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Landtagswahl

Gemeinsam. Blabla. Machen.

Landtagswahl: Gemeinsam. Blabla. Machen.
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Die Grünen recyceln ihren Wahlkampf von vor fünf Jahren, die Schwarzen blamieren sich mit Realsatire. Regieren ist eine Stilfrage? Wahlplakate sind es auch. Eine gute Kampagne sei, sagt ein Werber, "bestmögliche Gedanken in bestmögliche Sätze" zu gießen. Das lässt Schlimmstes für die Zukunft erahnen.

Sie redet frei, sie ist schlagfertig, sie ist ein politischer Kopf, eine kinderlose Karrierefrau mit beachtlichen Erfolgen, lacht trotz allem gern und viel und hat ein Alleinstellungsmerkmal. Sie will erste Ministerpräsidentin in Baden-Württemberg werden. Warum in aller Welt muss die 56-jährige Susanne Eisenmann (CDU) dann im Stil der mütterlichen Seniorchefin einer schwäbischen Maschinenbaufirma vom Plakat lächeln? Frisiert wie noch nie vor dem Foto-Shooting, eingekleidet in Mischtönen, die sonst nur selten an der Kultusministerin zu sehen sind, aber unterschiedlichste Assoziationen wecken. Nicht nur positive.

Das Gegenstück ist ein bald 73-Jähriger mit Bürstenhaarschnitt, gezeichnet vom Leben und von der Verantwortung für "das Ganze", an das er den Plakaten zufolge (immerzu) denkt. Nicht frei von Prahlerei behauptet er sogar, zu wissen, "was wir können". Wer ein Déjà-vu hat, liegt richtig. Vor fünf Jahren schmunzelte schon mal derselbe ältere Herr im grauen Anzug mit grüner Krawatte von den Laternenmasten herunter. Damals versprach er "Verantwortung und Augenmaß" und "Leidenschaft für die Sache" und erklärte Regieren zur Stilfrage. Werben ist ebenfalls eine. Winfried Kretschmann kupfert sogar von sich selbst ab und recycelt den Claim jener Kampagne, die seine Partei zur stärksten im Land gemacht hat: "Grün wählen für Kretschmann."

Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?

Auch die CDU kopiert sich, genauer gesagt: der baden-württembergische Landesverband ein Versprechen der Bremer ParteifreundInnen, das reichlich vollmundig daherkam und entsprechend heikel ist. Für Carsten Meyer-Heder, den Spitzenkandidaten und Quereinsteiger, kündigten die Profis von der Berliner Agentur Römer Wildberger 2019 "100 Prozent blablafrei" an und legten nach mit provokanter Prosa, die zum markanten Glatzkopf passten: "Klare Birne. Klare Worte. Klare Ziele." Oder: "Werder spielt in der 1. Liga. Zeit, dass Bremen nachzieht." Oder: "Der Bauch muss dem Kopf öfter in den Arsch treten."

Susanne Eisenmann "garantiert ebenfalls kein Blabla" im Kleingedruckten ihrer digitalen Veranstaltungstour durchs Land. Selbst Klauen will gelernt sein, denn die PR-StrategInnen im und für den Südwesten hat der Mut verlassen. Statt mit knackigen Sprüchen traktiert die CDU das Publikum mit seltsamen Fragen, also voran – realsatire-verdächtig und hundertfach regelrecht heruntergemacht im Netz: "Wollen wir nicht alle beschützt werden?" Und: "CDU wählen, weil wir Verbrecher von heute mit der Ausrüstung von morgen jagen." Die Qualitätskontrolle einer promovierten Germanistin hätte der Satz nicht passieren dürfen. Aufmerksame KommentatorInnen beanstanden zudem, wie das Verb "jagen" AfD-Instinkte bedient. "Da wird mit diffusen Ängsten gespielt", kritisiert Derya Türk-Nachbaur, die SPD-Bundestagskandidatin aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis, "das ist einer Regierungspartei unwürdig."

Herausforderer haben es schwer, wenn sich keine Wechselstimmung einstellen mag. Herausforderinnen erst recht. Vor allem gibt es kaum Vorreiterinnen, was viel aussagt über den realen Stand der Gleichberechtigung in Deutschland. Eisenmanns Kampagne wird dadurch nicht eben einfacher. Nur Hannelore Kraft schaffte es 2010 in NRW, einen Regierungschef (Jürgen Rüttgers) bei einer Wahl abzulösen, in der Tonlage "Die Zeit ist reif" und mit den Farben, wen wundert's, Rot und Grün. Im nächsten Wahlkampf setzte die Sozialdemokratin offensiv auf ihr Image als Landesmutter. Und auf lila – ausdrücklich, als Farbe der Frauenbewegung.

So gesehen steht Eisenmann großflächig und im ganzen Land zwischen allen Stühlen. Ihre Kernkompetenz als Kultusministerin auszuspielen, verbietet sich, weil Schulthemen immer und in der Pandemie besonders schwer zu vermarkten sind. Als Frau will sie – wie alle bisher bekannten Werbematerialien offenbaren – nicht in spezieller Weise auftreten, sogar Wohlfühlbotschaft überlässt sie einem Model mit Kind, übergroßem Frotteetuch, die sich "überall so sicher fühlen wollen" wie in ihrem Besserverdiener-Designer-Bad.

Kampagnen sind dann erfolgreich, sagt Alex Römer, der Vater der Bremer CDU-Plakate, wenn "bestmögliche Gedanken in bestmögliche Sätze gegossen" würden. Und die tragen im Idealfall weit über Plakate, Spots, Clips, über Facebook und Instagram hinaus. Im Wahljahr 2011 hatten die Grünen ein Budget von 600.000 Euro und holten 1,2 Millionen WählerInnen – das sind umgerechnet 50 Cent pro Stimme. Die CDU investierte 1,03 Euro, die FDP lag sogar bei 3,24 Euro. "Einen Wahlkampf kann man nicht kaufen", schreibt das Kretschmann-Werbeteam der Berliner Agentur "Wigwam". Am Ende sei es nicht das Geld, das entscheidet, sondern die Haltung, und mindestens "e Muggaseggele überzeugender" zu sein "als die anderen".

Gruppensex mit CDU?

Die CDU verspricht 2021 "Neue Ideen für eine neue Zeit". Überzeugen will sie aber gern mit reichlich faden und betagten Allgemeinplätzen wie dem vom Mittelstand, der "nur weiterlebt, wenn wir Nachwuchs fördern" oder "wir für Mittelstand und Azubis die Ärmel hochkrempeln". Parteiintern macht sogar die kryptischen Kombination dreier Worte "Gemeinsam. Kinder. Machen." die Runde. Die stammt eigentlich aus dem Kommunalwahlkampf aus NRW, wird aber ganz offensichtlich auch den Kampagnen-Verantwortlichen hierzulande zugetraut. Der Generalsekretär, erzählen Abgeordnete, will jedenfalls nichts mehr zu tun haben mit den Plakaten und solchen Sprüchen. Mit ihrem engsten Beraterkreis habe die Spitzenkandidatin ganz allein entschieden, heißt es, was nicht ganz stimmen kann, weil Manuel Hagel in der Pressemitteilung zur Kampagne in der vergangenen Woche noch lobt, wie seine CDU darauf setzt, "in Form einer guten Frage selber auf Plakaten in den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern zu treten".

Eisenmann selbst versucht, den reichlich misslungen Auftakt sportlich zu nehmen: "Ich freue mich, dass über mehrere unserer vorgestellten Motive gesprochen und intensiv diskutiert wird." Das sei schließlich Sinn einer Kampagne. Ganz nach dem guten alten Motto "bad publicity is better than no publicity", passend zu den vielen platten Binsen und den besten Vorsätzen, mit denen jeder Weg in eine Wahlniederlage gepflastert ist.


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3 Kommentare verfügbar

  • Peter Meisel,
    am 03.02.2021
    Antworten
    Laut Aristoteles setzt Demokratie voraus, daß „die Besten aus den Bürgern“ gewählt werden und es im Staat nach dem Gesetz zugeht! (Aristoteles Politik 4.Buch 4. Kapitel)
    Ist Qualität unserer Politiker deshalb die Folge unseres Sparen bei der Bildung in unserem armen BW ? Die Digitalisierung ist…
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