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Koalitionsvertrag BW

Geld oder Klima

Koalitionsvertrag BW: Geld oder Klima
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Es sind keine klimapolitischen Kleinigkeiten, die die Grünen den Schwarzen im Koalitionsvertrag aus den Rippen geschnitten haben – von Klimaneutralität bis 2040 über Solarpflicht bei Neu- und Umbauten bis Lkw-Maut und Nahverkehrsabgabe. Die große Ansage jedoch fehlt, denn gekämpft gegen die Erderwärmung wird nach Kassenlage.

Zugegeben, die 13,5 Milliarden Euro, mit denen allein Baden-Württemberg seine Corona-Hilfstöpfe gefüllt hat, beschweren die Waagschale auf der Soll-Seite künftiger Landesetats beträchtlich. Die richtige Mischung aus Mut und Kreativität, aus Ehrlichkeit und Realitätssinn und sicher auch das eine oder andere Hannah-Arendt-Zitat obendrauf könnten die Haben-Seite aber ausgleichen. Und eigentlich müssten die Südwest-Grünen fünf Monate vor der Bundestagswahl beweisen, dass eine Landesregierung im föderalen Deutschland vieles zügig auf den Weg bringen kann um mitzuhelfen, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Winfried Kretschmann, der weltweit einzige grüne Regierungschef, hält mit Fakten dagegen. Frage zum Abschluss der gut dreiwöchigen Koalitionsverhandlungen: "Nervt es Sie, dass wegen des Geldmangels in der Landeskasse doch weniger in Klimaschutz investiert werden kann, als die Grünen gedacht hatten?" Antwort: "Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Fakten nerven. Wenn man weniger Steuereinnahmen hat, das ist ein Faktum. (…) Sowas nervt mich nicht. Fakten nerven mich nie. Ich bin ein naturwissenschaftlich imprägnierter Mensch und sozialisiert, Fakten als das zu nehmen, was sie sind: Tatsachen."

Kretschmann war schon um einiges weiter

Diese reine Behauptung hat gleich zwei Schwächen. Die kleinere ist, dass den bald 73-Jährigen Fakten alias Tatsachen am laufenden Band auf die Palme bringen. Zum Beispiel das schlechte Benehmen der AfD oder die vermeintlichen Denkfehler der Jugend oder Linken in seiner Partei. Die größere Schwäche ist deshalb eine große, weil sie übersieht, dass seine Art der Finanzpolitik diametral der Klimapolitik gegenübersteht und insofern Fakten gegen Fakten ausspielt. Gerade infolge und nicht etwa trotz der 13,5 Milliarden Euro zusätzlicher Schulden eröffnen sich ganz neue Spielräume. Das vergangene Jahr mit all seinen Hilfspaketen hat gezeigt, was möglich ist. Und der Satz "Die Klimakrise lässt sich nicht wegimpfen" stammt keineswegs von AktivistInnen, die auf realpolitische Zusammenhänge keine Rücksicht nehmen müssen, sondern vom großen Grünen höchstpersönlich.

Ohnehin war Winfried Kretschmann schon um einiges weiter. Im September 2019, zum 40. Geburtstag der von ihm mitgegründeten Partei, verdeutlichte der einstige Lehrer in einer progressiven, für seine Verhältnisse geradezu linken Rede den jubelnden BasisvertreterInnen beim Landesparteitag in Sindelfingen, wie aus Kapitalismus die ökologische Marktwirtschaft wird. Eben erst hatte er sich entschieden, noch einmal zur Landtagswahl anzutreten, jetzt stand er unter dem Eindruck der von Greta Thunberg ausgelösten weitweilten Bewegung, hatte erste Kontakte mit den FFF-VertreterInnen hinter sich und warb mit und für Gebote und Verbote. Die westliche Zivilisation fange mit zehn davon an, "daran darf ich die christliche Partei ja wohl mal erinnern". Und daran, "dass die unsichtbare Hand des Marktes das Klima nicht für uns retten wird" sowie "wie wenig Zeit wir noch haben, um den Kollaps zu verhindern". Das war vor Corona. Die Erklärung, die Pandemie habe die Ansichten in diesem Punkt eben verändert, zieht aber nicht – der grüne Tadel für die These von der unsichtbaren und ungenügenden Hand des Marktes schaffte es nämlich ins offizielle Landtagswahlprogramm, verabschiedet im Corona-Herbst 2020.

Trotzdem schlägt sich die Partei in die Büsche, die bei der Landtagswahl am 14. März 8,5 Prozentpunkte Vorsprung vor der CDU verbuchen konnte. Und auf die Seite der angeblich so seriösen und nachhaltigen FinanzpolitikerInnen. Der Schuldenbremsen-Fans, die nicht wahrhaben wollen, wie Generationengerechtigkeit sich verändert in einer Welt der immer heißeren Hitzesommer und der dramatisch geschmolzenen Gletscher. Aus den im Wahlprogramm in Aussicht gestellten "rechtzeitigen Investitionen zum Schutz vor Klimafolgeschäden, um nicht in Zukunft einen viel höheren Preis zu bezahlen" wurde ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit Haushaltsvorbehalt. Das ist ungefähr so, als hätte Willy Brandt die Kernbotschaft seiner ersten Regierungserklärung von 1969 "Wir wollen mehr Demokratie wagen" versehen mit Hinweisen wie "Wenn die Steuerschätzung es erlaubt". Oder: "Sofern die Wirtschaft wieder anspringt."

Weg mit der Schuldenbremse!

Zu allem Überfluss fällt solche Hasenfüßigkeit auch noch in eine Zeit, in der selbst hartleibige Wirtschaftsexperten fast flehentlich dafür werben, alle Gestaltungsmöglichkeiten auszunutzen. "Die Defizitgrenze lässt sich mit einfacher Bundestagsmehrheit so lange aussetzen, bis sich die Wirtschaft hinreichend von der Coronakrise erholt hat", schreibt zum Beispiel Clemens Fuest, der Chef des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Für ihn zeigt das, "dass die Schuldenbremse klüger konstruiert ist, als viele Kritiker behaupten". Auf Baden-Württemberg übertragen hätte diese Erkenntnis das Sondierungspapier, also die Eintrittskarte der Schwarzen zu Koalitionsgesprächen, im dürren finanzpolitischen Kapitel um einen Satz wie diesen ergänzt: "Wir nutzen gegebenenfalls die Möglichkeiten aus Art. 84 der Landesverfassung, die Erderwärmung zu bekämpfen."

Jedenfalls kann mit einfacher, also der Mehrheit der alten und neuen Koalitionspartner im Parlament, abgewichen werden von der Vorgabe, wonach Einnahmen und Ausgaben "grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen" sind. Die Klimakrise müsste zur Naturkatastrophe erklärt werden, und es gibt durchaus Hinweise, dass davon im Laufe der Legislaturperiode Gebrauch gemacht wird. Jedenfalls wenn die Wirtschaft doch nicht ausreichend anspringt und die Steuerschätzungen zu pessimistisch bleiben. Spätestens dann ist erst recht Ärger programmiert, weil sich herausstellen würde, dass es ehrlicher und besser gewesen wäre, die Karten schon heute und zu Beginn der Koalition Kretschmann III auf den Tisch zu legen.

Stattdessen setzen die Grünen auf ein Wirtschaftssystem, das den Erdball an den Rand irreversibler Kipppunkte gebracht hat. Und auf die Hoffnung, mit ordnungspolitischen Vorgaben die notwendige Dynamik entfesseln zu können. Die Partei beamt sich zurück in die Welt der Illusion der immer und überall heilbringenden Wirkung privaten Kapitals. "Wir müssen ja insbesondere den Ausbau der Windkraft und der Photovoltaik forcieren", sagt der Regierungschef selber. Und fügt hinzu, dieser Kern der Energiewende koste "den Staat erstmals aber kein Geld", weil den Ausbau "ja Investoren und Bürgerinnen und Bürger etwa bei Bürgerwindrädern" finanzierten. Ein Deal der besonderen Art: Häuslebauer, die bei der Dachsanierung nicht mit den neuen Auflagen kalkuliert haben, sollen genau das tun, was Grün-Schwarz im Neustart für sich selbst kategorisch ablehnt: zusätzliche Schulden aufnehmen.

Der Druck wird steigen

UnterstützerInnen nicht nur aus den Umwelt- und Naturschutzverbänden, die der im Wahlkampf plakatierten Aufforderung "Grün wählen für Kretschmann" gefolgt sind, reiben sich die Augen. Und AktivistInnen, die für sich warben mit dem Versprechen, gerade den Grünen Beine zu machen, sehen sich bestätigt. Mit knapp einem Prozent ist die Klimaliste deutlich unter den eigenen Ansprüchen geblieben, was dem Kampfesmut aber gar keinen Abbruch tut – ganz im Gegenteil. "Es gibt keinen 'Sparzwang'", heißt es in einer Analyse vom vergangenen Wochenende, "das Wort ist irreführend, weil es signalisiert, dass die Politik das Heft des Handelns nicht in der Hand hält." Und weiter: "Wir halten dagegen, denn wer will, der kann. Zum Beispiel die zahllosen Probleme angehen, die durch fehlende Investitionen verursacht werden: Energie- und Verkehrswende kommen nicht voran. Das Bildungssystem ist nicht wegen Corona veraltet, sondern weil kein Geld für Infrastruktur und Lehrkräfte ausgegeben wurde. Krankenhäuser und Pflegeheime wurden privatisiert, um Kosten zu sparen, jetzt fehlen überall Pflegekräfte. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen."

Und der Druck wird sich erhöhen. Nicht nur weil die Bundestagswahl naht und die Landesverbände in Regierungsverantwortung werden beweisen müssen, dass sie willig sind zu liefern. Druck wird auch die Speditions-Lobby entwickeln, um Stimmung gegen die Lkw-Maut zu machen, unwillige GemeinderätInnen werden gegen die Nahverkehrsabgabe trommeln, und das Kapital, bekanntlich ein scheues Reh, wird keine Lust verspüren zum Bau von hohen Windrädern mit niedrigen Renditen.

Bleiben als große Hoffnung in der "zentralen Menschheitsfrage" (Kretschmann) noch die Karlsruher VerfassungsrichterInnen. Die haben am vergangenen Donnerstag nicht nur aus Gründen der Generationengerechtigkeit und der grundgesetzlich geschützten Freiheitsrechte präzise Vorgaben zur Emissionsreduzierungen im Kampf gegen die Erderwärmung verlangt, sondern sie sind mit ihrer Geduld fast am Ende. Der Bundesgesetzgeber sei verpflichtet, heißt es in dem bahnbrechenden Urteil, "die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln". Baden-Württemberg wird sich als nachahmenswertes Vorbild anpreisen – immer unter der Voraussetzung, dass die Steuereinnahmen rechtzeitig wieder zu sprudeln beginnen.


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3 Kommentare verfügbar

  • chr/christiane
    am 06.05.2021
    Antworten
    Sandra Detzer, Grüne, hat bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags ganz klar den Weg der jungen linken Grünen aufgezeigt:
    "Jetzt--Jetzt--Jetzt--....Und keine Schuldenbremse der Welt hält uns davon ab, BW klimaneutral zu machen...."
    Ihre Rede war, mein Empfinden, eine klare Kampfansage an…
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