Auf "Bahn für alle" ist Verlass, wenn es gilt, den Baustopp von Stuttgart 21 zu fordern. "Wenn Mist gebaut wird, ist die Lösung ja nicht, noch mehr Mist zu bauen", heißt es in einer Vorab-Stellungnahme des Bündnisses zum noch gar nicht veröffentlichten Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg. Denn darin ist festgeschrieben, quer zum S-21-Tiefbahnhof – also dem alten Mist – einen unterirdischen Ergänzungskopfbahnhof – das ist der neue Mist – zu bauen. Statt einfach den gut funktionierenden Kopfbahnhof zu erhalten.
Dankenswerterweise liefert "Bahn für alle" einen knappen historischen Aufriss mit, für alle, die nicht knietief in den Kampf gegen das Milliardengrab verstrickt sind: "Zwei Jahrzehnte lang behauptete die Deutsche Bahn, mit Stuttgart 21 – dem achtgleisigen Durchgangsbahnhof im Untergrund – käme es zu einer Vergrößerung der Schienenkapazität im Vergleich zum bestehenden Kopfbahnhof mit 16 Gleisen. Gleichzeitig wurde behauptet, die Konstruktion eines Kopfbahnhofs sei veraltet; es müsse ein Durchgangsbahnhof sein. Bahn für Alle und das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 haben dies immer bestritten und belegt: S 21 bringt eine Reduktion der Kapazitäten um 30 Prozent. Jetzt gestehe Grün-Schwarz, dass es genauso ist.
Manchen CDU-VerhandlerInnen ging ein Licht auf
Wobei der eine Koalitionspartner viel mehr zu beichten hat als der andere. Verkehrsminister Winfried Hermann, der grüne Tiefbahnhof-Gegner der ersten Stunde, weiß nur zu gut, was er da am Hals hat: "Ich kann nicht sagen: Scheiß-Bahnhof. Ich muss mir Gedanken machen, wie ich das Beste raushole." Immerhin, manchen CDU-VerhandlerInnen in der Facharbeitsgruppe sechs ("Mobilität") soll bei diesen Gesprächen endlich ein Licht aufgegangen sein. Zum Beispiel Thomas Dörflinger, dem Landtagsabgeordneten aus dem fernen Biberach an der Riß.
Vor drei Jahren hatte der von ihm einberufene einschlägige Fraktionsarbeitskreis die Riesenwunde der S-21-Baustelle mitten im Talkessel besichtigt und konnte sich kaum einkriegen vor Begeisterung angesichts dieser "schwebenden Bahndirektion" (Dörflinger). Die Teilnehmer seien sich einig gewesen, dass der neue Tiefbahnhof neben dem verkehrlichen Nutzen Stuttgart auch "als weltweit einmaliges architektonisches Highlight bereichern wird". Eines, das vor allem an spät realisierten Entwürfen interessierte LiebhaberInnen anlocken wird, weil der Zuschlag im Ideenwettbewerb 1997 (!) war. Ganz abgesehen von allen technischen Problemen ist über die Konstruktion aus Kelchstützen und schrägen Bullaugen die Zeit also längst hinweg gegangen.
Wahrscheinlich beschäftigt sich schon allein deshalb der Koalitionsvertrag nicht mit dem Bahnhof als solchem, mit den künftigen Einkaufsmeilen, nicht einmal mit den zu schmalen Bahnsteigen. Dafür aber mit dem, was am "Eisenbahnknoten Stuttgart 2040" verbessert werden soll beziehungsweise muss. Eine "Initiative" ist vereinbart: "Wir wollen in einem ständigen Prozess den Eisenbahnknoten für die Anforderungen weiterer Angebotssteigerungen in künftigen Jahrzehnten, zum Beispiel über einer Verdoppelung der Fahrgastzahlen im Schienenverkehr bis 2030 hinaus, zukunftsfähig machen", versprechen jetzt also auch die Schwarzen. Dazu würden die "bereits eingeleiteten und unterstützten Projektverbesserungen wie die große Wendlinger Kurve, die Digitalisierung des Bahnknotens (ETCS) sowie der Erhalt der Panoramabahn umgesetzt".
Und weiter: "Wir befürworten die Umsetzung der im Zuge des Deutschlandtaktes vorgesehenen Bundesprojekte des beschleunigten Nordzulaufs, der P-Option und des Ausbaus der Gäubahn zwischen Stuttgart und Singen mit dem langen Gäubahntunnel zum Flughafen." Dann als einer der Höhepunkte: "Wir setzen auf eine sehr zeitnahe Umsetzung der Planungen und der Finanzierung durch den Bund im Rahmen des Bundesverkehrswegeplanes. Zu einer für Projektänderungen notwendigen Anpassung des Finanzierungsvertrages zu Stuttgart 21 sind wir bereit, sofern eine gleichwertige Umsetzungs- und Finanzierungsabsicherung ohne Zusatzkosten für das Land gesichert und eine schnellstmögliche Umsetzung gegeben ist." Im Klartext: Mir gebet nix über die 930,6 Millionen Euro Landesanteil hinaus, die im Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 festgeschrieben sind.
11 Kommentare verfügbar
WernerS
am 07.05.2021Ich diskutier das nicht mehr. Der alte Bahnhof war und ist besser und billiger als jede Fortentwicklung. Zuschütten ist die einzig vernünftige Lösung. Ich wähle keinen der glaubt Stuttgart21 sei noch zu…