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Schulden und Klimaschutz

Ausgebremst

Schulden und Klimaschutz: Ausgebremst
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Deutschlands höchstes Gericht hat verstanden, dass Lasten auf Kosten künftiger Generationen nicht nur aus Geld bestehen. Andere müssen noch nacharbeiten, etwa die FDP oder der Bund der Steuerzahler. Und die Grünen müssen darauf beharren, dass Investitionen in und für eine Zukunft wichtiger sind als Schuldenverbote.

Es gehört nicht zu Winfried Kretschmanns hervorstechendsten Eigenschaften, besonders tricky zu sein. Was aber nicht heißt, dass er nicht trotzdem mal das schwäbische Schlitzohr raushängen kann. So geschehen auf der ersten Pressekonferenz der Landesregierung im Neustart mit seinem alten CDU-Vize Thomas Strobl. Dem entlockt das typische Frage-und-Nachfrage-Hin-und-Her eine unerwartete Äußerung zu den Regelungen der Schuldenbremse in der Landesverfassung: "Es gibt die Möglichkeit, in bestimmten Lagen Kredite aufzunehmen, Naturkatastrophen oder Krisensituationen, auch innerhalb der Corona-Lage. Und da haben wir jetzt zu prüfen, welche Investitionen das konkret sein können und sollen."

Schon dieser Satz ist bemerkenswert für den Hüter der schwarzen Null ("An ihr wird nicht gerüttelt"). Kretschmann wollte aber vor den laufenden Kameras noch einen Schritt weiter gehen. Neben dem gebetsmühlenartig betonten Bekenntnis zur Schuldenbremse dachte er auf offener Bühne laut über deren Weiterentwicklung nach und nannte als Investitionen, bei denen zu fragen sei, "ob die nicht unabdingbar sind", nicht nur den Klimaschutz oder die energetische Sanierung von Gebäuden, sondern gerade die Digitalisierung.

Die ressortiert weiterhin in Strobls Innenministerium. Trotzdem und gerade deswegen überraschte, dass Strobl nicht widersprechen mochte, als der Grüne ausführlich das neue Verständnis von Generationengerechtigkeit erläuterte: "Wenn wir bei der Digitalisierung des Landes einfach sagen würden, wir hätten das Geld nicht, tun wir zukünftigen Generationen einen Tort an. Im Klimaschutz ist das genauso." Kretschmann unterscheidet zwischen "dem Kernbestand der Schuldenbremse" und dem Verzicht auf konsumptive Mehrausgaben auf der einen und Investitionen "in die Quellen des Reichtums der Zukunft" auf der anderen Seite.

Wichtige WirtschaftsforscherInnen, vor allem aber das Bundesverfassungsgericht weiß der Regierungschef am Fuße seiner letzten Amtszeit hinter sich. Festgestellt wurde in dem historisch zu nennenden Karlsruher Klimaurteil von Ende April, dass "einer Generation nicht zugestanden werden [darf], unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassende Freiheitseinbußen ausgesetzt würde". Und weiter: "Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; gerade deshalb droht dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen."

Die ideologischen Reflexe funktionieren noch

Das Bild von den Schuldenbergen, auf denen Kinder nicht spielen können, wird damit höchstrichterlich in den Papierkorb befördert, und die üblichen Verdächtigen sind ein für alle Mal ausgebremst. Was die allerdings noch nicht so richtig zur Kenntnis nehmen wollen. Aufschlussreich ist das Vorgehen der Südwest-FDP, die bekanntlich nach der Landtagswahl im März mit Grünen und SPD koalieren wollte – natürlich in Kenntnis der beiden Wahlprogramme und der dort verlangten zusätzlichen Anstrengungen im Kampf gegen die Erderwärmung. Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke tut aber so, als hätte es dieses Interesse nie gegeben, wenn er einmal mehr Kretschmann unterstellt, seine wahren Absichten verschleiern zu wollen. "Wer euphemistisch über eine angebliche Weiterentwicklung der Schuldenbremse philosophiert, will sie in Wirklichkeit abschaffen und ungeniert Schulden machen", behauptet Rülke und negiert in einem Aufwasch gleich auch noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts: "Die gern proklamierte Nachhaltigkeit sucht man in der grünen Finanzpolitik vergebens. Zukünftige Generationen werden so mit immer neuen Schuldenbergen belastet."

Noch dreister geht der Bund der Steuerzahler vor, eigentlich nichts anderes als ein 1949 im damaligen Württemberg-Baden gegründeter Verein mit dem genialen, weil einen Kompetenzradius suggerierenden Namen, den es in Wahrheit gar nicht gibt. Deutlich präziser könnte er Bund der Besserverdienenden heißen. Es werde damit geworben, so die "Süddeutsche Zeitung" dieser Tage, dass seine gut 200.000 Mitglieder "im Durchschnitt über ein Haushaltsnettoeinkommen von 4.800 Euro verfügen", das wiederum für das "bestverdienende Fünftel" in Deutschland stehe. Auch deshalb ist an starken Auftritten in der Öffentlichkeit kein Mangel, allen voran die am Hauptsitz in Berlin und im Netz tickende Schulden-Uhr für das steuergeplagte Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland. Die wiederum könnte allerdings in Anlehnung an den Spruch der Karlsruher RichterInnen gut ergänzt werden durch eine C02-Ausstoß-Skala, die womöglich noch Bedrohlicheres anzeigt als die Verschuldung.

Wird sie aber sicher nicht, denn die Vorsitzenden der laut Eigenwerbung "größten Steuerzahler-Organisation der Welt" sind auf ihrem grünen Auge noch blind. Unter der Überschrift "Mehr Generationengerechtigkeit" polemisiert Baden-Württembergs Landeschef Zenon Bilaniuk gegen "eine Aufweichung der Schuldenbremse" und damit gegen die Weiterentwicklung der schwarzen zur grünen Null. Zu Recht werde derzeit viel über den Begriff Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit der Klimakrise gesprochen, so Bilaniuk weiter, "doch Nachhaltigkeit bedeutet auch, dass zukünftige Generationen in den öffentlichen Haushalten der Zukunft Handlungsspielräume vorfinden". Wenn Haushalte aber vor allem durch Zins- und Tilgungslasten bestimmt würden, dann, so Bilaniuks ideologiegetriebene Horrorvision, "landen diese Generationen in der Unfreiheit".

Vielleicht macht's ja der Finanzminister

Es wird mit an der CDU hängen, ob diese überkommene Sicht der Dinge salonfähig bleiben kann an Stammtischen und in den Schreibstuben neoliberaler StrategInnen und LobbyistInnen. In Baden-Württemberg haben sich Kretschmann und die anderen grünen VerhandlerInnen mitunter aus Skepsis gegenüber der FDP und ihren Haltungen in zentralen Fragen – was Rülke mit inzwischen vielen Äußerungen bestätigt – für die CDU als Koalitionspartner entschieden. Vor allem aber taten sie es in der Hoffnung, dass die Schwarzen mit ihrer breiten Verankerung in Städten und Dörfern fürs Umdenken werben. So gesehen könnte Strobls Verzicht auf jeden Widerspruch bei der Neuauslegung der Schuldenbremse andeuten, dass er sein vollmundiges Versprechen schon bei den Sondierungsgesprächen tatsächlich einlösen will.

Selbst für den Fall, dass nicht, hat sich der Ministerpräsident ("Die Verfassung schützt keinen Auspuffliberalismus") Beistand an seine Seite geholt. Auch beim alten und neuen Koalitionspartner ist inzwischen angekommen, dass der bisherige Bundestagsabgeordnete Danyal Bayaz nicht trotz, sondern wegen seiner Forderungen, die Schuldenbremse mit Blick auf den Klimawandel zu reformieren, nach Stuttgart geholt wurde. Und zwar gerade weil er den "gigantischen Investitionsbedarf nicht abhängig von der Kassenlage" machen will. Als Kretschmann vor Wochen von Medienvertretern gefragt wurde, ob er eine eigene Initiative zur Weiterentwicklung bestehender Regelungen anstoßen werde, war seine Antwort ein klares Nein. Zusatz: "Aber vielleicht der Finanzminister." Woraufhin eingewendet wird, es sei doch kaum vorstellbar, dass der ohne Zustimmung des Regierungschefs vorgeht. "Des stimmt no au wiedr", lacht der Ministerpräsident schlitzohrig. Der Idee, neue Kredite aufzunehmen im Kampf gegen die Erderwärmung, steht also nicht mehr sehr viel im Wege.


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1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 10.06.2021
    Antworten
    Deutschlands höchste Gerichte – haben die Richter und Richterinnen tatsächlich verstanden, was sie von sich selbst zu verlangen haben, oder ist da doch noch einiges aufzuarbeiten?!? [1]

    10.06.2021 VERBRAUCHSANGABEN BEI BENZINMOTOREN
    Kraftfahrt-Bundesamt leitet CO2-Verfahren gegen Porsche ein h…
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