprogramm über das Antidiskriminierungsgesetz bis zur anonymisierten Kennzeichnung von PolizistInnen bei Großeinsätzen, von der Landtagswahlrechtsreform bis zu den verschiedenen Programmen zur Abfederung der Corona-Folgen.

Weiterhin untergräbt die Union Hilfsbereitschaft

Von zentraler Bedeutung für Teil drei der grünen Regierungsära ist, dass "nicht nur die Buchstaben des Koalitionsvertrags gelten", sagt einer ihrer altgedienten Abgeordneten, "sondern auch sein Geist." Mit seinen Syrien-Äußerungen habe Strobl genau dagegen bereits verstoßen. Neben der klaren öffentlichen Ansage läuft derzeit in der heiklen Migrations- und Ausländerpolitik sogar die informelle Gegenstrategie an. Grüne kümmern sich vor Ort im Kontakt mit ArbeitgeberInnen, aber auch mit Flüchtlingsgruppen darum, welche Menschen vom neuen humaneren Bleiberecht profitieren könnten. Ausgearbeitet werden laut Koalitionsvertrag "konkrete, landeseigene Anwendungshinweise entlang der Maxime: 'Wer arbeitet und sich integriert hat, soll bleiben dürfen.'"

Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen haben Forderungen an die Runde in Rust, die sich im Herbst ein zweites Mal in Baden-Württemberg, nämlich in Stuttgart, treffen wird. Pro Asyl und Flüchtlingsräte verlangen von den InnenministerInnen erneut, mehr Menschen etwa aus griechischen Lagern aufzunehmen. Die Seebrücke Freiburg engagierte sich im Namen von Kommunen und Gruppen, die inzwischen seit Jahren bereit sind, Menschen eine neue Heimat zu geben – was der Unionsteil der Bundesregierung bisher verhindert. Außerdem wird in einem Offenen Brief anlässlich des Treffens auf all jene MitarbeiterInnen deutscher Stellen hingewiesen, die mit dem Abzug der Truppen aus Afghanistan im Juli 2021 zurückgelassen und "einer immensen Bedrohung" durch die Taliban ausgeliefert seien.

"Es gibt bereits unbürokratische Lösungsansätze, die Menschen schnell zu evakuieren", heißt es weiter. Und es gibt – immerhin – inzwischen einschlägige Beschlüsse: Frühere MitarbeiterInnen und deren engste Familienmitglieder werden von der Bundesrepublik aufgenommen; sogar die zynische Ursprungsidee ist gefallen, sie müssten aber ihre Flüge selber bezahlen. Von einem "dringend notwendigen Akt der Solidarität und Menschlichkeit" spricht Pistorius. Keiner der CDU-Kollegen widerspricht. Nicht einmal Thomas Strobl.

Und das neuerdings zuständige, ebenfalls CDU-geführte Ministerium für Justiz und Migration (JUM) bestätigt gleich auch noch die Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik. Für Syrien habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge grundsätzlich bei allen Staatsangehörigen ein Abschiebeverbot verhängt. Daher seien, "obwohl der bis Ende des Jahres 2020 geltende Abschiebestopp nach Syrien nicht verlängert wurde, 2021 noch keine syrischen Staatsangehörigen rückgeführt worden." Nach Afghanistan würden aus Baden-Württemberg derzeit ausschließlich Gefährder, Identitätsverweigerer und Straftäter rückgeführt. "Festlegungen über eine etwaige Änderung dieser bestehenden grundsätzlichen Praxis zu Abschiebungen in diese beiden Staaten sieht der Koalitionsvertrag nicht vor", heißt es schlank und rank weiter.

Von den Abschiebungszahlen, die Strobl am Beginn seiner ersten Amtszeit propagiert hatte – sie sollten bundesweit sechsstellig und fünfstellig im Land sein –, war Baden-Württemberg ohnehin nie weiter entfernt: 2019 wurden insgesamt 2.648 Menschen abgeschoben, 2020 waren es 1.362 und 2021 sind es bislang 400. "Selbstverständlich", heißt es in der JUM-Antwort auf die Kontext-Anfrage zu dem zwischen den Koalitionären so lange Zeit strittigen Thema, "wird das Ministerium der Justiz und für Migration soweit möglich die den Bereich Migration betreffenden Teile des Koalitionsvertrags umsetzen." Und der größere Regierungspartner, das haben die vergangenen Tage gezeigt, wird anders als in der vergangenen Legislaturperiode auch peinlich genau darauf achten, dass sich an diesem Bekenntnis nichts ändert.


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1 Kommentar verfügbar

  • R.Gunst
    am 27.06.2021
    Antworten
    Der Satz, dass Grün-Schwarz endlich ein humanes Bleiberecht für Geflüchtete schaffen will, lässt aufhorchen. Hat die abgehobene Kaste der Politiker nun plötzlich die harte Wirklichkeit erkannt, oder streut sie wie gewohnt nur Sand in die Augen des hörigen Wahlvolkes. Die harte Realität im…
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